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Antrag der Grünen im Landtag zur Einführung eines NRW-Sozialtickets

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Der Antrag enthält viel wissenswertes zum Thema Sozialticket, Kosten und Finanzierung. Deshalb hier der Antrag:

LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN, Drucksache 14/7644, 14. Wahlperiode,08.10.2008
Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

NRW-Sozialticket einführen und durch Ausgleichsleistungen unterstützen - Mobilität für einkommensschwache Menschen sicherstellen!

Der mit Mehrheit von SPD und GRÜNEN verabschiedete Ratsbeschluss, zum 1.01.2008 ein Sozialticket in Dortmund einzuführen, findet bundesweit Aufmerksamkeit. Durch das Sozialticket wird zu einem Monatspreis von 15 Euro innerhalb des Stadtgebietes die Mobilität für einkommensschwache Bürgerinnen und Bürger ermöglicht. Dieser durch die Politik festgelegte Preis orientiert sich an den in den Bedarfsberechnungen für Leistungen nach dem SGB II und SGB XII enthaltenen Satz von 14,62 Euro für Mobilitätsdienstleistungen. Durch die Einführung entstehen bei kommunalen Verkehrsunternehmen Ausfälle bei den Tarifeinnahmen vergleichbar der Einführung der Semestertickets oder der Schülerbeförderung. Während diese durch das Land ausgeglichen werden, beteiligt sich das Land bisher in keiner Art an den finanziellen Belastungen aus einem Sozialticket. Für die Einführung eines NRW-Sozialtickets sollen deshalb kommunale Verkehrsunternehmen oder Verkehrsverbünde analog zu den Semestertickets oder der Schülerbeförderung Ausgleichsleistungen erhalten.

I.
Im Jahr 1999 wurde durch rot-grünen Beschluss in der Stadt Köln mit der Einführung des „Köln-Pass“ für die Empfängerinnen und Empfänger von Sozialhilfeleistungen ein verbilligtes Fahrtenangebot bei den Kölner Verkehrsbetrieben (KVB) geschaffen. Nach einer zwischenzeitlichen Abschaffung durch veränderte Mehrheitsverhältnisse, wurde dieses Angebot bei der KVB im Jahr 2006 wieder eingeführt. Es besteht sowohl die Möglichkeit, ein verbilligtes Angebot in der Form von Monatstickets als auch Mehrfachfahrscheine an den Fahrkartenautomaten mittels der „Köln-Pass-Taste“ zu erwerben. Das 4erTicket Köln Pass kostet 4,50 Euro (Regeltarif 8,10 Euro) und berechtigt Köln-Pass-Inhaber zu vier Fahrten innerhalb des Stadtgebiets Köln. Das MonatsTicket Köln-Pass kostet 28,00 Euro (Regeltarif 62,60 Euro), ist an Köln-Pass-Inhaber übertragbar und berechtigt zu beliebig vielen Fahrten innerhalb des Stadtgebiets von Köln. Der „Köln-Pass“ gilt als Impulsgeber und Vorläufer der Debatte um die Einführung von Sozialtickets.

Im Regelsatz für die Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II und SGB XII sind 14,26 Euro für die Inanspruchnahme von sämtlichen Mobilitätsleistungen enthalten. Vor diesem Hintergrund wurde durch rot-grünen Beschluss zum 1.1.2008 in der Stadt Dortmund ein Sozialticket zum Preis von 15 Euro (Regelpreis 48,90 Euro) eingeführt. Das Dortmunder Sozialticket kann nur im Monatsabo als persönliches Ticket erworben werden; ein Angebot an verbilligten Einzelfahrscheinen besteht nicht. Der Geltungsbereich entspricht einem Ticket der Preisstufe A 2 im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) und berechtigt nur zu Fahrten innerhalb des Stadtgebiets. Durch den Erwerb eines Zusatztickets zum Preis von 2,30 Euro kann der Geltungsbereich auf den VRR-Gesamtraum erweitert werden. Das Dortmunder Sozialticket ist voll in das VRR-Tarifsystem integriert. Zum jetzigen Zeitpunkt sind etwa 22.000 Sozialtickets ausgegeben. Nach Angaben des Sozialamtes der Stadt sind etwa 96.000 Personen in der Stadt anspruchsberechtigt. Für die Einführung des Sozialtickets wurde von Einnahmeausfällen zwischen 2 bis 3 Millionen Euro für die zweijährige Erprobungsphase ausgegangen. Dieses Defizit sollte von den Dortmunder Stadtwerken im Zuge des Querverbundes getragen werden, so dass keine zusätzlichen Mittel aus dem städtischen Haushalt zu übernehmen waren. Im Rahmen des bestehenden Großkunden-Rabatts wird das Sozialticket an die Stadtverwaltung nicht zum VRR-Regelpreis sondern zu dem im VRR maximal möglichen reduzierten Preis von rund 39 Euro abgegeben. Der Eigenanteil für die Nutzerinnen und Nutzer beträgt 15,00 Euro. Unter Berücksichtigung der beschlossenen Tariferhöhung im VRR um 4,5 Prozent ab dem 1.08.2008 und der zum 1.08.2009 angenommenen Erhöhung um 3 Prozent ergeben sich somit Erstattungsansprüche an die Stadt Dortmund je ausgegebenes Sozialticket von 23,45 Euro sowie 26,08 Euro ab dem 1.08.2008 bzw. 27,30 Euro ab dem 1.08.2009.

