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Warum das VRR-Sozialticket nicht sozial ist

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Essen. Grüne und CDU planen die Einführung eines Sozialtickets im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR). Das ist aber alles andere als sozial, weil es bestimmte Bus- und Bahnfahrer schlichtweg benachteiligt. Außerdem reißt der Plan ein weiteres Loch in die klammen Stadtkassen.

Jahrelang scheiterte die revierweite Einführung eines Sozialtickets im Verkehrsverbund VRR am Einspruch der klammen Stadtkämmerer. Ausgerechnet jetzt, da vielen Revierstädten der Finanzkollaps droht, will eine ungewöhnliche Mehrheitskoalition im VRR-Parlament aus CDU und Grünen schon im August eine Monatsfahrkarte für Bedürftige einführen.

Dieser plötzliche Zeitdruck und die unklare Finanzierung des Tickets legen die Vermutung nahe, dass das Sozialticket als Wahlgeschenk im Landtagswahlkampf herhalten soll – mit unsozialen Folgen. Es drohen Fahrpreis-Erhöhungen und Fahrplan-Ausdünnungen, Konflikte zwischen Fahrgastgruppen sowie Belastungen für Bus- und Bahnpersonal.

Die CDU, die bisher eher gegen ein Sozialticket war, betont jetzt, dass nicht nur Hartz-IV-Empfänger, sondern auch Geringverdiener dieses Angebot nutzen könnten. Und die Grünen sind froh, dass die „überfällige Einführung“ eines Sozialtickets in greifbare Nähe rückt. Denn Mobilität sei auch für sozial schwächere Menschen in unserer Gesellschaft wichtig. Das ist unbestritten. Deshalb muss es im VRR endlich eine billige und einfache Mobilitätskarte für jedermann geben. Mit den bisher bekannt gewordenen Plänen der schwarz-grünen Koalition lässt sich dieses Ziel aber kaum erreichen.

Benachteiligung von Rentnern und Pendlern

Wie die geschätzten 30 Millionen Euro pro Jahr konkret aufgebracht werden sollen, lässt sich bisher nur erahnen. CDU und Grüne haben unter anderem die Pendler im Visier, die auf längeren Strecken der Preisstufen C und D - trotz jüngster Tariferhöhungen um bis zu 20 Prozent - wohl mit weiter steigenden Preisen rechnen müssen.

Rentner sollen sich möglicherweise vom „Bärenticket“ für Senioren verabschieden, obwohl die 50 000 Abonnenten damit keinen wirklichen Beitrag zur millionenschweren Finanzierung des Bedürftigen-Tickets leisten können. Die Folge: Das so genannte Sozialticket würde für sozialen Sprengstoff sorgen, weil Langstrecken-Pendler und Ältere gegen Arme ausgespielt würden. In den Verkehrsbetrieben würden Mindereinnahmen die Beschäftigten zusätzlich belasten. Das wäre ebenfalls unsozial, weil die Mitarbeiter schon seit 15 Jahren mit sinkenden Einkommen klarkommen müssen. Als Ausweg bliebe, die Fahrpläne noch weiter auszudünnen. Doch schon jetzt kommen viele Menschen, die morgens oder abends beruflich unterwegs sein müssen, mit Bus und Bahn nicht mehr ans Ziel, weil um diese Zeit nur selten etwas fährt. Sie fragen zurecht: Was nützt ein Sozialticket, wenn man es nur eingeschränkt nutzen kann? Die Pläne für das schwarz-grüne Billigticket sind unausgegoren.

Ungleiche Belastungen in den einzelnen Preisstufen

Diese Monatskarte gilt nur für die Preisstufe A (in der Regel für eine Stadt). Das ist im Ballungsraum Ruhrgebiet weltfremd, weil Wohnort und Arbeitsplatz oft nicht in der gleichen Stadt liegen. Wer zum Beispiel in seinem Heimatort Bottrop arbeitet, käme mit einem Standard-Sozialticket für 19 Euro im Monat zu seiner Firma. Ist sein Arbeitsplatz aber jenseits der Stadtgrenze in Essen, müsste er 74,49 Euro für ein normales Ticket der Stufe B bezahlen.

Unsoziale Grenzprobleme provozieren die schwarz-grünen Pläne auch bei der Auswahl der „Antragsberechtigten“ für das Sozialticket. Deren Einkommen darf maximal zehn Prozent über dem Arbeitslosengeld II (einschließlich Unterkunftskosten) liegen. Wer das erfüllt, zahlt für sein Standard-Sozialticket mindestens 19 Euro im Monat. Wer aber auch nur einen Euro mehr Einkommen hat, muss für ein Normalticket 49,20 Euro hinlegen.

Die Struktur des VRR-Fahrkarten-Sortiments führt zu ungleichen Belastungen der Kunden in den Preisstufen. Deshalb wollte die VRR-Verwaltung im Laufe dieses Jahres durch Marktforschungen fundierte Vorschläge für eine neue Fahrkarten-Struktur mit fairen Preisen vorlegen. Dieses Konzept, das vermutlich auch ärmeren Menschen ab 2011 ohne viel Bürokratie mehr Mobilität ermöglichen würde, wird jetzt durch den Schnellschuss von Schwarz-Grün wohl torpediert.

Quelle: Der Westen vom 04.02.10

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