Ein Quadratmeter Menschlichkeit
Ein Gedicht von Elisabeth Rosing - und wie es zu diesem Gedicht kam
Ein Quadratmeter Menschlichkeit,
in der Dunkelheit zu finden -
wer findet sich dazu bereit,
diesen Traum mit mir zu binden?
Wenn die Kinder hungern müssen,
Eltern nicht mehr weiter wissen.
Nahrung, die wird fort geworfen,
wenn die Packung hat ein Loch -
jener Logik zu gehorchen,
widerstrebt mir gänzlich doch.
Pralle Früchte an den Bäumen,
faulen gärend im Gezweig -
die Besitzer es versäumen,
jenen kleinen Fingerzeig.
Diese „nimm mich mit“ Markierung,
ohne Angst vor Internierung.
Die Gedanken hin zu lenken,
auf das Elend und die Not -
mal ein wenig nach zu denken,
gibt so Manchem ein Stück Brot.
Einen Tisch von einem Meter,
Maß, herum in dem Geviert -
mit den Gaben der Demeter,
daß an Schönheit leicht verliert.
Als Geschenk zum weiter leben,
an die armen Menschen geben.
Keinem geht etwas verloren,
richtet man so etwas ein -
aber Hoffnung wird geboren,
Leben wird dann leichter sein.
Bürokratie überwinden,
um ein kleines bißchen Glück -
für die Menschen, die sich schinden,
gibt uns tausendfach zurück;
Dankbarkeit und Lebensfreude,
und die Treue armer Leute.
So etwas wird nie vergessen,
tut was, jetzt! Und nicht erst später -
gebt den Kindern was zu essen,
im Geviert von einem Meter!
Platz ist überall zu finden,
wenn man sucht und wirklich will -
man muß sich nur überwinden,
nur so wird der Hunger still!
Marktgesetze zu verbiegen,
läßt Barmherzigkeit hoch fliegen.
Lebensmittel ab zu schreiben,
könnt ihr immer, jederzeit -
wenn sie auf dem Tische bleiben,
dem Quadratmeter Menschlichkeit.
(Elisabeth Rosing)
Hintergrund
Durch die Zeitknappheit beim Regale auffüllen in den Supermärkten kommt es täglich vor, daß Lebensmittelpackungen durch den so genannten „Cutter“, eine Messerklinge die man zum Öffnen der Kartons benutzt, beschädigt werden. Diese beschädigte Ware kann man selbstverständlich nicht mehr verkaufen. Also wird sie durch die Händler auf eine Verlustliste gesetzt, was man im allgemeinen eine Abschreibung nennt.
Was aber passiert mit dieser, an sich einwandfreien Ware? Sie wird in einen Abfall-Container geworfen, weil die deutschen Marktgesetze eine Verkeimung der Lebensmittel verhindern wollen. So gesehen sind diese Marktgesetze ein guter Denkansatz, allerdings berücksichtigen sie nicht, daß durch den Vorgang des Kochens über 90% aller Keime abgetötet werden. Im übrigen gibt es kein einziges Lebensmittel, daß nicht schon von Haus aus über einen gewissen Prozentsatz an schädlichen Keimen verfügt. Erst durch den Gar-Vorgang wird die latente Virulenz unterbrochen.
Bei Obst und Gemüse wird genau so verfahren. Wenn in einem Netz Kartoffeln zwei Stück Fäulnisschäden aufweisen, so wird die gesamte Ware weg geworfen, obwohl im gleichen Netz noch unbeschädigte Ware zu finden ist. Man braucht nur die beschädigte Ware aus sortieren.
Da die Marktleiter an das Marktgesetz gebunden sind, dürfen sie diese unbeschädigte Ware aus den oben erwähnten Gründen aber NICHT an Bedürftige abgeben. So kommt es, daß Hartz IV Kinder in einer Wohlstands- und Wegwerfgesellschaft an einer Mangelernährung leiden, die ihres gleichen sucht!
Dazu kommt noch der Akt von seelischer Grausamkeit, den die Kinder in der dritten Welt nicht erleiden müssen! Ein Kind, daß die Nahrung nicht sieht, welches man ihm vorenthält, leidet seelisch nicht so mörderisch, wie ein Kind, daß in einer vollen Speisekammer um eine Banane bittet, sie aber nicht bekommt, weil die Mutter kein Geld dafür hat!
Vor einiger Zeit ging ich im Supermarkt hinter einer Mutter und ihrem Kind hinterher. In dem riesigen Einkaufswagen dieser Mutter lagen ein Laib Brot, ein Becher Margarine, ein Glas Marmelade und ein Liter Milch. Als wir bei der Obstabteilung eingetroffen waren, legte ich einen Bund Dill in meinen bis dahin leeren Einkaufswagen und mußte folgende Grausamkeit mit ansehen:
Ein Verkäufer sortierte leicht braun gewordene Bananen von der Verkaufstheke aus, und warf sie in einen großen Karton, in dem sich schon anderes, leicht beschädigtes Obst befand. Das Kind streckte flehend seine Händchen nach diesen Bananen aus und bat um eine, doch der Verkäufer ignorierte diese Bitte.
Die Mutter brach in Tränen aus und schrie das Kind an: “Ich kann dir keine Bananen kaufen, mir fehlt das Geld dazu!“ Obwohl der Verkäufer, wie ich, diese Worte klar und deutlich gehört hatte, packte er den Griff seines Hub-Wagens und verschwand mit dem Obst in den Tiefen solcher Räume, die für Kunden nicht zugänglich sind.
In diesem Moment ist mir eine Sicherung durch gebrannt! Ich bin zu den wunderschönen, goldgelben Bananen der Verkaufstheke gegangen und habe eine Banane von einem Bund abgerissen, sie zur Hälfte geschält und dem Kind in die Hand gedrückt!
Erst als sich darauf hin ein beifälliges Klatschen erhob, kam ich wieder zu mir. Dies ist der traurige Zustand, in dem sich Deutschland befindet und das ist ein Grund mehr, weshalb ich mich schäme, eine Deutsche zu sein!
von Elisabeth Rosing