"Gerechtigkeitslücke bei VRR-SozialTicket"
Das Sozialgericht Dortmund bemängelt in einem aktuellen Urteil, dass die Regeln für das Sozialticket-Angebot des VRR bestimmte bedürftige Kreise ausschliessen. Geklagt hatte ein verheirateter Rentner, dem ein Weiterbezug der rabattierten Monatskarte versagt wurde, seitdem er reguläre Altersrente bezieht - obwohl sich an den prekären finanziellen Verhältnissen des Paars dadurch nichts geändert hatte. Die beantragte einstweilige Verfügung wurde zwar abgelehnt, doch dem VRR wurde auf dem Weg gegeben, die Ungleichbehandlung durch die Beförderungsbedingungen aus der Welt zu schaffen. (hh)
Hier der Text der Pressemitteilung des Dortmunder Sozialgerichts vom 30. Juli 2013:
Rentenbezüge in Höhe der Grundsicherungsleistungen führen nicht zur Ausstellung eines Berechtigungsscheines für ein Sozialticket des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR).
Dies entschied das Sozialgericht Dortmund in einem Eilverfahren. Der Antragsteller, ein ehemaliger Bezieher von Arbeitslosengeld II, verlangte von der Stadt Dortmund die Ausstellung eines Berechtigungsscheines für das VRR-Sozialticket. Die Stadt Dortmund lehnte dies für die Zeit ab der Bewilligung einer Altersrente i.H.v. monatlich 564,41 Euro ab. Der Antragsteller beziehe nunmehr keine Grundsicherungsleistungen mehr und der seinen Bedarf übersteigende Rentenbetrag werde auf den Grundsicherungsbedarf seiner Ehefrau angerechnet.
Das Sozialgericht Dortmund hat es abgelehnt, die Stadt Dortmund im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, dem Antragsteller einen Berechtigungsausweis zum Erwerb eines VRR-Sozialtickets auszustellen. Zur Begründung führt das Gericht aus, die Beförderungsbedingungen des VRR stellten allein auf den Bezug von Grundsicherungsleistungen ab, die der Antragsteller nicht mehr erhalte. Gleichwohl verkenne das Gericht nicht, dass sich die wirtschaftliche Situation der Eheleute durch die Rentengewährung nicht verbessert habe. Die Summe der Einkünfte der Eheleute aus Altersrente und SGB II – Leistungen der Ehefrau entspreche der Summe der bislang an beide ausgekehrten SGB II-Leistungen. Die allein auf den Bezug bestimmter Sozialleistungen abstellenden Beförderungsbedingungen des VRR trügen dem Umstand nicht Rechnung, dass die Eheleute wirtschaftlich Sozialhilfeempfängern gleich stünden. Dem Ziel des Sozialtickets, wenig begüterten Menschen die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs und damit eine umfassende Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen, würden die aktuellen Beförderungsbedingungen des VRR damit nur unzureichend gerecht.
Sozialgericht Dortmund, Beschluss vom 29.07.2013, S 41 SO 263/13 ER
Die eigentliche Ursache liegt aber woanders: Der Verkehrsverbund und die in ihm zusammengeschlossenen Städte und Landkreise haben bei der Einführung des "SozialTickets" darauf bestanden, dass es für das Ticket keine zusätzlichen Bedürftigkeitsprüfungen geben dürfe, also nur Bezieher/-innen von gesetzlichen Sozialleistungen (oder von Wohngeld), deren Bedürftigkeit bereits per Bewiligungsbescheid testiert wurde, auf das Ticket zugreifen können.
Diese Position wird sich angesichts des o.g. Urteils vermutlich nicht mehr lange halten lassen. Zumal es etliche weitere Personengruppen gibt, deren ökonomische Situation mit der von Sozialleistungsbeziehern vergleichbar oder sogar noch schlechter ist: z.B. Personen, die - wegen des damit verbundenen Aufwands, wegen der mit einem Leistungsbezug nach SGB II oder SGB XII verbundenen Auflagen und Schikanen, oder einfach nur aus Scham - auf das Geltendmachen eines (Rest-) Anspruches verzichtet haben, Familien mit Kinderzuschlag (KiZ) nach § 6a Bundeskindergeldgesetz, Personen/Haushalte, die ihren rechtlichen Anspruch - etwa auf Wohngeld - gar nicht kennen, Personen ohne festen Wohnsitz u.e.a.m.
Es ist nicht einzusehen, dass diese Personengruppen erst einen Leistungsanspruch gegenüber dem Staat geltend machen müssen, bevor sie die rabattierte Monatskarte beantragen können. Auch wenn der individuelle Entlastungseffekt durch das "SozialTicket" angesichts des hohen Preises letztendlich nur sehr begrenzt ist - einige wenige Fälle, mit sehr speziellen Mobilitätsbedürfnissen, vielleicht ausgenommen.