Benutzerspezifische Werkzeuge
Sie sind hier: Startseite Soziale Lage / Sozialpolitik Allgemeines Der zu verteilende Kuchen wird auch in Zukunft wachsen

Der zu verteilende Kuchen wird auch in Zukunft wachsen

Die finanziellen Probleme der alternden Gesellschaft erfordern einen radikalen Umbaus des Sozialstaats, wird gerne behauptet. Nun gibt ausgerechnet eine Bank Entwarnung.

Die Deutschen sterben aus, die demographische Zeitbombe tickt. Im Land des Methusalem-Komplexes treffen solche Hiobsbotschaften auf offene Ohren. Verbreitet werden sie vor allem von jenen Geistern, die das Sozialsystem um- und abbauen wollen oder die, wie Versicherungen und Banken, von dessen Privatisierung profitierten.

Jetzt gibt ausgerechnet eine Bank Entwarnung. Alles halb so wild, lässt sich das Ergebnis einer Studie über die "Alterung der Gesellschaft" zusammenfassen, die der Schweizer Finanzriese UBS soeben veröffentlichte. Die Analyse kann zwar ihre Herkunft nicht verbergen, hebt sich aber wohltuend von jenen zahlreichen Pamphleten ab, die den Teufel an die Wand malen.

Dass sich die Bevölkerungsstruktur weltweit ändert, ist unumstritten. Die Menschen in den Industriestaaten bekommen weniger Kinder und werden älter. Außerdem gehen jetzt die geburtenstarken Jahrgänge, "Baby-Boomer" genannt, in Pension. Junge Arbeitskräfte werden also knapper, während die Zahl der Rentner steigt. Dieser Prozess, heißt es in der Studie, dauert bis zur Mitte des Jahrhunderts an.

Doch die in vielen Untersuchungen geäußerte Sorge, dass die demographische Entwicklung zu erheblichen Wohlstandsverlusten führt, teilen die UBS-Autoren nicht. Das Volkseinkommen nimmt ihren Prognosen zufolge zwar weniger stark zu als bisher. Aber es steigt weiterhin und eröffnet damit Verteilungsspielräume, die Beschäftigten und Rentnern gleichermaßen zugute kommen könnten. "Selbst bei einem höheren Transfer an die älteren Generationen wird das Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens der Bevölkerung im erwerbstätigen Alter überraschend solide bleiben", schreiben die Banker.

Nach ihren Berechnungen wird die "Alterung" das gesamtwirtschaftliche Wachstum der Bundesrepublik bis 2025 um jährlich 0,6 Prozentpunkte dämpfen. Pro Kopf ist der Bremseffekt allerdings um einiges schwächer. Ausgelöst wird er vor allem durch zwei Faktoren: Die Zahl der Arbeitskräfte schrumpft und die Sparquote geht zurück, weil Rentner weniger Geld auf die hohe Kante legen. Die Analyse beruhe allerdings auf einer wesentlichen Annahme, die in der Realität selten eintrete: dass alles andere gleich bleibt, erläutern die Verfasser. Und weisen darauf hin, dass es verschiedene Wege gibt, den Arbeitsmarkt zu beeinflussen, beispielsweise durch Einwanderung oder längere Arbeitszeiten. Wolle Deutschland die arbeitsfähige Bevölkerung konstant halten, müssten dem Kalkül zufolge aber bis 2025 entweder jährlich 651 000 Immigranten hereinkommen oder die Ansässigen drei Jahre und zehn Monate länger arbeiten,was nicht sehr realistisch klingt.

Gleichwohl wird hier zu Lande "der Kuchen, den es zu verteilen gibt, auch in Zukunft wachsen". Wer welche Stücke davon abbekommt, hängt "wie immer von der politischen Macht der jeweiligen Interessengruppen ab", benennt die Studie in schöner Offenheit den eigentlichen Kern des Problems. Im mittleren von drei Szenarien geht sie davon aus, dass das Pro-Kopf-Einkommen der 65-Jährigen und Älteren jährlich um ein Prozent steigt. Das würde für die Bundesrepublik bedeuten, dass die Jüngeren bis 2025 jährlich acht Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung an die Senioren abtreten müsste. Dies erscheint als akzeptables "Opfer". Schließlich können es sich die Beschäftigten schon deshalb nicht leisten, die Rentnern verarmen zu lassen, weil letztere an Wählerstimmen und damit an Einfluss auch auf die Verteilung des Volkseinkommens gewinnen.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 06.04.06 - VON MARIO MÜLLER

Artikelaktionen