Sozialgerichtsgebühren und Prozesskostenhilfe
Dafür, dass Rechtsprechung möglich wird, bedarf es eines ungehinderten Zugangs zu den Gerichten. Für Geringverdiener/innen und Langzeitarbeitslose bzw. für arme Leute gibt es deshalb die Prozesskostenhilfe. Nun wollen CDU/FDP-regierte Bundesländer jedoch den Zugang zu den Gerichten – insbesondere zu den Sozialgerichten, die zum Beispiel über Arbeitslosengeld II (Alg II) entscheiden – durch empfindliche Gebühren so weit einschränken, dass sich Arme praktisch kaum noch auf dem Rechtsweg mit Hilfe einer Klage gegen Willkür wehren können.
Für Personen, die auf die soziale Grundsicherung des Sozialgesetzbuchs (SGB) angewiesen sind, kosten Sozialgerichtsverfahren nichts, wenn ihr Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt wird. Dafür prüfen die Gerichte zuerst, ob die Klage Aussicht auf Erfolg haben kann. Nur bei substantiellen Klagen gibt es eine Kostenbefreiung. Zuständig für PKH-Anträge sind die Gerichte, bei denen die jeweilige Klage erhoben wird.
Das jetzige Prozesskostenhilferecht, das im Gerichtskostengesetzes (GKG) verankert ist, wurde in der Bundesrepublik 1980 eingeführt. Im sozialen Rechtsstaat sollen entsprechend dem Gleichheitsgebot des Grundgesetzes auch finanziell gering bemittelte Personen einen gleichberechtigten Zugang zum Rechtsstaat erhalten.
Im Kontext von Hartz IV möchten CDU/FDP-regierte Länder die Gebührenfreiheit für Sozialversicherte, Empfänger von sozialen Leistungen und Behinderte im sozialgerichtlichen Verfahren abschaffen und eine Kostenbarriere schaffen, die es in sich hat.
Einerseits wollen die konservativ-liberalen Landesregierungen eine Gerichtsgebühr einführen, die dann getragen werden muss, wenn man den Prozess verliert. Die Gebühren sollen im Voraus fällig werden und in der Höhe zwischen 75 € und 225 € liegen – je nach Gerichtsinstanz: 75 € bei den Sozialgerichten, 150 € bei den Landessozialgerichten und 225 € beim Bundessozialgericht. Falls jemand die Mittel nicht aufbringen kann, soll das Gerichtsverfahren eben nicht eröffnet werden (Recht hin - Willkür her).
Andererseits sollen alle Betroffenen – nach den Vorstellungen der gelb-schwarzen Bundesländer – eine zusätzliche Antragsgebühr zahlen. Zwar ist allgemein für sozial Schwache zwar weiterhin eine Prozesskostenhilfe vorgesehen. Jedoch soll in jedem Fall eine Eigenbeteiligung von 50 € gezahlt werden (auch beim gröbsten Unrecht). Das wirkt wie eine deftige Strafgebühr für Arme, falls sie den Rechtsweg beschreiten, da die Gebühr auch zu zahlen ist, wenn man den Prozess gewinnt.
Für Besserverdienende und Spitzenpolitiker sind 50 € vielleicht ein kleinerer Betrag. Für Menschen, die mit Armutslöhnen oder mit Arbeitslosengeld II auskommen müssen, sieht die Welt jedoch ganz anders aus. 50 Euro: das sind ca. 15 % vom Regelsatz eines Erwachsenen bzw. etwa 20 % vom Regelsatzes eines Kindes. Anders gesagt: das liegt über dem Betrag, der bei Sozialhilfe und Alg II für 10 Tage für Essen und Trinken vorgesehen ist.
Die Pläne sind nicht neu. Derselbe Entwurf zum Sozialgerichtsgesetz (SGG) wurde bereits in der letzten Legislaturperiode eingebracht und sollte nach Plänen von konservativ-liberalen Unternehmensvereinigungen und der CDU/CSU zeitgleich mit Hartz IV im Januar 2005 in Kraft treten. Die rot-grüne Koalition hatte dies jedoch abgelehnt.
