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Zur Einführung eines Sozialtickets in Dortmund

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Presseerklärung des Sozialforums Dortmund vom 01.02.08

Nach jahrelangen Bemühungen ist am 13.12.07 vom Rat der Stadt Dortmund ein Sozialticket für Einkommensschwache in Dortmund verabschiedet worden. Es ist zunächst als 2-jähriges Pilotprojekt angelegt. Seit heute, dem 1. Februar, sind die ersten mit dem neuen Sozialticket unterwegs.

Das neue Angebot der Stadt bzw. Stadtwerke ist nicht ganz das, was wir wollten: Ein Sozialticket zum Preis von 15 € monatlich ist aus unserer Sicht immer noch 15 € zu teuer, die Gestaltung in Form eines Jahresabos zudem zu starr. Und doch bedeutet das neue Angebot für einen großen Teil der betroffenen einkommensschwachen Haushalte eine echte Entlastung – sowie einen Zugewinn an Möglichkeiten, am allgemeinen gesellschaftlichen Leben in dieser Stadt teilzuhaben.

Im Vergleich zu anderen Städten nimmt Dortmund mit dem 15 €-Ticket einen Spitzenplatz ein. Eine Heldentat des Rats der Stadt Dortmund ist die Einführung des Sozialtickets gleichwohl nicht, und schon gar kein "sozialpolitischer Meilenstein", wie der DGB-Vorsitzende Eberhard Weber und der örtliche SPD-Fraktionsvorsitzende Ernst Prüsse meinen. Dazu kommt die Maßnahme viel zu spät (wir drängen schon seit Jahren darauf), und sie bleibt halbherzig, weil sie die durch Hartz IV und Niedriglöhne verursachte Not vieler Menschen in ihrem Ausmaß nicht wirklich aufnimmt.

Wir haben schon wiederholt darauf hingewiesen: Die 14,11 Euro, die dem Alg II-Empfänger oder dem Empfänger von Grundsicherung nach SGB XII im Rahmen seines Regelsatz-Warenkorbes monatlich für "fremde Verkehrsleistungen" zugestanden werden, sollen für sämtliche Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln langen, also neben den Fahrten innerhalb der Stadt auch für Fahrten im Regional- oder Fernverkehr. Schöpfen die örtlichen Verkehrsbetriebe diesen Satz bereits vollständig ab, dann sitzt nicht einmal ein schlichtes Zusatzticket mehr drin, es sein denn zulasten einer der anderen – durchweg ebenfalls viel zu niedrig angesetzten - Bedarfspositionen des Regelsatzes.

Natürlich sind die 14,11 € ein - makabrer - Scherz, und natürlich kann es auch nicht Aufgabe der Kommunen sein, sämtliche Löcher in den Leistungssystemen zu stopfen, die durch die sog. Sozialreformen der Bundesregierung (Agenda 2010) aufgerissen wurden – allen vorweg durch das Hartz IV-Gesetz. Und dennoch sei die Frage an die Damen und Herren Ratsvertreter von SPD und Grünen sowie von CDU und FDP/Bürgerliste erlaubt: Haben Langzeitarbeitslose etwa kein Recht, mal einen Kollegen in Wattenscheid, ein Museum in Essen oder die Angehörigen in Stuttgart (oder wo auch immer) zu besuchen?

Da das Geld bekanntlich nur einmal ausgegeben werden kann, stellt der Preis von 15 € so manchen vor die traurige "Wahl": Entweder das Sozialticket in Anspruch zu nehmen (was bedeutet, die Stadt nie verlassen) oder – bei deutlich reduzierter Mobilität innerhalb der Stadt - weiterhin teure Einzeltickets zu nutzen, um wenigstens ab und an mal eine Fahrt über die Stadtgrenzen hinaus unternehmen zu können. Von Fahrten weiter weg mal ganz abgesehen (Urlaub sitzt eh nicht drin!).

Bei solch prekären materiellen Verhältnissen – und der damit verbundenen Einschränkungen in Mobilität und Teilhabe – muß das Wort vom "sozialpolitischen Meilenstein" den Betroffenen wie Hohn in den Ohren klingen.

