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Stellungnahme zur Koalitionsvereinbarung "VRR-Sozialticket" ...

— abgelegt unter:

... der Fraktionen von CDU und Bündnis90/Die Grünen in der Verbandsversammlung des VRR

Ich beziehe mich auf die Koalitionsvereinbarung selbst
(http://agora.free.de/sofodo/themen/allgem-gesamt/einzelheiten-zum-geplanten-vrr-sozialticket)
und auf Pressemeldungen zu Verlautbarungen von beteiligten Politikern



Man kann die Tatsache, dass nun ein verbilligtes Ticket für in Arbeitslosigkeit und Armut gedrängte Menschen auch in den vielen VRR-Städten und -Kreisen zur Verfügung gestellt werden soll, die bisher nichts dergleichen hatten, durchaus als FORTSCHRITT betrachten (für Dortmund bleibt's ein Rückschritt gegenüber dem ab 1.Februar abgeschafften 15-€-Ticket; gekämpft hatten wir bekanntlich für den Nulltarif), ...

... man kann auch die RICHTUNG, in die die schwarz-grüne Vereinbarung geht, durchaus begrüßen und darf sie - neben wahltaktischen Hintergründen - sicher auch als Teilerfolg des öffentlichen Drucks verbuchen, zu dem auch das Sozialforum Dortmund als Motor eines breiten Dortmunder Bündnisses durch langjährige Aktivitäten einiges beigetragen hat, ...

... man kann und sollte das PRINZIP "Sozialticket" auch gegen den Sturmlauf der Verkehrsunternehmen verteidigen, die nun mit gezinkten Zahlen, Lügen und Halbwahrheiten versuchen, "normale" ÖPNV-NutzerInnen und die Belegschaften des ÖPNV gegen die künftig Sozialticket-Berechtigten auszuspielen, ...

ABER:  wir sollten das alles m.E. nicht tun, OHNE den Preis des Tickets - und damit auch den Hartz-IV-Eckregelsatz - heftig zu kritisieren und weitere kritische Fragen an die schwarz-grüne VRR-Vereinbarung zu stellen!

Hier MEINE kritischen Anmerkungen und Fragen:

1. Zum Preis:

Der soll für das dem bisherigen Dortmunder Sozialticket entsprechende VRR-Angebot 23 Euro betragen, also genau das doppelte von dem, was Hartz-IV-Betroffenen für den ÖPNV zugestanden wird. Lässt sich der Sprung vom 2,6-fachen (das Dortmunder 30-€-Ticket ab 1.Februar) zum 2-fachen schon als qualitativer Sprung vom Un-Sozialticket zum Sozialticket bewerten? Das sollte sich insbesondere auch für alle politischen Kräfte verbieten, die auf Bundesebene die Hartz-Armutsgesetze - und damit die 11,49 € als "ausreichenden Regelbedarf" für Nahverkehr! - zu verantworten haben.

Hinzuweisen wäre auch darauf (das wurde bisher kaum beachtet), dass sich der zugestandene Hartz-IV-Nahverkehrssatz für Angehörige von Bedarfsgemeinschaften noch weiter verringert (bei Ehe-/Lebensgemeinschaften auf 10,34 Euro = 90%, bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 25 Jahre auf 9,19 Euro = 80%, bei Kindern noch weniger).

2. Die Finanzierung in Verbindung mit der geforderten Kostenneutralität und der Revisionsklausel:

M.E. ist die geäußerte Hoffnung, dass sich das geplante VRR-Ticket ALLEIN durch Mehreinnahmen und Reduzierung von Schwarzfahrten selbst tragen könnte (und damit die Kostenneutralität), eher unrealistisch. Die in der "Koalitionsvereinbarung" und Verlautbarungen angedeuteten weiteren Finanzierungsbeiträge sind für mich aber nur da unproblematisch, wo sie - versteh ich das richtig? - auf den Abbau von Marketing-Kosten zielen (wie z.B. die bescheuerte Dortmunder "Lokalpatrioten"-Kampagne der DSW21? Oh ja doch!).

Die anderen ins Spiel gebrachten Möglichkeiten (Verteuerungs"spielraum" bei Preisstufen C und D, Verteuerung oder Abschaffung beim Bärenticket, Überprüfung "diverser preisintensiver Zusatzleistungen" des derzeitigen Ticketangebots) fordern geradewegs dazu heraus, die von Verteuerungen/Verschlechterungen betroffenen ÖPNV-NutzerInnen gegen das Sozialticket aufzubringen. Die haben die Armuts- und Ausgrenzungsmisere genausowenig zu verantworten, wie die Sozialticket-Berechtigten selbst. Und sollen nun die Zeche zahlen?

