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Vortrag von Peter Strube in der Veranstaltung „Hände weg vom Sozialticket“

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Wesentliche Fakten genannt worden: Notwendigkeit, Vergleichsberechnung z.B. Dortmund – Köln, Ängste vor Verlust. Letztlich läuft es meist darauf hinaus: wichtig wäre es schon, aber wer soll es bezahlen. Und da machen wir ja eine vielleicht manchen gar nicht mehr so überraschende Entdeckung: sowohl Kommune wie Bund haben ungeheure große Sozialhaushalte und sind, je nach Zustand stolz darauf, so viel für die Armen zu tun oder unglücklich, daß sie nicht mehr tun können.

Oder man muss so abgebrüht sein, wie ein ehemaliger OB-Kandidat der CDU und FDP; dass er die notwendige Unterstützung für ein Sozialticket aufrechnet mit dem Niedriglohnverdiener, dem es ja nicht zuzumuten sei, voll zu bezahlen, obwohl er kaum mehr verdiene.

Da steckt doch der Skandal drin. Diese Äußerung entlarvt doch ganz deutlich, in welchem a- sozialen System wir stecken: die immer wieder ach so beliebte Mitte schrumpft immer mehr zu einer Schrumpffigur politischer Phantasien zusammen. Natürlich braucht der Geringverdiener auch ein Sozialticket, da bräuchten wir uns doch gar nicht mehr drüber auszulassen, wenn nicht immer wieder die Frage käme: woher soll die Kommune das Geld nehmen.

Da sind natürlich einige Projekte, die eher auf den Prüfstand gehören als das Sozialticket- das ist ja schon vielfach angesprochen: Flughafen, sogenannte Leuchtturmprojekte, die ich allerdings (wahrscheinlich im Unterschied zu manchen hier im Saal) nicht alle in Bausch und Bogen verdamme.

Daneben ist für mich aber auch sehr spannend die langfristige und grundsätzliche Fragestellung:

Wie kommt es eigentlich, dass die Sozialhaushalte so riesig sind, obwohl die vorhandene Geldmenge insgesamt gar nicht genommen hat – warum muss der Staat, die Kommune so viele Transferleistungen, und dann auch noch oft mit Zähneknirschen und mit entwürdigenden Bedingungen verbunden, zahlen? Es ist ( neben dem klaren privatwirtschaftlichen Unternehmerprinzip der Profitmaximierung, oft verbunden mit Ausbeutung, manchmal sozial abgemildert) schlicht und ergreifend eine Umverteilung von unten nach oben vorgenommen worden, natürlich eine Steuerungerechtigkeit, die mit den lächerlich anmutenden Steuersenkungen der neuen Regierung nicht nur nicht behoben, sondern noch verschärft wird. Welcher Hartz IV – Empfänger hat denn z.B. schon so ein Vermögen, das etwas weniger angetastet werden soll als bisher? Also, wem kommt diese so überaus soziale Revolution von schwarz-gelb zugute.

Und überhaupt: die Steuersenkung: welch wunderschauriges Schauspiel der Regierung, ach so plötzlich zu entdecken, dass eigentlich gar kein Geld für die hoch und heilig versprochenen Steuersenkungen da ist. So eine Überraschung. Mit Verlaub, da sind die fehlenden 100 Millionen im Stadtsäckel ja fast zu vergessen, ohne dies schönreden zu wollen. Allerdings – hier sind wir betroffen. Wie viele andere soziale Einrichtungen und z.B. das Sozialticket, fürchten wir auch für das ALZ natürlich um den Erhalt.

Aber nochmal: wie kommt es zu dieser Umverteilung, zu diesem Anwachsen des Sozialetats, der zumindest die schlimmsten Auswirkungen der schrecklichen Umverteilung nach außen mildern soll.

Wir haben im Bundeshaushalt einige Etats, die wir getrost gesundschrumpfen lassen könnten und sollten bzw. ersatzlos streichen -. Minister zu Gutenberg ist ein „toller Mann“, aber er könnte von mir aus Ministerpräsident von Bayern werden, aber das sogenannte Verteidigungsministerium bräuchte er nicht zu führen, weil diese Einrichtung schlicht überflüssig ist und mit Verteidigung eh nichts mehr am Hut hat.

Ihr merkt, ganz beiläufig, dass für mich das zu häufige Auseinanderdriften von Sozialpolitik und Friedenspolitik fatale Folgen hat. Das Geld, das falsch investiert wird, z.B. Rüstungsetat etc., fehlt natürlich an anderer Stelle im sozialen Bereich. Da können soziale Bewegungen und Friedensbewegungen noch enger verzahnt miteinander kooperieren. Ich weiß, ist auch eine Frage des Zeitaufwandes, aber hier und da wäre es auch eine sinnvolle Synergie. Ist ja auch schon bisweilen gelungen.

Eine weitere Kooperation könnte es geben, wenn wir, die wir uns für das Sozialticket einsetzen, uns mit der Stadt zusammen auf den Weg machten und in Berlin die uns fehlenden Gelder einklagen. Der Städtetag hat schon in anderen Bereichen – zuletzt drohender Wegfall der Gewerbesteuer- manche Initiative ergriffen. Wir ziehen da bisweilen am gleichen Strang.

