Benutzerspezifische Werkzeuge
Sie sind hier: Startseite Soziale Lage / Sozialpolitik Armut/Sozialhilfe Armes Deutschland

Armes Deutschland

Wie der Staat die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen fördert

In Deutschland ist die Zahl der Armen in den vergangenen Jahren ungewöhnlich schnell gestiegen. Inzwischen sind rund 15 Prozent der Bürger armutsgefährdet – und damit mehr als in anderen europäischen Ländern, die mit der Bundesrepublik politisch und ökonomisch vergleichbar sind.

So betrug die Armutsquote 2007 in den Niederlanden nur elf Prozent, in Österreich und Schweden lag sie bei zwölf und in Frankreich bei 13 Prozent, berichtet das Statistische Bundesamt.

Die Ungleichheit in Deutschland habe im internationalen Vergleich außergewöhnlich rasant zugenommen, sagt Markus Grabka, Verteilungsforscher beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), der FR. Bis zum Jahr 2000 waren demnach rund zehn Prozent der Menschen armutsgefährdet, innerhalb kurzer Zeit schnellte die Zahl dann auf 15 Prozent in den Jahren 2007 und 2008 hoch – das sind rund 12,5 Millionen Menschen.

Grabka vermutet, dass sich die Lage seither wegen der Wirtschaftskrise noch verschlimmert hat. Und er stellt der Politik ein schlechtes Zeugnis aus: Der Staat "hat die Ungleichheit verschärft". Durch jüngste Beschlüsse der Bundesregierung werde die Kluft weiter wachsen.

Als armutsgefährdet gelten Menschen, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügen. 2007 lag die Schwelle in Deutschland bei 913 Euro im Monat. Dabei werden alle Einkünfte berücksichtigt: Löhne, Kapitalerträge und Sozialleistungen des Staats.

Warum grassiert die Armut? Weil es immer mehr atypisch Beschäftigte wie Minijobber und Leiharbeiter gibt, die meist sehr wenig verdienen, erläutert Grabka. Die Politik habe diese Entwicklung gefördert. Mehr noch: Der Staat sorge immer weniger für eine Umverteilung von oben nach unten. Grabka nennt zwei Beispiele: Oben ist der Spitzensatz bei der Einkommenssteuer von 53 auf 45 Prozent (inklusive Reichensteuer) gesunken. Unten sind die Leistungen für Langzeitarbeitslose im Zuge der Hartz-Reformen gekappt worden.

Auch die Abgeltungsteuer von 25 Prozent auf Kapitalerträge entlaste Besserverdienende, für die früher ein höherer Satz galt. Und vom schwarz-gelben Beschluss, den Kinderfreibetrag zu erhöhen, profitieren Ärzte mehr als Krankenschwestern. Hartz-IV-Empfänger haben dagegen nicht mal was von dem aufgestockten Kindergeld.

Für den Chefvolkswirt des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Dierk Hirschel, lautet die Bilanz: "Der Sozialstaat funktioniert immer schlechter."

Schaut man sich die gesamte Europäische Union samt den neuen Mitgliedsländern in Mittel- und Osteuropa an, dann liegt Deutschland noch etwas über dem Durchschnitt: In der EU sind 17 Prozent der Bürger armutsgefährdet, das sind 85 Millionen Menschen.

Innerhalb der alten EU schneiden Spanien und Griechenland besonders schlecht ab: Dort verfügen 20 Prozent der Menschen über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens. Für Griechenland bedeutet dies: Sie müssen mit weniger als 540 Euro im Monat auskommen.

Angesichts dieser Zahlen seien die jüngsten Sparbeschlüsse, die die griechische Regierung auf Druck von EU und IWF getroffen hat, fatal, meint Hirschel.

Die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen werde durch die "neoliberale Schocktherapie" nun noch zusätzlich verstärkt: So treffe eine höhere Mehrwertsteuer vor allem Geringverdiener, die den Großteil ihrer Einkommen für Konsumgüter ausgeben müssen.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 7.5.2010

Artikelaktionen