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Linke schlagen Rechte

EXTREMISMUS In Deutschland hat es im vergangenen Jahr fast 34.000 politisch motivierte Straftaten gegeben.

Die Zahl der politisch motivierten Straftaten in Deutschland ist so hoch wie noch nie. Sie hat nach Angaben des Innenministeriums im Jahr 2009 um 6,7 Prozent auf rund 33.900 zugenommen. Etwa zwei Drittel davon wurden von Rechtsextremisten begangen, ein Drittel von Linksextremisten. Die Zahl der Straftaten von links ist demnach um fast 40 Prozent gestiegen.

Die Zahlen haben eine Debatte ausgelöst, ob dem Land eine Gefahr von links droht. Vertreter der schwarz-gelben Bundesregierung wollen entsprechende Programme gegen Linksextremismus auflegen (siehe Text unten). Gewaltexperten warnen hingegen vor einer überhasteten Interpretation der Statistik.

Laut Innenministerium wurden im vergangenen Jahr 1.980 Menschen durch politisch motivierte Gewalttaten verletzt, davon mehr als die Hälfte von Rechtsextremisten, aber auch 40 Prozent von linker Seite, im Jahr davor waren es noch 30 Prozent.

Eine Frau wurde 2009 aus rassistischen Motiven getötet: Marwa El Sherbini, die in Dresden von dem Muslimhasser Alex W. ermordet wurde. Die Brutalität der rechten Szene sowohl bei fremdenfeindlichen Angriffen als auch in der Auseinandersetzung mit Angehörigen der linken Szene sei nach wie vor hoch, erklärte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zur Veröffentlichung der Statistik, die erst seit 2001 in dieser Form erhoben wird.

Gleichwohl warnte de Maizière aber vor einer steigenden Gefahr von links. "Besonders Körperverletzungen und Widerstandsdelikte gegenüber Polizeikräften haben vor allem durch Angehörige der linken Szene deutlich zugenommen", sagte er. Die von der linken Szene ausgehende Gewalt werde von Teilen der Bevölkerung und den Medien unterschätzt. "Daher appelliere ich an alle Bürger, Gewalt grundsätzlich nicht zu akzeptieren", sagte er.

Mehr als die Hälfte der Körperverletzungen, die auf linker Seite gezählt werden, sind laut der Statistik gegen Polizisten gerichtet, die anderen Fälle gegen Mitglieder der rechten Szene. Für Aufmerksamkeit hatten 2009 Überfalle und Brandanschläge auf Polizeiwachen und Einrichtungen des Zolls in Hamburg und Berlin gesorgt, die der linksextremen Szene zugerechnet wurden.

Insgesamt sind die politisch motivierten Gewalttaten im Jahr 2009 um 20,4 Prozent auf rund 3.000 gestiegen, 1.820 davon werden Linksextremisten zugerechnet. Allerdings warnen Experten wie der Jugendgewaltforscher Michael Kohlstruck von der Technischen Universität Berlin vor der Aussagekraft der amtlichen Zahlen. So werden in der Statistik unter "politisch motivierte Gewalt" nicht nur Körperverletzungen eingerechnet, sondern auch Brandstiftung - darunter das Anzünden von Autos -, Landfriedensbruch oder Widerstand gegen Polizisten, etwa auf Demonstrationen. "Man kann nicht von einer gleichen Bedrohung von links und rechts sprechen", sagte Kohlstruck der taz. "Auf der rechten Seite dominieren schwere Taten und auch aus Sicht des Staatsschutzes bedrohlichere Taten." Außerdem sage die Statistik nichts über die Verteilung rechter und linker Straftaten aus. Letztere beschränkten sich vor allem auf Großstädte wie Hamburg und Berlin, während rechtsextreme Straftaten über ganz Deutschland verteilt anzufinden seien.

Auch der frühere Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye, heute Vorsitzender der Initiative "Gesicht Zeigen", warnt vor einer übereiligen Interpretation der Statistik. "Seit der Wende gab es mehr als 140 Todesopfer rechter Gewalt", sagte er der taz. "Ich kann mich an keinen einzigen Toten durch linke Gewalt erinnern." Man dürfe die Gefahr des Rechtsextremismus nicht durch "merkwürdige Parallelitäten" herunterspielen, sagte Heye.

Innenminister de Maizière zieht aus der Statistik dennoch den Schluss, dass die Bundesregierung "rechtsextremistische, linksextremistische und islamistische Bestrebungen gleichermaßen" bekämpfen müsse. 