Auf Initiative des CDU/FDP-regierten Baden-Württemberg im Mai 2006 wurde mit Unterstützung der schwarz-gelben Landesregierung in Niedersachsen nun das Prozesskostenhilfe-Begrenzungsgesetz (Bundestagsdrucksache 16/1994 bzw. 16/1028) in der Länderkammer verabschiedet. Es bedarf nun noch der Zustimmung des Bundestages.
Bei der schwarz-roten Regierung Merkel sieht es jetzt anders aus. Zu den Gebühren für Sozialgerichtsverfahren wurde erst einmal ein Gutachten bestellt. Zwar lehnt die großkoalitionäre Bundesregierung die Begrenzung der Prozesskostenhilfe insgesamt ab. Sie kann im Gesetzgebungsverfahren jedoch nur Stellung nehmen. Entscheidend ist das Votum des Bundestags. Zwar sind beide Vorhaben (Sozialgerichtsgebühren plus gesonderte Antragsgebühren für Prozesskostenhilfe) dort förmlich noch nicht eingebracht - dies kann jedoch jederzeit geschehen.
Ganz offen werden die Gesetzesvorhaben von CDU und FDP mit steigenden Kosten für Sozialgerichtserfahren und bei der Prozesskostenhilfe begründet. Nach Meinung des baden-württembergischen Justizministers Ulrich Goll (FDP) sollen die Kosten des Rechtsstaats über eine Begrenzung der "Flut aussichtsloser Verfahren" vor den Gerichten eingedämmt werden.
Merkwürdig, denn: Derzeit findet eine Kostenverlagerung von den Verwaltungs- zu den Sozialgerichten statt. 2005 stiegen die Kosten der Sozialgerichte stark an, da sie für das SGB II (Alg II / Hartz IV) zuständig sind – seitdem sinken jedoch die Kosten der Verwaltungsgerichte, die zuvor für die Sozialhilfe (BSHG) zuständig waren.
Seltsam, denn: Im gesamteuropäischen Kostenvergleich liegt die Kostenbelastung für die Staatshaushalte in Deutschland gegenüber den Spitzenreitern weit hinten – sofern man den Kostenvergleich seriös durchführt.
Unglaublich, denn: Prozesskostenhilfe wird nur dann bewilligt, wenn eine Klage hinreichende Substanz hat und Erfolgsaussichten bestehen können.
Als “in erschütternder Weise verfassungswidrig” bezeichnet die Neue Richtervereinigung in ihrer Stellungnahme an das Bundesjustizministerium das Vorhaben des Bundesrats. Die liberal-konservativen Pläne verletzen Art. 3 Abs. 1 und 19 Abs.4 GG, wonach Jedem effektiver Rechtsschutz zu gewähren ist.
Die große Zahl an Gerichtsverfahren gegen nicht erteilte und erteilte Bescheide sowie Widerspruchsbescheide der Job-Center (Argen und Optionskommunen) verdeutlicht die relativ große Rechtsunsicherheit in den ersten Jahren beim SGB II sowie offenbare Fälle von Willkür in der Arbeits- und Sozialverwaltung. Im ersten Quartal 2006 bezogen sich rund 40 Prozent aller Sozialgerichtsverfahren auf das SGB II / Alg II – Tendenz anhaltend hoch. Rund ein Drittel der Klagen sind erfolgreich.
Den offensichtlich großen Bedarf an Rechtsstaatlichkeit für die unteren Einkommensgruppen möchten viele Kommunal- und Landespolitiker aus den Kreisen von CDU/CSU und FDP unterdrücken, indem sie den Rechtsweg mit einer für arme Leute sehr dicken Kostenmauer verstellen. Konservative und Liberale wissen, dass sie damit größeren Platz schaffen für noch mehr Willkür und Rechtsunsicherheit in den Job-Centern. Dies ist sogar ein erklärtes Ziel, wenn man in den vielstimmigen Chor der populistischen Stimmen im schwarz-gelben Lager hineinhört. Sie wissen auch, dass damit keine neuen Arbeitsplätze geschaffen werden. Existenzsichernde und sozial gesicherte Arbeitsplätze schon gar nicht.
Quelle: ver.di Referat
Erwerbslose/Arbeitsmarktpolitik, November 2006