Armut in Kamen: Ralf F. lebt mit 710 Euro im Monat
Ralf F. liebt gutes Essen. Er liebt es auch, mit einem Auto durch die Gegend zu fahren. Seit drei Jahren kauft sich F. das Essen bei der Tafel. Und statt eines Führerscheins reist er nur noch mit dem Sozialticket. Ralf F. ist 41 Jahre alt und arm.
Das Geld reicht nur für drei Wochen
710 Euro bekommt der Kamener jeden Monat. Nicht nur statistisch zählt er damit zu den mehr als 75 000 Menschen im Kreis Unna, die unter die Armutsgrenze gerutscht sind. „Das Geld reicht vorne und hinten nicht.” Nach Abzug von Miete, Strom und alten Schulden, die er bei Freunden und Bekannten gemacht hat und mit Kleinstbeträgen aus Anstand versucht zurückzubezahlen, bleiben ihm rund 240 Euro zum Leben. „Spätestens nach drei Wochen lebt man von der Substanz und von den Resten im Kühlschrank”, sagt der gelernte Betonbauer, der jahrelang als Drücker Zeitschriften verkauft hat.
Vor drei Jahren schlug F.s Niere Alarm. Seitdem ist er Dialysepatient. Seit dieser Zeit darf er nicht mehr arbeiten. Seit dieser Zeit erhält er nur noch die Grundsicherung zum Leben. In den 710 Euro eingerechnet ist schon ein besonderer Zuschlag von 70 Euro für seine Krankheit. Denn eigentlich muss sich der Vater zweier Kinder, die bei seiner geschiedenen Frau in Hamburg leben, wegen des Nierenschadens besonders ernähren: frisches Fleisch und frischen Fisch, phosphatfreie Kost ist wichtig. „Da ist bei meinem Einkommen doch gar nicht dran zu denken”, sagt er.
Ehrenamtlich arbeitet der 41-Jährige bei der Tafel Unna, fünf Tage die Woche. „Mir würde sonst die Decke auf den Kopf fallen, ein Mensch muss doch eine Aufgabe haben.” Bei der Tafel ist er der gute Geist.
Seine Abende laufen fast immer gleich ab: Fernseh gucken oder Musik hören. „Manchmal besuche ich auch Freunde.” Dank des Sozialtickets ist er ungebunden. „Das ist wirklich eine tolle Idee gewesen und sind meine am besten angelegten 15 Euro im Monat”. Kreisweit kann er mit dem Ticket den Öffentlichen Personennahverkehr nutzen. Die Festa Italiana ist für ihn aber tabu, wie fast alle Volksfeste. „Da kostet ja schon eine Schale Champignons 3,50 Euro, das Geld habe ich nicht.”
Ralf F. gibt etwa 50 Euro im Monat für Tabak aus. Luxus, oder ? Die Leute, die mir das vorwerfen, sollten überlegen, was sie da eigentlich von sich geben.” F. trinkt keinen Tropfen Alkohol.
„Luxus ist ein Besuch bei meinen Kindern”
Als er in die Armut rutschte, war er ein seelisches Wrack. „So etwas steckt niemand einfach weg, ich brauchte eine professionele Betreuung, die mir wieder auf die Beine half.” Noch heute hilft ihm der Betreuer. Er teilt etwa für F. wöchentlich das Geld ein.
Übrig bleibt nie etwas. „Wovon denn?” Er hofft, bald wieder arbeiten zu können. „Ich fühle mich fit.” Er will wieder Geld verdienen, er will sich auch einmal etwas leisten können. Die Haare schneidet er sich zu Hause mit der Maschine, die Jeans kauft er sich aus der Kleiderkammer – für einen Euro. Damit kann ich leben. Aber seine Kinder sieht er nur unregelmäßig. Das Wochenendticket der Bahn kostet 35 Euro. „Das ist mein Luxus.”
Quelle: WR vom 19.05.09