Quelle: taz vom 24.03.10

dazu ein Kommentar von nachdenkseiten.de

Natürlich muss vorweg die obligate Formel kommen, die Zunahme an linker Gewalt sei schlimm, um nicht den Eindruck zu erwecken, man sympathisiere mit gewaltbereiten Extremisten. Tu ich gerne, möchte aber doppelt und dreifach unterstreichen, dass zwischen Linksextremisten und Rechtsextremisten ein gewaltiger Unterschied besteht. Wenn jetzt aufgrund neuer Statistiken des Innenministeriums dessen Chef meint, „rechtsextremistische, linksextremistische und islamistische Bestrebungen gleichermaßen” bekämpfen zu müssen, so erweist sich die Politik wieder einmal auf dem rechten Auge blind. Zu den Zahlen selbst wäre zu untersuchen, welche neuen Straftatbestände geschaffen wurden und deswegen in den Vorjahreszahlen nicht erfasst wurden. Auch ist wohl davon auszugehen, dass Widerstand gegen Polizisten gut dokumentiert wird, während für Opfer rechter Gewalt vor allem in einigen östlichen Regionen der Gang zur Anzeige schon wieder gefährlich wird. Wie BKA-Präsident Jörg Ziercke es unlängst in einem Vortrag auf den Punkt brachte, rechte Gewalt ist vor allem durch ihre exzessive Brutalität gekennzeichnet. Was 149 Morde durch Rechtsextreme seit 1990 belegen. Gewiss hat sich z. B. in den Krawallnächten von Hamburg der Charakter linksextremer Gewalt, wenn man diese Ausbrüche links zuordnen möchte, vor allem gegenüber Polizisten verändert. Sie ist aber nicht zu vergleichen mit der immer präsenten Gewaltbereitschaft in den No-Go-Areas des Ostens, z. B. für farbige Mitbürger. Hierzu ein etwas älterer Bericht von Sheila Mysorekar.

 

Verlogene Propaganda: »Weckruf« des Innenministers

Für die Konservativen ist die Welt wieder in Ordnung: Die Linken sind noch schlimmer als die Nazis. Nachdem die selbsternannte »Extremismus«-Jägerin Kristina Schröder (CDU) vom Familienministerium aus verkündet hat, die Gelder für Programme gegen Neofaschismus seien besser im Kampf gegen »Linksextremismus« angelegt, will Innenminister Thomas de Maizière (CDU) nun nachlegen und anhand der Jahresbilanz 2009 zur »Politisch Motivierten Kriminalität« aufzeigen: Die Linken haben die Nazis in puncto Gewaltbereitschaft überholt.

Es ist ja so einfach: Auf zunehmende Naziaufmärsche und wachsende neofaschistische Gewalt reagiert der Staat wie das Kaninchen vor der Schlange (Beispiele klammheimlicher Sympathie einmal ausgenommen). Ob im Westen oder im Osten, in Dortmund wie in Dresden: Daß die von den Nazis angekündigten Großdemonstrationen in der Vergangenheit gescheitert sind, liegt nicht am energischen Einschreiten der staatlichen Behörden. Es liegt vielmehr an der beherzten Zivilcourage Tausender Bürgerinnen und Bürger, die sich das Recht herausnehmen, sich im wahrsten Sinn des Wortes querzustellen: Auf der Straße, den Nazis in den Weg.

Doch statt diesen Mut zu honorieren, setzt die Staatsmacht oft genug ihre Wasserwerfer und Schlagstockeinheiten gegen die antifaschistischen Demonstranten ein. Wer sich widersetzt, wird flugs zum »linksextremen Gewalttäter«. Und schon stimmt die Statistik wieder.

De Maizière beklagt in der Welt, es sei empörend, wenn Polizisten, die das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit schützen wollten, »Opfer von Gewalt werden«. Das wäre empörend, wenn es so wäre. Aber die Erfahrung vieler linker Demonstranten ist eine ganz andere. Auch eine Studie an der Berliner FU zur »Mai-Randale« ergab, daß die Polizei zur Gewalteskalation beiträgt. Dennoch soll das Strafrecht verschärft werden: Gewalt gegen Polizisten soll nun - als sei sie nicht eh schon, wie jede Gewalt, verboten - als Extra-Straftatbestand gelten.

Ein Teil der »linken« Gewalt ist provoziert, ein anderer Teil wird frech herbeigeredet: De Maizière schlägt die Zündeleien an Autos in Hamburg und Berlin pauschal »den Autonomen« zu. Dabei hat die Berliner Polizei selbst schon eingeräumt, daß sie in der Mehrzahl von unpolitischen Tätern ausgeht. Dennoch werden sie benutzt, um Stimmung gegen Linke zu machen. Die Justiz folgt und sperrt linke Aktivisten in U-Haft - bis sich nach vielen Monaten ihre Unschuld herausstellt. Es wird schon etwas hängenbleiben, so die Logik.

Der Kapitalismus ist in der Krise. Die Menschen könnten wach werden und an ihm zweifeln. Dagegen setzt de Maizière seinen eigenen »Weckruf«: Eine verlogene Propaganda, die jeglichen systemkritischen, linken Ansatz diffamieren und in die Gewalttäter-Ecke rücken soll.

Quelle: Junge Welt vom 25.03.10

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