Sendung vom 01.11.2012
Themen: Gedenken für Opfer von Nazigewalt (ab 0:45) --- Bestimmt zukünftig der Verfassungsschutz über die Gemeinnützigkeit von Vereinen? (ab 6:00) --- Anstieg der Strompreise: Sind wirklich die erneuerbaren Energien schuld? (ab 17:47) --- Meckerecke: der neue Hörder Bahnhof (ab 27:18) --- Rezept: Brennesselpesto (ab 29:38)--- insgesamt 31,25 Minuten; 9,5 MB
Bestimmt zukünftig der Verfassungsschutz über die Gemeinnützigkeit von Vereinen?
Das Steuergesetz sollte geändert werden. Seit Ende Oktober ist der Entwurf jedoch vom Tisch. Die Änderung sah vor das Vereine und Organisationen die durch den Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft werden, automatisch ihre Gemeinnützigkeit verlieren. Am 26. September war der Gesetzesentwurf im Finanzausschuss des Bundestags Thema. Kritik daran durfte für den RAV, den Republikanischen Anwältinnen und AnwälteVerein der Rechtsanwalt Sönke Hilbrans vortragen. Mit ihm sprach Fabian von Radio Dreyeckland aus Freiburg. Ein Beitrag vom Audioportal der freien Radios: http://freie-radios.net/51212
Gedenken für Opfer von Nazigewalt
Am 24. September wurde in der Nordstadt ein Gedenksteinstein für Mehmet Kubasik eingeweiht. Mehmet Kubasik wurde im April 2006 von Mitgliedern der rechten Terrorgruppe NSU in seinem Kiosk an der Mallinckrodtstrasse erschossen.
Die Einweihung des Gedenksteins fand in den Medien große Beachtung. OB Sierau entschuldigte sich bei der Einweihung mit bebender Stimme bei den Angehörigen für die falschen Anschuldigungen nach dem Mord. Sierau sagte, dass es ihn betroffen mache, dass dieser Mord über viel zu lange Zeit nicht als rechtsextremistische Straftat erkannt wurde.
Das mag ja stimmen. Dass andere rechtsextreme Taten in Dortmund nicht als Solche erkannt werden scheint ihn aber nicht weiter zu belasten. Ziemlich genau ein Jahr vor der Ermordung Mehmet Kubasiks wurde an der Kampstrasse der Punker Thomas Schmuddel Schulz von einem Nazi erstochen. Diese Tat wird bis heute offiziell nicht als rechtsextrem gewertet.
Mehrfach brachten Antifaschisten an der Kampstrasse eine provisorische Gedenktafel für den Punker an. Diese wurde von der Stadt immer wieder entfernt. Bei der Gedenkveranstaltung in diesem Jahr wurden sogar Punker daran gehindert den Tatort, die U-Bahnhaltestelle Kampstrasse zu betreten. Das Versprechen der Stadt an der Haltestelle eine Gedenktafel anzubringen wurde bis heute nicht eingelöst.
Mir drängt sich da die Frage auf, wie Ernst es die Dortmunder wirklich mit dem Antifaschismus meinen. Mehmet Kubasik war eines der 10 Mordopfer des NSU. In einer gemeinsamen Erklärung hatten die Städte, die Schauplatz der Mordserie waren, angekündigt, Gedenkorte für die zehn Opfer des NSU einzurichten. Da kann sich die Stadt Dortmund schlecht vor drücken.
Bei dem ein Jahr zuvor ermordeten Punker sieht die Sache anders aus. Thomas Schulz widersprach dem damals 17jährigen Sven Kahlin, als dieser in der U-Bahnstation rechtsextreme Parolen brüllte. Weil Thomas Schulz die immer wieder gern geforderte Zivilcourage zeigte, wurde er umgebracht. Vielleicht gäbe es an der Kampstrasse schon längst eine Gedenktafel, wenn ein ehrbahres Mitglied der Stadtgesellschaft dort abgestochen worden wäre. Aber es war ja nur ein Punk.
Bei den NSU-Morden zeigt sich immer deutlicher dass sich nicht nur – aber insbesondere - der Verfassungschutz unglaubliche Sachen geleistet hat. An Zufälle, Pech, Pannen und unfassbarer Schlamperei kann man angesichts der Erkenntnisse der Ermittlungsausschüsse schon lange nicht mehr glauben. Verschleierung, Aktenvernichtung und Verschleppung zum Schutz der rechtsextremen Gewalttäter scheinen beim Verfassungsschutz zum Alltag zu gehören.
In Dortmund scheint es darüber hinaus noch in einer weiteren staatlichen Institution Sympathien für rechte Gewalttäter zu geben. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass das Gericht bei dem Mord an Thomas Schulz keinen rechten Hintergrund erkennen konnte. Denn die Dortmunder Neonazis bekannten sich schon kurz nach dem Mord im Internet zu dem Täter und seiner Tat. Der Mörder sei einer ihrer „Kameraden“, ein Anwalt sei ihm zur Seite gestellt worden.
Kaum war Kahlin – vorzeitig – aus dem Gefängnis entlassen war er an einem Überfall auf die Kneipe HirschQ beteiligt. Ende letzten Jahres schlug und trat er dann 2 Jugendliche auf dem Weihnachtsmarkt krankenhausreif. Nach einigen Monaten Untersuchungshaft ist Kahlin mittlerweile wieder auf freiem Fuß. Eine Wiederholungsgefahr besteht nach Ansicht des Gerichts nicht.
Es scheint sich in den letzten 90 Jahren nicht viel geändert zu haben. Auch in der Weimarer Republik gab es von Anfang an Terror durch rechte Gewalttäter. Zu befürchten hatten sie wenig. Selbst wenn sie häufig im Untergrund operieren mussten, wurden sie von verlässlichen Komplizen in Armee und Innenministerien mit den nötigen Informationen versorgt. Noch besseren Schutz aber boten ihnen die Strafverfolgungsbehörden, die bereitwillig Verfahren verschleppten und Verdächtige verschonten, bis sie untergetaucht waren.
Ließ sich eine Anklage gar nicht mehr vermeiden, trafen die rechten Terroristen auf den verständnisvollen Respekt einer Richterschaft, welche die Täter nur im äußersten Notfall verurteilte. Die nationalkonservative Justiz agierte als treue Gehilfin des Terrors.
Ein durchschnittlicher Mord von rechts kostet vier Monate Haft und zwei Reichsmark Geldstrafe. So errechnet es 1920 der junge Statistiker Emil Julius Gumbel. In akribischer Kleinarbeit hatte er Gerichtsakten, Einstellungsbescheide, Zeugenaussagen und Presseberichte zusammengetragen und daraus einen Überblick über die politischen Morde in Deutschland seit der Revolution vom 9. November 1918 aufgestellt: von rechts weit über 300, von links knapp zwei Dutzend.
Während geständige Rechtsterroristen gute Chancen auf einen Freispruch haben, erwarteten die Täter von links im Normalfall 15 Jahre Freiheitsstrafe oder gleich die Hinrichtung.