Der Zwang zur verbundweiten Tarifintegration ist entscheidender Grund für die Höhe der Erstattungsansprüche des Verkehrsunternehmens. Dies bedeutet: Zur Sicherung der verbundweiten Gesamteinnahmen können Tickets nur im Rahmen des Preisgefüges innerhalb des Tarifsystems durch die Verkehrsunternehmen abgegeben werden. Eine preisreduzierte Abgabe als Sozialticket ist zwar möglich, aber die Differenz zum Regeltarif muss entweder durch das kommunale Verkehrsunternehmen oder durch die Kommune ausgeglichen werden. Bezogen auf die beiden Sozialticket-Modelle in Dortmund und Köln führt dies zu dem Sondereffekt, dass durch die zusätzlichen Einnahmen für den gesamten Verkehrsverbund Mehrerlöse entstehen. Die 22.000 Sozialtickets in Dortmund führen im verbundweiten Finanzergebnis des VRR zu einem Mehrerlös von rund 10,3 Million Euro im Jahr. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass diejenigen Kommunen, die sich sozialpolitisch für ihre Bürgerinnen und Bürger auch finanziell mit freiwilligen Leistungen engagieren, doppelt bestraft werden. Zum einen muss die Preisdifferenz zwischen dem Sozialticket zum Regeltarif im Verkehrsverbund finanziert werden, zum anderen profitieren Nachbarkommunen im Verkehrsverbund ohne Sozialticket durch eine Reduzierung der Verbandsumlage im Zuge der verbundweiten Umverteilung der Mehrerlöse. Hier besteht also dringender Handlungs- und Regelungsbedarf für das Land.

Entscheidend für eine dauerhafte Einführung und Finanzierung ist deshalb, dass für die Sozialtickets verbundweit geltende integrierte Tarifmodelle entsprechend den Schüler-, Semester- oder Seniorentickets entwickelt und festgelegt werden.

Die Dortmunder Stadtwerke haben zwischenzeitlich mitgeteilt, dass nach ihren eigenen Erhebungen das Defizit durch das Sozialticket deutlich höher liegen soll als vorher angenommen. Für das Jahr 2008 entsteht ein Erstattungsanspruch von rund 4,9 Mio. Euro und für das Jahr 2009 von etwa 7,3 Mio. Euro. Allerdings werfen diese Berechnungen der Stadtwerke erhebliche Fragen auf, weil unterstellt wird, dass die jetzigen Nutzerinnen und Nutzer des Sozialtickets vor dessen Einführung für ihre ÖPNV-Mobilität Einzelfahrscheine im Umfang von 32 Euro/Monat erworben hätten. Diese Berechnungen basieren auf einer telefonischen Umfrage mit zweifelhafter Erhebungsmethodik. Es ist zu bezweifeln, dass mit einer derartigen Telefonabfrage realistische Angaben zu dem Anteil an "Schwarzfahren" erhoben werden können und dass Menschen offen Auskunft über ihre mangelnden finanziellen Ressourcen geben. Eine Prüfung der Verkaufszahlen bei den Einzeltickets zeigt zwar einen Rückgang, ein deutlicher Einbruch nach dem 1.01.2008 ist aber anhand der tatsächlichen Verkaufzahlen bei den Einzelfahrscheinen nicht erkennbar. Es ist bezüglich der vorhandenen Rückgänge nicht zu ermitteln, ob diese auf das Sozialticket oder auf durchgeführte Preiserhöhungen bzw. auf andere Einflüsse zurückzuführen sind.

Unbestritten ist, dass die Einführung eines Sozialtickets zu Einnahmeausfällen bei den Verkehrsunternehmen führt. Direkt entstehen diese, wenn anspruchsberechtigte Bürgerinnen und Bürger von einem Monatsticket zum Regelpreis auf ein ermäßigtes Sozialticket umsteigen.

