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RN Dortmund 26.10.2004

RN-Interview mit Wiebke Claussen, Sprecherin des Sozialforum Dortmund, und Forumsmitglied Heiko Holtgrave über die "Arbeitsmarktreformen" (Hartz IV / SGB II) - Zum im Artikel benutzten Begriff "kritischer Begleiter von Hartz IV" siehe anhängenden Kommentar



26. Oktober 2004 | Ruhr Nachrichten Dortmund

Finger in die Wunden legen

Dortmunder Sozialforum ist kritischer Begleiter von Hartz IV

Sehr kritisch begleitet das Sozialforum Dortmund Hartz IV. RN-Redakteurin Bettina Kiwitt sprach mit Wiebke Claussen, Sprecherin des Forums, und Forumsmitglied Heiko Holtgrave über die Arbeitsmarktreformen.

Was haben Sie sich als Sozialforum in Sachen Hartz IV vorgenommen ?

Claussen:   Wir wollen den Finger in die Wunden legen. Es wird sehr vieles beschönigt.

Was zum Beispiel ?

Holtgrave:   Sozialamtsleiter Bartow beschwichtigt zum Beispiel immer, dass es im Zuge der Arbeitsmarktreform nicht zu Zwangsumzügen kommt. Wir sind aber sicher: Das wird geschehen.

Claussen:   Bei der Gewährung von Arbeitslosengeld und -hilfe spielten Größe und Preis der Wohnung bisher keine Rolle, anders als in der Sozialhilfe. Demnächst gelten für alle diese Gruppen fixe Obergrenzen. Das wird für viele eine ganz bittere Erfahrung.

Wie finden Sie die Vorgehensweise der Agentur für Arbeit in Sachen Arbeitslosengeld II ?

Claussen:   Die Agentur bietet sicherlich viele Gespräche an rund um das Ausfüllen der Fragebögen zum Arbeitslosengeld II. Aber es ist doch wichtig, dass die Betroffenen auch eine unabhängige Beratung bekommen. Es geht immerhin um ihre wirtschaftlichen Verhältnisse.

Holtgrave:   Ich gehe ja auch nicht zum Finanzamt, wenn ich Rat zu meiner Steuererklärung benötige, sondern zum Steuerberater.

Gibt es denn unabhängige Beratung in Dortmund ?

Claussen:   Ja, es gibt sie, aber in viel zu geringem Umfang. Wir als Sozialforum bieten Beratung, mehr noch das Arbeitslosenzentrum, der Mieterverein oder auch die Sozialverbände. Aber bei rund 49000 Bedarfsgemeinschaften sind alle hoffnungslos überfordert. Und jedes Gespräch braucht seine Zeit.

Es werden doch auch immer wieder Info-Veranstaltungen angeboten ?

Claussen:   Die haben aber ein sehr allgemeines Niveau. Bei Alg II muss man wirklich jeden Einzelfall betrachten.

Gibt es denn nicht genug schriftliche Erläuterungen zu dem Alg II-Anträgen ?

Holtgrave:   Am Anfang gab"s die gar nicht! Erst seit dem 16. September, also zwei Monate nach Beginn der Versendeaktion, gibt es auch Ausfüllhilfen. In denen sind endlich auch die Bedenken von Datenschützern berücksichtigt.

Was kritisieren die ?

Holtgrave:   Zum Beispiel, dass die Antragsteller Angaben zu Name, Adresse und Kontoverbindung des Vermieters machen sollten. Diese Angaben sind jetzt freiwillig.

Die Agentur für Arbeit macht Druck, sie will möglichst zügig die Alg-II-Anträge auf dem Tisch haben. Was raten Sie den Betroffenen ?

Claussen:   Lasst euch von der Agentur für Arbeit nicht drängen. Die vielen Unterlagen zusammenzutragen und die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, das alles braucht schließlich seine Zeit. Bei Lebensversicherungen, die über die Schongrenzen fallen, muss man ja gegebenenfalls mit seinem Versicherer die Police nachverhandeln. Und dafür braucht man eigentlich schon einen Vermögensberater.

Raten Sie denn, den Alg-II-Antrag erst auf den letzten Drücker abzugeben ?

Holtgrave:   Nein. Wir raten den Betroffenen, dass sie ihn so bald wie möglich abgeben sollen. Aber sie sollten alle Angaben ganz sorgfältig abwägen.

Nehmen wir mal an, es ist schon der 2. Januar 2005. Was bedeutet aus Ihrer Sicht die Einführung von Hartz IV für die Betroffenen ?

Claussen:   Ein ganze Reihe von Leuten wird keine Leistungen mehr bekommen, etwa weil in der Bedarfsgemeinschaft ein Verdiener ist. Insgesamt wird das Einkommensniveau der Arbeitslosenhilfe- und Arbeitslosengeldbezieher absacken.

Was bedeutet das für die Stadt Dortmund ?

Holtgrave:   Laut unserer Berechnungen werden den Dortmundern zwischen 50 und 75 Mio. Euro weniger pro Jahr zur Verfügung stehen. Das hat Auswirkungen auf den Handel, der eh schon gebeutelt ist, das Handwerk und viele Dienstleistungen. Die lokale Ökonomie wird auf jeden Fall leiden.

Hartz IV will fordern und fördern. Wird dieser Anspruch erfüllt ?

Claussen:   Überhaupt nicht. Das Fördern spielt doch keine Rolle mehr. Ein-Euro-Jobs sollen das Pendant zu den früheren AB-Maßnahmen sein. Doch die Ein-Euro-Jobs sind doch nichts anderes als ein Arbeitsdienst. Einen Arbeitsplatz im ersten Arbeitsmarkt bekommt dadurch niemand. Es sind doch einfach keine Jobs da.

Was finden Sie an Hartz IV besonders ungerecht ?

Holtgrave:   Dass jemand nach einem Jahr Arbeitslosigkeit automatisch nur noch das Arbeitslosengeld II erhält, ganz unabhängig davon, wie viele Jahre er berufstätig war und die Sozialsysteme mitfinanziert hat.

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Weitere Infos unter www.free.de/sofodo

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