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Unsoziale Datenschützer

Für den Datenschutz von Hartz-IV-Empfängern und Migranten interessiert sich kaum jemand. Dabei müssen die wirklich die Hosen herunterlassen.

Wer an den Grenzen Europas um Asyl bittet, dessen Fingerabdruck ist bei Eurodac gespeichert. Passiert in einem EU-Mitgliedsland ein Verbrechen, sollen die Beamten künftig die Fingerabdrücke mit dieser Datenbank abgleichen können. Mit wenigen Klicks zum geklärten Mordfall sozusagen.

Als wäre die Tatsache, dass jemand aus seiner Heimat geflüchtet ist, schon ein Hinweis auf künftige Straftaten. Ursprünglich war Eurodac dazu geschaffen worden, Mehrfachanträge auf Asyl zu verhindern. Im vergangenen Jahr wurden in der Datenbank über 350.000 Sätze von Fingerabdrücken gespeichert.

Der Europäische Rat für Flüchtlinge und Exilanten (ECRE) hat die Idee nicht nur mit dem Hinweis auf die "Stigmatisierung" der Asylbewerber kritisiert. Wenn die Datei für nationale Polizeibehörden und Europol geöffnet würde, könnten die Daten möglicherweise auch in das Herkunftsland der Flüchtlinge gelangen und die Asylbewerber gefährden, fürchten die Experten. Die Frage ist nur: Wen interessiert das?

Als die EU-Kommissarin Cecilia Malmström vor einigen Wochen ihr Versprechen einlöste und die Daten veröffentlichte, die ihre Behörden zur Terrorbekämpfung einsammeln, interessierte das so gut wie niemanden. Lediglich die taz und einige Blogger widmeten dem Bericht ein paar Zeilen. Kein Wunder. Denn die Daten geben vor allem Aufschluss über Flüchtlingsbewegungen und Asylanträge.

Datenschutz ist ein Thema der Zeit. Doch interessieren sich die Datenschützer längst nicht für den Schutz aller Daten, und schon gar nicht für den Schutz der Daten Aller. Es spielte den Falschen in die Hände, zu behaupten, Datenschutz sei ein Luxusproblem. Aber ein Thema für Bessergestellte ist es definitiv.

"Es gibt einige wenige Themen, die Prominenz besitzen, und die ich für überbewertet halte", sagt Nils Zurawski, Kulturantrophologe an der Universität Hamburg, der auch für den Blog Surveillance-Studies schreibt. Ein Beispiel sei die Debatte um Googles Street View. "Wie nachhaltig ist hier der Datenschutz dadurch wirklich betroffen, und: für wen ist das wichtig – für Hausbesitzer?" fragt er. Dass der Internetkonzern sich nun daran macht, die Straßenzüge der Welt zu fotografieren, gereichte in den USA lediglich Swimming-Pool-Besitzern zum Nachteil. Diese hatten das Loch für ihr Schwimmbad ohne Baugenehmigung gegraben. (Entdeckt wurden sie auch nicht von Googles Street View, sondern von Google Earth.) "Ähnliches gilt für die Vorratsdatenspeicherung", sagt Zurwaski. "Die existierenden Probleme sind alltagspraktisch nicht greifbar und bleiben wohl ohne Konsequenzen für die meisten von uns."

Wirklich um ihre Daten fürchten müssen andere. Das Projekt Datenschutz zählte im ersten Quartal des Jahres 18 gravierende Fälle konkreter Verletzungen. Einmal verschwand eine Liste mit persönlichen Daten und Diagnosen aus einer psychiatrischen Klinik. Ein anderes Mal verschickte die Gemeinde Senden versehentlich Daten von 400 Hartz-IV-Empfängern an falsche Adressen. Besserverdiener traf es so gut wie nie, während Pannen in Sozialbehörden System zu haben scheinen. Immerhin: In einem Fall verlor ein Anwalt vertrauliche Akten aus dem Fahrradkorb. Den Schaden hatten Aufsichtsratsmitglieder, die für umstrittene Dienstreisen gestimmt hatten.

Es gibt viele Verbände, die hierzulande um den Datenschutz kämpfen. Nach dem Aufkommen der Piratenpartei ließen Vergleiche mit der Ökobewegung nicht lange auf sich warten: Organisationen wie Foebud, AK Vorat und andere schaffen es inzwischen, mehrere Tausend Menschen zur Demonstration nach Berlin zu locken. Sie feiern den Entscheid des Verfassungsgerichts gegen die Vorratsdatenspeicherung als persönlichen Sieg, ebenso wie das Scheitern der Netzsperren der Ursula von der Leyen. Sie interessieren sich aber erstaunlich wenig für die gesellschaftlichen Gruppen, die vor Staat und Unternehmen ganz besonders die Hosen herunterlassen müssen: Arbeitslose und Migranten.