Ich möchte auch für das ALZ neben der Stadt das Land und den Bund in die Pflicht nehmen. Sicher sind manche Ausgaben des Bundes und des Landes nicht so wichtig im Verhältnis zu unseren sozialen berechtigten Überlebensforderungen. Und wer im Bund das Sagen hat, wird nicht immer die Belange des Bürgers in einer Kommune vor Augen haben. Da können wir doch behilflich sein. Behilflich sein für eine vernünftigere Politik.

Bei einer vernünftigen Politik bräuchten solche Schieflagen, dass es miese bezahlte Jobs gibt, die dann auch nichts mehr mit Beruf, Berufung zu tun haben, und dass es darüber hinaus einige Millionen Erwerbslose gibt und weitere Millionen, die davon mit betroffen sind, die Unterschicht, wie es inzwischen wieder unverhohlen formuliert wird, solche eine Schieflage bräuchte nicht zu entstehen.

Nehmen wir doch nur ein Beispiel: die Banker sollen ja nur noch dann Boni erhalten zu ihrem üppigen Grundgehalt, wenn sie erfolgreich sind. Erfolgreich ist man in unserem System, wenn die Kasse stimmt. Und die Kasse stimmt, wenn die Profite steigen. Und die Profite steigen, wenn die Ware Mensch optimal ausgenutzt wird. Und die Ware Mensch wird optimal ausgenutzt, wenn sie entweder schlecht bezahlt wird oder im Verweigerungsfall, frei gesetzt wird, sprich, rausgeschmissen. Und es sage mir einer, das sei eine unzulässige Vereinfachung der ökonomischen Abläufe. Also, ein erfolgreicher Banker ist dann ein erfolgreicher Banker, wenn er viel Gewinn erzielt und diesen kann er in der Regel nur mit entweder horrenden gefährlichen Spekulationen oder mit weiterem Arbeitsdruck auf die noch nicht entlassenen Mitarbeiter oder in unseliger Verbundenheit beider Mechanismen erreichen. Erfolg im Kapitalismus, so merken wir, hat ein sehr zweischneidiges Gesicht, wobei ich nicht alles unter einen Hut kehren will.

Wenn gespart werden soll, dann fragt sich z.B. der manager (die Zeitschrift) soll ich an den Zuschüssen zur Windenergie sparen oder den Hartz IV-Satz senken. Welche wundervolle Alternative. Das ist die Ebene des Herrn OB-Kandidaten, den ich oben zitiert habe: die Hartz4er kann ich doch nicht denen vorziehen, die mit wenig mehr Lohn nach hause kommen. In welchem System leben wir, das solche Alternativen, die keine sind, öffentlich nennen darf?

Glaubt mir, in ganz vielen Gesprächen im ALZ, spätestens wenn es um die Finanzierung des Lebens geht, kommt die bange Frage, wird das Sozialticket bleiben? Wenn ich mehr zahlen muss, geht eine ganze Woche Lebensmittel drauf. Ja, 30 Euro für eine Woche Lebensmittel, damit soll man auskommen und dann auch noch 27 oder 30 Euro im Monat für die zum Leben notwendige Bewegungsfreiheit zahlen.

Es geht um die Teilnahme am Leben, um nichts Geringeres. Teilnahme, ich möchte teilnehmen, aktiv handeln können, bestimmen können, ob ich mal ins Kino fahren kann, ein Sonderangebot annehmen kann, das aber nur mit der Bahn zu erreichen ist, auch eine nicht von der Behörde angeordnete und deshalb dann auch von ihr bezahlte Fahrt antreten kann, Freunde besuchen. Ihr habt diese Notwendigkeiten schon gehört.

Und damit sind wir bei dem Thema, das wir im ALZ ja täglich spüren: Angst vor dem Ausgeschlossen sein, nicht teilnehmen zu können an dem, was uns die Werbewelt vorgaukelt als etwas für alle Vorhandenes. Und nicht nur die Werbewelt gaukelt vor.

Wenn von Politikern oder Wirtschaftlern gesagt wird: Jeder kann zu Erfolg kommen, er muss nur Leistung bringen, ist dies doppeltes Unrecht. Erstens ist Leistung erbringen eine unsagbar schwierige Definitionsfalle – wer versteht was unter welcher Leistung und zweitens kann eben nicht jeder alles, was gefordert wird. Berufliche Mobilität wird gefordert, aber lebensgebundene Mobilität wird verhindert, wenn ich mir nicht leisten kann, in die Stadt zu fahren, aufs Land zu fahren, angewiesen zu sein, auf die leblose Kommunikation (ein Widerspruch in sich selbst) mit der toten Materie von Computern und ähnlichem. Das lebendige Fühlen und Erleben eines Gesprächs im Gegenüber ist durch nichts zu ersetzen.

Das Sozialticket muss bleiben, verbilligt werden und landesweit, ja bundesweit eingeführt werden., so wie die ALZ ausgebaut werden müssen und landesweit und bundesweit gefördert werden müssen neben dem kommunalen Zuschuss.

Peter Strube, Vorstand Arbeitslosenzentrum Dortmund am 05.11.09 im Wichernhaus

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