Liebe Dortmunderinnen und Dortmunder,
die Bundestagsabgeordneten, die Hartz IV beschlossen haben, hatten nicht nur ihr soziales Gewissen, sondern anscheinend auch ihren Verstand vorher beim Pförtner abgegeben. Erkläre mir mal einer, wie das gehen soll, wenn man von ALG-2-Beziehenden intensive eigene Bemühungen um Arbeit verlangt, ihnen aber ganze 14,03 € im Monat für öffentliche Verkehrsmittel zubilligt? Wenn die günstigste Zeitkarte schon 31,80 € kostet? Soll man sich den Rest vom Essen absparen? Oder von der Winterbekleidung?
Auch die vier Fraktionen im Dortmunder Stadtrat haben keinen Gedanken auf diesen Aberwitz verschwendet, wenn sie unsere wiederholten Anträge für ein Sozialticket immer wieder ablehnten. Die meisten Ratsmitglieder haben unseren Gründen nicht mal zugehört, das hat sie gar nicht interessiert.
Die Forderung nach Nulltarif im Öffentlichen Nahverkehr ist aus vielerlei Gründen vernünftig, berechtigt und finanzierbar. Das wissen wir doch schon seit beinah vierzig Jahren. Damals wußten das nicht nur Linke, sondern etwas später auch die Grünen. Was ist aus denen geworden, die heute nicht mal mehr zu Fahrpreis-ermäßigungen bereit sind! An wen haben die ihren Verstand verkauft, den sie mal hatten?
Selbst wenn die Fraktionen bereit wären, eine 50%-Ermäßigung auf das billigste VRR-Ticket zu beschließen, wäre das noch zu teuer. Selbst ein Monatsticket für 14 € wäre noch zu teuer. Oder haben Langzeitarbeitslose etwa kein Recht, mal eine Tante in Wattenscheid zu besuchen oder Freunde in Wuppertal oder das Folkwangmuseum in Essen? Das alles könnten sie nicht, weil sie ihre 14 € schon an die Dortmunder Stadtwerke abgetreten hätten. Was machen die Dortmunder Stadtwerke damit? Sie reichen das Geld direkt an den Dortmunder Flughafen durch, und der Dortmunder Flughafen reicht es sofort an Easyjet und WizzAir weiter. Jedes Flugticket von Dortmund aus wurde im abgelaufenen Jahr mit 11 € von den Stadtwerken subventioniert. 11 € für jedes einzelne Flugticket, dafür ist Geld genug da, aber 14 € für Monatskarten von Jobsuchern und Tafelkunden sind angeblich nicht vorhanden. 22 Millionen Defizitausgleich für den Flughafen sind vorhanden – aber 16,8 Millionen Defizitausgleich für 100.000 Hartz-IV-Opfer sind nicht vorhanden in dieser Stadt unter diesem OB. Schon weil dieser Irrsinn keinem vernünftigen Menschen in den Kopf geht, möchte man mit den Verantwortlichen am liebsten gar nicht um Ermäßigungen feilschen, das sind so Leute gar nicht wert.
Also eigentlich hat das Sozialforum jedes Recht, knallhart den Nulltarif zu fordern. – Nur wissen wir alle, wie Politik bei uns funktioniert. Wenn wir im Rat heute den Nulltarif fordern, laufen wir frontal gegen die Wand. Darum müssen wir auch über Zwischenschritte nachdenken, die heute durchsetzbar sind. Ermäßigte Sozialtickets gibt es ja schon in mehreren Städten auch in Nordrhein-Westfalen. Etwa zeitgleich im Dezember 2006, als der Dortmunder Stadtrat unseren jüngsten Antrag zum Sozialticket nicht mal behandeln wollte, beschloss der Kölner Stadtrat, den Kölnpass mit etwa 50 % Rabatt auf städtische Nahverkehrstickets auszustatten. Und zwar zunächst aus der Stadtkasse, um so die Modellrechnungen im Pilotversuch überprüfen zu können, nach denen die Kölner Verkehrsbetriebe durch die Ermäßigung sogar 1 Million Euro Mehreinnahmen jährlich erzielen! - In Dortmund waren die Ratsfraktionen nicht mal bereit, solche Modellrechnungen überhaupt anzustellen. So dumm und blind wird hier Kommunalpolitik verantwortet.
Ich denke, da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Vielleicht überlegen sich die Organisatoren dieser Aktion heute, mal direkt mit den Dortmunder Stadtwerken zu sprechen, um zu testen, ob die Verantwortlichen dort auch so blind und dumm sind wie die Ratsmehrheit. Versuch macht kluch.
Danke für's Zuhören.
Redebeitrag von Wolf Stammnitz zum Aktionstag des Sozialforum Dortmund für ein "Sozialticket zum Nulltarif" am 03.02.2007