Eine kleine, inoffizielle Umfrage unter den üblichen Verdächtigen, Verbänden und Aktiven bestätigt das. Auf die Frage nach den drei brennendsten Themen fallen am häufigsten: Vorratsdatenspeicherung, Elena und Beschäftigtendatenschutz, Swift, gefolgt von Netzsperren und Sozialen Netzwerken wie Facebook. Alles Dinge, um die sich Erwerbslose und Migranten keinerlei Sorgen zu machen brauchen. Sie haben weder fette Bankkonten, Breitbandflatrates noch feste Jobs. Fernreisen nach Kalifornien planen sie auch nicht.

"Warum müssen Hartz-IV-Empfänger bestimmte Kontrollen über sich ergehen lassen?", fragt Zurwaski. Und antwortet selbst: "Aus Angst vor Leistungsbetrug – ja sicher. Aber auch, weil die Härte, mit der Arbeitslose und die Sozialschwachen angefasst werden, inzwischen gesellschaftsfähig ist."

Beispiele gibt es genügend: Das Arbeitsamt Kostheim legte dem Bescheid an Hartz-IV-Empfänger aus Versehen eine Liste mit den Namen anderer Hilfsempfänger bei. Das Amt war bereits zuvor auffällig geworden, als es den privaten Zustelldienst TNT engagierte, der die private Post in den Hausfluren der Betroffenen verteilt hatte.

In Brandenburg verfügen einer aktuellen Studie zufolge 60 Prozent der Kommunen über kein Sicherheitskonzept für den Umgang mit elektronischen Daten.

Bei der Bundesagentur für Arbeit lagerten bis vor Kurzem die Daten aller Klienten für alle Mitarbeiter abrufbar im System, inklusive der Vermerke über Suchtkrankheiten, soziale Probleme und Schulden.

Die Beamten interessieren sich in einigen Fällen offenbar wirklich für die Daten. Als zwei Arbeitslose im Jahr 2008 an einer Casting-Show von Dieter Bohlen teilnahmen, verzeichneten die beiden Datensätze rund 10.000 Zugriffe, berichtete das das Datenschutzzentrum Schleswig-Holstein anschließend. Das Forum Erwerbsloser kritisiert zudem das Projekt "Elektronische Akte". Die Post soll künftig die Post von Arbeitslosen scannen und sie anschließend per Datenleitung weiter an die Behörden schicken. Die kurzfristige Aufregung über das neue Vorgehen legte sich jedoch schnell. Schließlich wird auf diese Weise viel Papier gespart – und Geld des Steuerzahlers. Die Argumente verfingen sicher nicht so schnell, wenn das Finanzamt dazu überginge, Erbschaftsangelegenheiten von Subunternehmern einscannen zu lassen.

Zugleich prüfen die Behörden immer öfter Konten von Hartz-IV-Empfängern. Seit dem Jahr 2005 haben sich die Kontoanfragen allein in Mecklenburg-Vorpommern mehr als verfünffacht, brachte zuletzt eine Anfrage der FDP ans Licht. Vor fünf Jahren überprüften Ämter noch lediglich ein Konto. 2008 waren es schon 55, im ersten Halbjahr 2009 stieg die Zahl der überprüften Konten auf 72. Eine Sprecherin der Bundesagentur formulierte dazu in der Ostsee-Zeitung: "Langzeitarbeitslose haben weniger Potenzial, ein Konto zu verschweigen."

In der Bremer Hartz-IV-Verwaltung drohte man den Antragsstellern gar mit finanziellen Einbußen, sollten sie nicht einwilligen, ihren behandelnden Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. Inzwischen ist es zudem üblich, private Inkassobüros damit zu beauftragen, Außenstände bei Hartz-IV-Empfängern einzutreiben. Für die gelten jedoch nicht die gleichen Regeln der Verschwiegenheit wie für einen staatlichen Gerichtsvollzieher.

Tierschutz, Umweltschutz, Datenschutz: Jedem steht frei, sich für das Thema zu engagieren, das ihm persönlich am Herzen liegt. Dennoch könnte die Beschäftigung mit den Problemen Benachteiligter mittelfristig auch im eigenen Interesse sein. Oft wird an ihnen erprobt, was später für alle gilt. Ein Beispiel ist der Fingerabdruck im Personalausweis. In der Schweiz regte sich kaum Widerstand, als der Staat anfing, die Fingerabdrücke von Ausländern auf Ausweispapieren zu speichern. Damals hieß es, das sei praktischer und erspare den Betroffenen Schikanen und Gebühren. In Deutschland gibt es den Chip künftig für alle Bürger. Die Argumente, mit denen er beworben wird, sind die gleichen.

Quelle: Zeit vom 11.08.2010

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