Für die Verkehrsunternehmen entstehen aber auch positive Effekte. Zu nennen sind:

•    die Gewinnung und Bindung von neuen Kundinnen und Kunden,
•    die Reduzierung der Kosten beim Einzelfahrscheinverkauf,
•    eine Senkung des Anteils an „Schwarzfahren“.

Entscheidend ist jedoch die Tatsache, dass für die Verkehrsunternehmen durch die Einführung eines Sozialtickets keine Ausweitung bei den Leistungsangeboten notwendig ist. Es müssen keine zusätzlichen Straßenbahnen oder Busse eingesetzt werden, weil ein größerer Teil der berechtigten Personen sich bereits heute im ÖPNV-System bewegt. Dies bedeutet, jeder durch ein Sozialticket neu gewonnene Fahrgast stellt einen zusätzlichen Mehrerlös für die Verkehrsunternehmen und die Verkehrsverbünde dar.

Ausgleichsleistungen des Landes für Schülerbeförderung und Semesterticket Auf der Basis des § 45 Personenbeförderungsgesetz erhalten die Verkehrsunternehmen zurzeit einen Ausgleich für die Beförderung von Schülerinnen und Schülern aus Landesmitteln. Für das Jahr 2009 sind hierfür insgesamt 130 Million Euro eingestellt, die sich wie folgt aufteilen:

a) Ausgleichsleistungen Schülerbeförderung: 109 Mio. Euro
b) Ausgleichsleistungen Semesterticket: 21 Mio. Euro

a) Ausgleichsleistungen für die Schülerbeförderung:

In NRW gibt es aktuell insgesamt 2,223 Millionen Schülerinnen und Schüler. Hiervon besuchen 721 Tausend die Grundschulen und 1,381 Millionen die weiterführenden Schulformen. Werden diese Zahlen zu Grunde gelegt, dann ergibt sich bezogen auf die Ausgleichsleistungen pro Kopf folgendes Bild:

•    Bezogen auf die Gesamtzahl von 2,223 Millionen Schülerinnen und Schüler beträgt der Ausgleich aus Landesmitteln pro SchülerIn 49 Euro/Jahr oder 4,10 Euro/Monat.

•    Bezogen auf die Anzahl von 1,381 Mio. Schülerinnen und Schüler an den weiterführenden Schulen beträgt der Ausgleich aus Landesmitteln pro SchülerIn 79 Euro/Jahr oder 6,58 Euro/Monat.


b) Ausgleichsleistungen für das Semesterticket:

An den Hochschulen sind aktuell 462 Tausend Studentinnen und Studenten eingeschrieben, der Ausgleich aus Landesmitteln für das Semesterticket beträgt demnach pro StudentIn 45,50 Euro/Jahr oder 3,80 Euro/Monat.

Fazit aus den bestehenden Ausgleichsleistungen

Bezogen auf

•    die Gesamtzahl der SchülerInnen in Höhe von 49 Euro/Jahr und
•    die Gesamtzahl der StudentInnen in Höhe von 45 Euro/Jahr

zeigt sich ein durchschnittlicher Satz an Ausgleichsleistungen aus Landesmitteln für die beiden Gruppen von rund 47 Euro/Jahr. Dieser Satz kann als Maßstab für eine Einführung von Ausgleichsleistungen aus Landesmitteln für ein Sozialticket NRW herangezogen werden.

Anspruchsberechtigte und Einschätzung zum Bedarf für Ausgleichsleistungen aus Landesmitteln für ein Sozialticket NRW

Nach dem Sozialbericht 2007 sind bei Berücksichtigung der Kriterien für die Anspruchsberechtigung nach dem Dortmunder Modell landesweit rund 1,9 Million Menschen Empfängerinnen und Empfänger von Sozial- und Grundsicherungsleistungen. (Zahlen für 2005; Sozialbericht NRW 2007, Seite 148.) Wird diese Gesamtzahl und ein vergleichbarer Beitrag aus der Ausbildungsbeförderung zu Grunde gelegt, ergäbe sich folgender Bedarf:

⇒ 1,9 Mio. Anspruchsberechtigte x 47 Euro/Jahr: 89,3 Million Euro/Jahr

Das Dortmunder Modell hat jedoch gezeigt, dass eine Nachfrage von 100 Prozent unmittelbar nach Einführung nicht gegeben ist. Dies ist auch nachvollziehbar, weil ein erheblicher Teil der Anspruchsberechtigten aufgrund körperlicher, geistiger oder psychischer Einschränkungen kein oder nur ein geringes Interesse an einem solchen Angebot hat. Im ersten Jahr der Einführung lag die Nachfrage bei rund 25 Prozent der Anspruchsberechtigten. Vor diesem Hintergrund scheint ein Ansatz von 35 Prozent zumindest für eine Einführungsphase von zwei Jahren realistisch zu sein. Dies würde einer Nachfrage von rund 665 Tsd. Personen entsprechen:

