Benutzerspezifische Werkzeuge
Sie sind hier: Startseite über uns Medienecho Schacht- und SCHLACHT-ZEICHEN am Himmel

Schacht- und SCHLACHT-ZEICHEN am Himmel

Im Rahmen der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 markieren vom 22. bis 23. Mai 350 gelbe mit Helium gefüllte große Ballons über dem Revier die Standorte ehemaliger Zechen im Ruhrgebiet. Die Aktion trägt den Namen SchachtZeichen.

Nach einigen wetterbedingten Pannen und leider auch Vandalismus, dem die Schachtzeichen am letztem Wochenende ausgesetzt gewesen waren, sollen die Ballons heute nun überall im Ruhrgebiet auf die geplante volle Höhe von 80 Metern steigen. In der Dunkelheit werden sie beleuchtet weithin zu sehen sein. Allein in Dortmund sind 35 Orte - wo frühere Zechen waren -  auf diese Weise gekennzeichnet. Eine durchaus interessante und gewiss über das Revier hinausstrahlende Kunstaktion. Sie soll den Strukturwandel im Ruhrgebiet aufzeigen und ihn sinnlich erfahrbar machen.

Einer dieser gelben Ballons kostet mehr als 5000 Euro. Nicht mitgerechnet, die Planungs- und Organisationskosten. Viele der notwendigen Arbeiten wurden und werden (Betreuung der Standorte) ehrenamtlich geleistet. Über Kunstaktionen lässt sich immer trefflich streiten. Selbstredend auch über die Kosten dafür.

Aktion “SchLachtzeichen”

Allerdings, dachten sich sozial engagierte Bürgerinnen und Bürger im Ruhrgebiet, leben wir in Zeiten der Krise: Die Städte gehen finanziell auf dem Zahnfleisch. Viele Kommunen sind längst pleite. Längst droht allerorten (so auch im Ruhrgebiet) kultureller Kahlschlag und Sozialabbau. Die Kommunen in ihrer Not entledigen sich wo sie nur können der sogenannten freiwilligen Leistungen. Leistungen, zu denen sie das Gesetz nicht verpflichtet. Also werden sie zur Schlachtung freigegeben. Die besagten engagierten Bürgerinnen und Bürger nahmen sich angesichts dieser Misere vor, “wenigstens einmal in all dem Trubel” im Kulturhauptstadtjahr 2010 “‘aufzuzeigen und sinnlich erfahrbar zu machen’, was die Menschen im Ruhrgebiet in diesen Zeiten vor Ort verlieren bzw. bereits verloren haben. Die Aktion SCHLACHTZEICHEN war geboren.

Allein in Dortmund sind an zehn Orten schwarze Ballons aufgestiegen

Am heutigen 29. Mai werden an einigen Orten des Ruhrgebiets beispielhaft Stätten des bereits vollzogenen bzw. drohenden Kultur- und Sozialabbaus gekennzeichnet. In der Zeit von 11 bis 14 Uhr sind allein in Dortmund an zehn Orten für einige Stunden schwarze Ballons (SCHLACHTZEICHEN) zu sehen, um von der Misere zu künden. Laut einem Infoblatt der Aktivisten stammt die Idee dafür ursprünglich von der DKP Ruhr-Westfalen. In Dortmund wird die Aktion allerdings nun von einem breiten Bündnis (Sozialforum, Arbeitslosenzentrum, Attac, DKP, DIE LINKE, dem Linken Bündnis, der linksjugend [’solid] und dem SDAJ) getragen. Die Fraktion DIE LINKE im Rat der Stadt Dortmund unterstützt die Demonstration ebenfalls. Übrigens: Die heute in Dortmund und anderswo im Ruhrpott aufgelassenen schwarzen Ballons kosten im Gegensatz zu den gelben “Schachtzeichen” nicht einmal ganz 10 Euro. Die Aktion lebt vom politischen Engagement für die Menschen in der Region und will dem kulturellen und sozialen Abbau Widerstand entgegensetzen.

An der Dortmunder Reinoldi-Kirche wurde heute vom Sozialforum Dortmund  (SOFODO) abermals die Schaffung eines bezahlbaren Sozialtickets für Arme (deren Zahl sich ja ständig weiter erhöht) gefordert. Laut Sozialbericht leben mittlerweile in Dortmund 100.000 Menschen unter oder an der Armutsgrenze! Bastakanzler Gerhard Schröder warf den zumeist unverschuldet in Armut geratenden und von Sozialleistungen abhängig gewordenen Menschen in diesem Lande einst vor, in der “sozialen Hängematte” zu liegen. Der Demagoge und Vizekanzler Guido Westerwelle schimpfte in diesem Jahre nun die Hartz-IV-Leute und deren angebliche Lebensrealität betreffend über angeblich “spätrömische Dekadenz”.

Protest unter der Dortmunder Reinoldikirche

Schon ist von neuen “Giftlisten” die Rede. Will man die Armen bald schon noch mehr kujonieren? Der Euro wackelt. Die öffentlichen Kassen sind im Minus. Es geht munter bergab. Wer soll die Kosten der Krise zahlen? Deren Verursacher werden ganz offenbar verschont. SOFODO: Es gibt inzwischen Menschen, denen “etwa 118 Euro für Essen und Trinken” im Monat bleiben. Was heißt, dass ihnen gerade einmal 3,98 Euro pro Tag zum leben, 11,49 Euro monatlich für öffentliche Verkehrsmittel und 6,52 Euro zur Teilnahme an Kulturveranstaltungen verbleiben. Für Ehepartner, Kinder und Jugendliche gelten diese Angaben sogar nur anteilig. Kann da noch von einem lebenswerten Leben gesprochen werden? Nein, so die SOFODO-Aktivisten heute in Dortmund an der Reinoldikirche. Dieses Leben lasse sich nur mangelernährt fristen und habe dazu noch einen weitgehenden Ausschluss der armen Menschen vom öffentlichen Leben einer Stadt zur Folge. Man fordere aus diesen Gründen bei Hartz-IV einen Eckregelsatz von mindestens 500 Euro mindestens sowie einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro.

An diesem Sonnabend dominieren also gelbe Schacht- und rabenschwarze SchLachtzeichen das Ruhrgebiet. Beides sind Symbole, die mit dem Leben der Menschen dort (aber auch anderswo) zu tun haben. Sie geben reichlich Anlass zum Nachdenken. 


Quelle: readers-edition.de vom 29.05.2010

Artikelaktionen