Hände weg vom Sozialticket! Über 15 € darf's auf keinen Fall gehen!
Pressemitteilung des Sozialforums Dortmund
Man kann nur mit dem Kopf schütteln, mit welcher Beliebigkeit -- um nicht zu sagen: mit welchem Zynismus - Leute wie Prüsse (SPD) und Pehlke (Stadtwerke) sich zum Sozialticket und dessen Preis äußern. Da ist die Rede vom "Spaß", den die einen -- nämlich der Rat der Stadt Dortmund - bestellt haben und nun gefälligst auch bezahlen sollen, oder vom "grünen Räppelchen", auf das der (grüne) Koalitionspartner nun doch bitte schön verzichten solle. Sprache ist verräterisch.
Die ganze Aufregung um angeblich drohende Riesen-Defizite mißachtet die soziale Situation der Betroffenen und den Stellenwert der Fahrpreisermäßigung. Obwohl wir in einem der reichsten Länder der Welt leben, nimmt die Armut in unserer Region (und nicht nur hier) seit Jahren zu. Allein die ARGE Dortmund bilanziert, dass in Dortmund im Mai rund 81.400 Menschen in Bedarfsgemeinschaften nach SGB II lebten. Hinzu kommen Zigtausende weitere von Armut Betroffene, die z.B. nur eine niedrige Rente empfangen, einen Lohn bekommen, der kaum zum Leben reicht, oder die als Asylsuchende auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Insgesamt sind das gut 100.000 Menschen, mithin ein Sechstel aller Bürger und Bürgerinnen dieser Stadt.
Beinahe unnötig zu erwähnen: Armut ist in den hoch entwickelten Gesellschaften nicht unbedingt gleichbedeutend mit Hunger oder Elend. Armut ist hierzulande vor allem Ausdruck von sozialer Ungleichheit und bedeutet -- zumindest tendenziell - Ausschluss vom sozialen und kulturellen Leben.
Mit den 14,26 €, die im Regelsatz von Hartz IV-Empfängern monatlich für Nah- und Fernverkehr vorgesehen sind1, kommt mensch nicht weit. Das ist allzu offensichtlich, und aus eben diesem Grund haben wir uns in den letzten Jahren für ein Nullticket im Stadtverkehr für Einkommensschwache eingesetzt. Herausgekommen ist eine 15-€-Version - und auch das nur für einen Teil der Benachteiligten.
Genau diese Version ist jetzt Gegenstand des öffentlichen Gezerres. Das Ticket komme der Stadt zu teuer, der Preis müsse deshalb vorzeitig angehoben werden, erklären Stadtwerke und SPD-Ratsfraktion unisono. Dass es gut wäre, sich möglichst schnell auch aus dem hoch-defizitären Flughafen zurückzuziehen, das sagen sie nicht. Aus unserer Sicht sind die von den Stadtwerken bislang zum Sozialticket präsentierten Zahlen wenig glaubwürdig. So hieß es unter anderem, dass Hartz IV-EmpfängerInnen vor Einführung des Sozialtickets durchschnittlich 30 € für Bus und Bahn ausgegeben haben sollen, sofern sie nicht ohnehin ein reguläres Monatsticket gehabt hätten. Da würde uns doch schon näher interessieren, *wie* diese Zahlen zustande gekommen sind.
Aber abgesehen davon: Niemand hat je behauptet, daß die Einführung eines ermäßigten Monatstickets für einkommensschwache BürgerInnen die Stadt bzw. Stadtwerke nichts kosten würde, also aufkommens- oder haushaltsneutral sei. Wer das -- wie die beiden o.g. Herren -- heute bestreitet, der studiere noch einmal unsere früheren Flugblätter oder auch die Beschlüsse und Protokolle des Rats. Nur dass das Defizit vermutlich wesentlich geringer ausfallen dürfte, als die DSW behaupten. Aber das ist ein anderes Thema.
Die Ausgaben für das Sozialticket sind allemal eine sinnvolle "Investition" in die Mobilitätschancen jener Menschen, bei denen das Geld nicht reicht, um sich mit normalen Fahrscheinen oder gar einem PKW durch die Stadt zu bewegen. Über 21.000 InhaberInnen von Sozialtickets im Juli, knapp ein halbes Jahr nach Einführung der Vergünstigung -- diese Zahl spricht eine unmißverständliche Sprache: Es gab und gibt diesen Bedarf an Mobilitätshilfen tatsächlich, und er würde sich vermutlich in noch höheren Zahlen niederschlagen, wenn der Berechtigtenkreis von der rot-grünen Rathauskoalition nicht so eng gefasst worden wäre.
Wir warnen davor, den Preis fürs Sozialticket -- wie es die SPD-Fraktion in die Diskussion gebracht hat -- um monatlich 10 € anzuheben, oder das Ticket gar gänzlich abzuschaffen. Nur mit einem - auch bezahlbaren - Sozialticket bleiben Menschen mit geringem Einkommen mobil. Schon 15 € Abgabepreis sind eigentlich zu viel.
Um dies zu unterstreichen, rufen wir alle interessierten BürgerInnen - und vor allem auch alle NutzerInnen des Sozialtickets - zum tätigen Widerstand durch Teilnahme an der Montagsdemonstration am 15.9. auf, unter der Losung: Hände weg vom Sozialticket! (18 Uhr, Reinoldikirche).*
Sozialpolitik darf nicht zur Restgröße kommunaler Haushaltspolitik verkommen! In unseren Augen wird der Fortbestand des Sozialtickets zum Glaubwürdigkeitstest auch für den ganzen programmatischen Ansatzes "Soziale Stadt Dortmund". Wer in dieser Frage einknickt, der kann sich jedes zusätzliche "Aktionsbüro" in benachteiligten Stadtteilen getrost sparen.
* Da noch nicht endgültig klar ist, ob sich der Rat nicht vielleicht doch noch im September mit der Angelegenheit befassen wird, werden wir bei der Montagsdemo vor der entsprechenden Ratssitzung, also am 8. September -- gleiche Uhrzeit, gleicher Ort -- über den aktuellen Stand der Auseinandersetzung informieren.
Dortmund, den 25.8.2008