Und lassen wir uns nichts vormachen: Ohne den beharrlichen Druck von außen (des Sozialforums, des Aktionsbündnisses "Sozialticket zum Nulltarif auf Dortmund-Pass" und weiterer Organisationen), ohne die ständige Thematisierung der unzureichenden Mobilitätsvoraussetzungen und der seit Hartz IV rapide gewachsenen Armut in dieser Stadt hätte es auch dieses Sozialticket zu 15 € nicht gegeben. In den Jahren zuvor waren noch sämtliche Anträge von PDS und Linkem Bündnis auf Einführung eines Sozialtickets ersatzlos vom Rat der Stadt Dortmund abgelehnt worden. Inzwischen jedoch sitzt den Parteien der rot-grünen Rathauskoalition die Angst im Nacken, bei den kommenden Kommunalwahlen u.U. erhebliche Stimmverluste einzufahren.

Wenn schon kein Nulltarif, dann verlangen wir als Ergänzung zum Sozialticket vergünstigte Einzeltickets (wie in Köln), um die Wahlmöglichkeiten für die Betroffenen zu verbessern (vgl. oben). Auch die Abgabe des Sozialtickets in Form eines Jahresabos darf nicht der Weisheit letzter Schluß sein: Wieso soll der/die Einzelne nicht monatsweise, entsprechend seinen/
ihren jeweiligen Plänen und Bedürfnissen, zwischen der Nutzung des Sozialtickets oder der Nutzung von (ermäßigten) Einzeltickets entscheiden können? Der Zusatzaufwand für die Verkehrsbetriebe wäre gering.

Erwartungsgemäß hat sich die rot-grüne Rathauskoalition auch den übrigen konkreten Anregungen aus unserem offenen Brief vom 3.12.07 nicht anschließen mögen. Außer einem unverbindlichen Auftrag an die Verwaltung, eine Ausweitung des Berechtigtenkreises zu prüfen, ist nichts dabei herausgekommen.

An den Konditionen des Dortmund-Passes, und damit auch den Zugangsvoraussetzungen zum Sozialticket, ändert sich damit (zumindest vorläufig) erst mal nichts. Das bedeutet: Menschen, die – sei es aus Scham oder Unwissenheit, sei es, um sich nicht der oft schikanösen und erniedrigenden Behandlung durch die ARGE auszusetzen – auf einen (Rest-) Anspruch auf Alg II oder Grundsicherung verzichten, gehen auch beim Dortmunder Sozialticket leer aus. Gekniffen auch die Leute mit Kinderzuschlag sowie diejenigen, die mit ihren Einkünften und/oder Rücklagen knapp über den offiziellen Bedürftigkeitsgrenzen liegen, nach normalen Standards aber gleichfalls als arm gelten müssen.

Wir meinen: Das Sozialticket muß zumindest auch allen Geringverdienern, Rentnern und sonstigen Leistungsbeziehern gewährt werden, deren laufende Einnahmen sich innerhalb oder nur geringfügig über den Regelsätzen nach SGB II/SGB XII bewegen. Die derzeitige Regelung bedeutet – auch mit Blick auf die unterschiedliche Behandlung bei Rundfunkgebühren etc. – eine eindeutige Ungleichbehandlung. Es gilt, in dieser Frage nicht locker zu lassen und die rot-grüne Rathauskoalition mit Nachdruck an den o.g. Prüfauftrag zu erinnern.

Immerhin läßt der Wortlaut der gemeinsamen Beschlußvorlage von SPD und Grünen vom 11.9.07, mit der die Rathauskoalition zum ersten Mal die Forderung nach Einführung eines Sozialtickets auf örtlicher Ebene aufgegriffen hatte, erkennen, daß die beiden Fraktionen unsere Auffassung teilen, daß die heutigen Regelsätze den LeistungsempfängerInnen gesellschaftliche Teilhabe verwehren oder zumindest sehr erschweren. Das ist zu begrüßen. Wir erinnern uns noch allzu gut an die unwirschen Reaktionen, mit denen z.B. ein Herr Dr. Langemeyer noch vor wenigen Jahren unsere Aktionen zur Verhinderung von Hartz IV und zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung bedachte.

Doch wo bleibt der Appell an Bundestag und Bundesregierung, endlich für ausreichende Regelsätze zu sorgen? Wir würden uns sehr freuen, wenn der Rat der Stadt Dortmund sich den Forderungen zahlreicher Organisationen, Gewerkschaften und Sozialverbände nach einer drastischen Anhebung der Regelsätze und der Einführung eines armutsfesten allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns anschließen würde.

Sozialforum Dortmund, 1.2.2008

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