⇒ 665 Tsd. Anspruchsberechtigte x 47 Euro/Jahr: 31,255 Million Euro/Jahr

Für das Einstiegsjahr scheint auf dieser Basis ein Landeszuschuss in Höhe von 30 Millionen Euro und ein Ansatz von 35 Millionen Euro für das Folgejahr ein angemessener und realitätsnaher Ansatz für die Einführung eines Sozialtickets aus Landesmitteln zu sein.

II. Der Landtag stellt fest:

Für die Teilhabe an der Gesellschaft ist Mobilität eine unverzichtbare Voraussetzung. Dies betrifft sowohl soziale Kontakte, die Versorgung mit Einzelhandels- und Gesundheitsdienstleistungen aber auch die Anforderungen des Arbeitsmarktes setzen heute Flexibilität und Mobilität auch über weitere Entfernungen voraus. Busse und Bahnen erfüllen im Sinne der Daseinsvorsorge diese Mobilitätsansprüche umweltverträglich und klimaschonend.

Das Angebot eines Sozialtickets sichert für die Bezieherinnen und Bezieher von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch eine angemessene Mobilität. Eine aktuelle repräsentative Umfrage zu dem Dortmunder Modell belegt, dass 86 % der Dortmunder Gesamtbevölkerung ein solches Angebot auch im Hinblick auf den Preis unterstützen. Damit ist belegt, dass ein Sozialticket in der Gesamtbevölkerung eine breite Akzeptanz und Solidarität findet. Das Land kann sich bei dieser mittlerweile breit aufgestellten Debatte in den Kommunen, den Verkehrsverbünden und den Verkehrsunternehmen nicht der Verantwortung entziehen. Soziale Verantwortung darf sich nicht nur auf die Schülerinnen und Schüler sowie die Studentinnen und Studenten beschränken, sondern muss auch die einkommensschwachen Bürgerinnen und Bürger einbeziehen.

Das Modell in Köln hat einen erweiterten Kreis an Anspruchsberechtigten, weil der Köln-Pass auch an Personen ausgegeben wird, die im geringen Maße die Einkommensgrenzen nach dem Sozialgesetzbuch überschreiten. Das Modell in Dortmund richtet sich dagegen ausschließlich an die Anspruchsberechtigten nach dem Sozialgesetzbuch sowie dem Asylbewerberleistungsgesetz. Für ein Sozialticket NRW sollten zumindest auf der Ebene der Verkehrsverbünde einheitliche Standards im Hinblick auf den Kreis der Anspruchberechtigten, den Preis und den Geltungsbereich entwickelt werden. Ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen aus Landesmitteln für ein Sozialticket NRW sollte die Festlegung solch einheitlicher Standards innerhalb der Verkehrsverbünde voraussetzen.

III. Der Landtag beschließt:

1. In Anlehnung an die Regelungen für die Schülerbeförderung und das Semesterticket wird die Landesregierung beauftragt, für die Einführung eines Sozialtickets Haushaltsmittel bereit zu stellen. Für das Haushaltsjahr 2009 soll ein Betrag von 30 Millionen Euro und für das Haushaltsjahr 2010 ein Betrag von 35 Millionen Euro an Ausgleichsleistungen vorgesehen werden.

2. Zuwendungsempfänger der Ausgleichsleistungen für ein Sozialticket sollen Kommunen, kommunale Verkehrsunternehmen oder Verkehrsverbünde sein, soweit diese sich in den entsprechenden Gremien für die Einführung eines Sozialtickets entscheiden.

3. Unabhängig von der Bereitstellung der Landesmittel für ein Sozialticket NRW wird die Landesregierung beauftragt, in einem dialogorientierten Verfahren gemeinsam mit den Verkehrsverbünden einheitliche Kriterien, insbesondere für den Kreis der Anspruchsberechtigten, die Preisgestaltung und den Geltungsbereich, zumindest auf Ebene der jeweiligen Verkehrsverbünde, kurzfristig zu entwickeln. Die Doppelbestrafung für sozialpolitisch engagierte Städte durch einerseits finanzpolitisches Engagement für das Sozialticket und andererseits durch die damit einhergehende Umverteilung der verbundweiten Mehrerlöse muss dringend beendet werden.

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