Eine weitergehende Erhöhung der Gewerbesteuer - soweit eben möglich auf breiter Front der Kommunen - käme dem Kreis der Verantwortlichen schon sehr viel näher.

Vorschläge wie aus Castrop (erniedrigte Mehrwertsteuer und Abschaffung der Mineralölsteuer auch für den ÖPNV) sind sicher gut vertretbar, bewegen sich aber auf Zuständigkeitsebene des Bundes, auf der dann auch gleich und direkt die Forderung nach Erhöhung des Hartz-IV-Nahverkehrssatzes gestellt werden könnte und sollte, am besten im Rahmen der Kampagne für die Erhöhung des Eckregelsatzes auf mindestens 500 €. Tun wir als Sozialforum Dortmund ja auch.

Allerdings wird's auf dieser Ebene deutlich langwieriger, den nötigen Druck aufzubauen. Kurzfristig dürfte sich da nicht viel bewegen lassen (wahrscheinlich werden wir schon alle Hände voll zu tun haben, die Forderung der Unternehmerverbände und ihrer Wirtschaftsinstitute nach einer weiteren SENKUNG der Regelsätze abzuwehren). Es sei denn die Kommunal- und Verbandspolitiker, die jetzt für weitergehende Schritte in Richtung "echtes" Sozialticket auf Bund und Land verweisen, setzen alle Kräfte daran, den sozialen Protest gegen die Ergebnisse der Agenda-2010-Politik und die Ausblutug der Kommunen zu mobilisieren und etwa in politische Streiks (Gewerkschaften) und einen "Marsch der Millionen auf Berlin" münden zu lassen.

Wenn über die genannten Punkte hinaus in Verlautbarungen seitens der schwarz-grünen VRR-Koalitionäre hier und da weitere Einsparmöglichkeiten angedeutet werden, lässt das Spekulationen freien Lauf, dass das auf Kosten der ÖPNV-Beschäftigten gehen könnte (was vor'm Zug rundweg abzulehnen ist).

Klar, dass Prüsse (Fraktionsvorsitzender der SPD in DO) & Co sowie die Vorstände der Verkehrsbetriebe demagogisch in diese Kerben hauen.

Die Festlegung auf "Kostenneutralität" und die entsprechende Revisionsklausel (Ein-Jahres-Frist gegenüber den zwei Jahren des Dortmunder Pilot-Projekts) lässt den Verdacht zu (schließlich haben wir in Dortmund da einschlägige Erfahrungen), dass es nach den NRW-Wahlen und bereits wenige Wochen nach Einführung des Tickets heißen könnte: "Die kostenneutrale Rechnung ist nicht aufgegangen, wir müssen nach oben anpassen ...". Für die NRW-CDU wäre das dann ein unterm Strich sehr preiswerter Wahlwerbe-Gag gewesen. Den Grünen - zumindest in Dortmund, darüber hinaus fehlt mir der Überblick - will ich das nicht unterstellen, da ich durchaus anerkenne, dass die hier mit ihrem (Ex)-Koalitionspartner SPD für die Durchsetzung und Beibehaltung des 15-Euro-Tickets auf Rats- und Gremien-Ebene hartnäckig gerungen haben.

3. Die weiteren Konditionen:

Wie in Dortmund gehabt ... sehr unflexibel; Zwang zum Jahres-Abo; kein Angebot verbilligter Vierertickets (wie in Köln); keine verbilligten Angebote für die Bereichsstufen B bis D. Ausnahme: die in der Richtung begrüßenswerte Öffnung für Geringverdienende (Hartz IV plus 10%).

Was letztere angeht, muss sichergestellt sein, dass die Einkommensfreibeträge beim Alg II voll in die Berechnung eingehen (Berechnungsbasis: Eckregelsatz - bzw. Summe der Regelsätze bei Bedarfsgemeinschaften - plus Warmkosten der Unterkunft PLUS Freibeträge). Ohne die liefe die "Plus 10%"  ins Leere und ginge nicht über die Kollegen und Kolleginnen hinaus, die sowieso als sog. "Aufstocker" Anspruch auf das Sozialticket hätten.

05.02.10, Sturmi Siebers (Sozialforum Dortmund)

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