Stochern im Nebel
Herne und der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr gucken gespannt nach Dortmund. Dort gibt es für Tausende Bedürftige seit Februar ein Sozialticket. Was es die Stadt kostet, ist noch unklar
Es soll den Nahverkehr für Benachteiligte bezahlbar machen, Mobilität und gesellschaftliche Teilhabe sichern. So argumentieren die Befürworter des Sozialtickets. Die Initiativen für dessen Einführung kommen meist aus Arbeitslosenverbänden, aus Wohlfahrtsorganisationen und aus dem linken politischen Lager. In Herne war es die Linkspartei, die das Thema auf die Tagesordnung brachte. Und auch die Grünen hatten reges Interesse an dem Thema gezeigt.
Das Ergebnis der Diskussion im Rat ist bekannt. Unter gegebenen Umständen nicht machbar, lautete das mehrheitliche Urteil der Mitglieder. Die Kosten seien kaum kalkulierbar, begründete die Verwaltung ihre ablehnende Haltung. Und: Für eine Stadt mit nicht genehmigtem Haushalt sei das Sozialticket nicht denkbar. Die Kommunalaufsicht würde die freiwillige Leistung niemals abnicken.
Völlig vom Tisch ist das Thema damit noch nicht. Auch in anderen Ruhrgebietsstädten gibt es eine Debatte über die vergünstigte Teilhabe am Nahverkehr: in Essen, Bochum, oder Gelsenkirchen. Sie alle schauen - wie auch Herne und der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr - nach Dortmund.
In der ehemaligen Bierstadt gibt es das Sozialticket seit dem 1. Februar dieses Jahres. Dortmund, jüngst aus der Haushaltssicherung herausgefallen, gilt als Testläufer des Ruhrgebiets. Was kostet das Sozialticket wirklich? Wie wird es angenommen und wie läuft die Handhabe? "Antworten auf diese Fragen kann man in einigen Monaten aus Dortmund bekommen", sagte VRR-Sprecher Lars Wagner gestern zur WAZ.
Was das Sozialticket verkompliziert und die Probleme auf den gesamten VRR mit seinen 21 Städten und fünf Kreisen ausdehnt, ist die sogenannte Einnahmeaufteilung. Führt eine Stadt ein verbilligtes Ticket ein, muss sie sich trotzdem an der VRR-Umlage beteiligen, als gäbe es das Ticket nicht. Abgerechnet wird nicht das Sozialticket, sondern das günstigste Monats-Abo-Ticket. So hat es der Verbund beschlossen und dabei soll es bis auf Weiteres bleiben. Derzeit nennt der VRR die Regel "fair", weil Städte ohne Sozialticket nicht durch die sozialpolitische Entscheidung einer anderen Kommune benachteiligt werden dürften.
Für Dortmund heißt das konkret: Pro verkauftem Sozialticket (15 Euro, stadtweit gültig) zahlt der Verkehrsbetrieb monatlich etwa 42 Euro in den VRR-Topf. Die Differenz bleibt über Umwege bei der Kommune hängen und belastet den Haushalt. Für Dortmund macht die Regelung das Ticket empfindlich teuer.
11 723 von etwa 82 000 Berechtigten haben das Sozialticket in Dortmund schon erhalten. Berechtigt sind Empfänger von Arbeitslosengeld II, von Grundrente, Jugendhilfe und anerkannte Asylbewerber. "Der Bedarf ist enorm, ohne Wenn und Aber", so Bernd Winkelmann, Sprecher der Stadtwerke zur WAZ. Die Stadtwerke sind Träger des Personennahverkehrs in Dortmund.
Winkelmann geht davon aus, dass die Einführung des Sozialtickets das Defizit im Öffentlichen Personennahverkehr - im vergangenen Jahr waren es 62,3 Mio Euro - unabhängig von der VRR-Umlage erhöht. Eine Annahme, die die Dortmunder Stadtwerke darauf stützen, dass 28 % der neuen Sozialticket-Nutzer zuvor ein reguläres Monatsticket 1000 gekauft hatten. Für eine ernsthafte Bilanz sei es zwar noch zu früh, es dränge sich aber sehr wohl die Frage auf, ob die Einnahmeverluste durch ein Zuwachs an Neukunden zu kompensieren seien. Die Stadtwerke gehen davon aus, dass 15 000 bis 20 000 Dortmunder beim verbilligten Sozialticket zugreifen werden.
Die Herner Grünen bewerten die Sachlage derzeit mit gebremstem Elan: Das Sozialticket könne nur über den VRR laufen. Ein Argument, das die SPD im Rat teilte. Städte mit nicht genehmigtem Haushalt seien eben nicht Dortmund. Nach Ansicht der Grünen müsste die Einnahmeaufteilung des VRR neu geregelt werden. Und auch dann bliebe zu prüfen, ob und zu welchem Preis das Ticket umsetzbar wäre. Man wolle das Thema beim VRR wieder auf die Tagesordnung bringen, vor 2009 werde das aber nicht hinhauen.
Für die Linken steht hingegen fest: "Verwaltung, SPD und Grüne wollen das Ticket nicht!" Man habe die Umsetzung nicht mal probiert, so Bärbel Beuermann.
Quelle: WAZ vom 11.03.08