Geld spaltet Gesellschaft
Studie: Wirtschaftliche Verhältnisse entscheiden / Ablehnung von Langzeitarbeitslosen - Laut einer Studie gehen fremdenfeindliche und rassistische Einstellungen in Deutschland zurück. Zugleich nehmen Vorurteile gegenüber Obdachlosen, Behinderten aber vor allem Langzeitarbeitslosen zu.
Zu diesem Ergebnis kommt die gestern in Berlin vorgestellte Langzeituntersuchung “Deutsche Zustände" des Bielefelder Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung.
Demnach haben 56 Prozent der Befragten abwertende oder feindselige Einstellungen gegenüber Langzeitarbeitslosen.
Der Leiter des Instituts, Wilhelm Heitmeyer, führt dies darauf zurück, dass ökonomisches Denken alle Lebensbereiche durchdringe. Zwar habe die Angst vor Desintegration und prekären Lebensläufen erstmals nach Jahren abgenommen. Die
Furcht vor sozialem Absturz, sei aber trotz Wirtschaftsaufschwung gleich geblieben. Obgleich die Arbeitslosigkeit statistisch abgenommen habe, nehme die soziale Spaltung der Gesellschaft zu, so der Soziologe. Das Institut untersucht seit 2002 die Ursachen “gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" durch repräsentative Umfragen. Demnach zeigt sich erstmals eine Stagnation der Angst vor dem Islam und ein Rückgang sexistischer Einstellungen. Einen generellen Trend wollte Heitmeyer aus den Daten nicht ableiten. Er sprach von einer Tendenz “in unübersichtliche Perspektiven hinein".
Von der Angst, unten zu sein
Studie: Ressentiments gegenüber Langszeitarbeitslosen, Behinderten und Ausländern
Es ist kalt in Deutschland - und das liegt nicht an den winterlichen Temperaturen. Es ist sozial kalt. Diesen Eindruck jedenfalls kann gewinnen, wer die sechste Folge der Langzeitstudie “Deutsche Zustände" des Bielefelder Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung liest.
Für Wilhelm Heitmeyer, Leiter des Instituts, ist die Studie ein Zeichen dafür, dass Deutschland auf dem Weg “von der Marktwirtschaft zur Marktgesellschaft" sei: Bedingungslose Flexibilität von Arbeitnehmern, Angst vor dem sozialen Abstieg und einem Leben von Hartz IV, eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft als Folge stetiger Ökonomisierung - so die Lagebeschreibung Heitmeyers. Er spricht vom “moralischen Niedergang der Gesellschaft".
Fehler unverzeihlich
Die Studie nennt Zahlen für die soziale Kälte: Jeder Dritte Befragte war der Ansicht, die Gesellschaft könne sich Menschen, “die wenig nützlich sind", nicht länger leisten. “Menschliche Fehler" halten 35 Prozent für unverzeihlich. Vier von zehn Befragten meinen, es werde “zu viel Rücksicht auf Versager" genommen. Jeder Vierte sieht zudem in Moral einen Luxus, auf den es besser zu verzichten gelte.
Die Folgen der zunehmenden Ökonomisierung, so Studienleiter Heitmeyer: Die Mitmenschen der “Marktgesellschaft werden eingeteilt in die Kategorien nützlich und unnütz. Entsprechend steigen die Ressentiments gegen Behinderte und Ausländer - auf besonders viel Ablehnung stoßen jedoch Langzeitarbeitslose. Heitmeyer fasst zusammen: Es sei keine “politische Ideologie" nötig, um Ressentiments und Abwertungen einzelner Gruppen zu schüren. “Es reicht ökonomisch erzielte Ungleichheit."
“Alarmierend" sei der Befund, erklärte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD). Die Ergebnisse “fordern geradezu heraus, zu handeln", sagte Wolfgang Tiefensee, Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Länder. Dabei sei die “Perspektiviosigkeit als deutscher Zustand" ganz besonders ein Problem im Gebiet der früheren DDR: “Die Angst vor 'denen da oben' ist der Sorge gewichen, zu 'denen da unten' zu gehören." Auf diesem Nährboden entstehe auch Rechtsextremismus.
Konkurrenten
Tatsächlich belegt die Heitmeyer-Studie den Zusammenhang zwischen sozialem Status sowie wirtschaftlicher Sicherheit und Fremdenfeindlichkeit - soll heißen: Schon wer Angst vor dem sozialen Abstieg hat, sieht häufiger als andere im Ausländer einen unerwünschten Konkurrenten.
Dass die Ressentiments der Deutschen gegenüber Fremden 2007 erstmals seit Jahren leicht zurückgingen, dürfte auch daran liegen, dass im derzeitigen Wirtschaftsaufschwung mehr Menschen in Arbeit kommen.
Doch für Entwarnung sieht Tiefensee keinen Anlass. “Fremdenfeindlichkeit, das negative Sprechen über Ausländer, ist zunehmend in die Mitte der Gesellschaft gerückt." Rechtsextreme Parteien saugten Honig aus den Zuständen sozialer Spaltung Tiefensee fordert mehr Zivilcourage von Bürgern wie Politikern. Die Probleme dürften “nicht unter den Tisch gekehrt" werden - ein Seitenhieb in Richtung Sachsen-Anhalt. Dort soll das Landeskriminalamt die Polizeistatistik bei den Fällen fremdenfeindlich motivierter Straftaten geschönt haben.
Quelle: Ruhr Nachrichten vom 14.12.07