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Privilegierte Privilegierte privilegiert

Stipendien verschärfen Bildungsungerechtigkeit, statt sie zu bekämpfen. Vor und bei Einführung von Studiengebühren wurde der Aufbau eines »umfassenden Stipendiensystems« versprochen. Ein solches gibt es bis heute nicht. Doch selbst mit ihm wäre es um die Chancengleichheit im Bildungssystem nicht gerade gut bestellt. Das zeigt ein Blick auf die vorherrschende Praxis bei der Vergabe von Stipendien.

Von den zwei Millionen Studierenden will Annette Schavan zukünftig maximal einen Prozent, also etwa 20 000, mit öffentlichen Studienstipendien fördern lassen. Das Deutsche Studentenwerk, das sich für die sozialen Belange der Studierenden einsetzt, hat diese Stagnation bezüglich der Entwicklung eines Stipendiensystems bereits im letzten Jahr einen »Skandal« genannt. Um einen solchen handelt es sich allerdings in doppelter Hinsicht: Nicht nur, dass die Politik nicht einlöste, was sie versprach. Vielmehr verschärfen Stipendien in der Regel noch die soziale Ungleichheit. Denn sie sind von vorn herein nur für eine nach politisch bestimmten Kriterien definierte Minderheit gedacht und daher stets selektiv.

Dass das Vergabekriterium in aller Regel nicht einmal jenes der »Bedürftigkeit« der nur 20 000 aus zwei Millionen ist, hat unlängst auch eine Studie belegt. Tatsächlich steigt mit höherer sozialer Herkunft auch der Anteil der Studierenden, die ein Stipendium erhalten. Das bedeutet konkret: Die Studierenden aus wohlhabendem Elternhaus erhalten mit mehr als doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit ein Stipendium als jene, bei denen es besser aufgehoben wäre.

Doch wie kommt es zu diesem Missverhältnis? Es existieren etwa 14 000 Stipendien öffentlicher sowie geschätzte 26 000 Stipendien privater Stiftungen. Kein Stipendium erhalten also etwa 1,96 Millionen Studierende. Unter diesen gibt es rund 345 000 Bafög-Empfänger, die größtenteils nicht von den Studiengebühren ausgeschlossen werden sollen, obwohl sie sicher als bedürftig anzusehen sind. Zudem verfügt immerhin jeder und jede fünfte der zwei Millionen Studierenden momentan nur über ein Monatsbudget, das unterhalb des Bafög-Höchstsatzes von 585 Euro im Monat liegt. Diesen Zahlen stehen rund 1,4 Millionen Studierende gegenüber, die ab dem Wintersemester 2007/2008 Studiengebühren bezahlen sollen. Sowie 800 000 Studierende, für die gemäß aktueller Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks die Studienfinanzierung bereits jetzt als »unsicher« gilt.

Etwa 65 Prozent aller öffentlichen Studienstipendien werden dabei von nur vier der staatlich anerkannten elf Begabtenförderwerke vergeben. Diese vier Einrichtungen (Stiftung der Deutschen Wirtschaft, Konrad-Adenauer-Stiftung, Friedrich-Naumann-Stiftung, Studienstiftung des deutschen Volkes) gehören zugleich dem konservativen Spektrum der Förderwerke an, was die Auswahl der Stipendiaten sicher mit bestimmt. Die Quote der zumindest potenziell »sozial Bedürftigen« unter den Stipendiaten dieser Werke liegt bei maximal 18, die Quote derjenigen mit sehr wohlhabendem Elternhaus hingegen bei über 50 Prozent.

Ganz überwiegend profitieren also die Privilegierten auch in dieser Stipendienstruktur. Das liegt insbesondere daran, dass für alle öffentlichen Stipendien stets »überdurchschnittliche Leistung« ein ausschlaggebendes Vergabekriterium ist. Nicht einmal die der Linkspartei nahe stehende Rosa-Luxemburg-Stiftung organisiert einen Nachteilsausgleich: auch sie wertet zuerst Leistungen und berücksichtigt erst dann soziale Benachteiligung und andere Kriterien.

Das Problem hieran ist: Leistung selbst hängt angesichts des herrschenden Schulsystems von der sozialen Herkunft ab. Ein Akademikerkind lernt aufgrund seines Herkunftsvorteiles in der Regel besser und leistet leichter mehr als ein Kind aus bildungsfernen oder sozial schlechter gestellten Schichten. Zudem tritt ein Oberschichtkind aufgrund seines Habitus selbstsicherer und zielbewusster auf. Stipendienvergabe nach Noten und erbrachten Schulleistungen, die wiederum auch vom Auftreten mitbestimmt sind, verstärken daher die Bildungsungerechtigkeit.

Aber selbst Anstrengungsbereitschaft und gute Leistungen werden einem Arbeiterkind schlechter honoriert als einem Zögling des Bildungsbügertums. Unter der »Leistungselite« der Studierenden mit einem Notenschnitt zwischen 1,0 und 1,4 erhalten aktuell nur sieben Prozent der Studierenden aus Arbeiterfamilien, aber 14 Prozent der Studierenden mit Akademikerelternhaus ein Stipendium.

Aufgrund des zunehmenden Wettbewerbs unter den Hochschulen werden die bereits doppelt Privilegierten (Herkunft plus Stipendium) momentan sogar noch weiter privilegiert: An einigen deutschen Hochschulen können sich ausgerechnet die Stipendiaten der öffentlichen Begabtenförderungswerke auch noch von den Studiengebühren befreien lassen; sicher in der Hoffnung, hierdurch »Begabte« anzuziehen und sich als Hochschule mit diesen profilieren zu können.

In der Konsequenz führt dies zu folgender Kette an »Auswahlmechanismen«: Auf der einen Seiten erhalten bevorteilte Jugendliche aus gehobenem Elternhaus in der Regel bessere Noten und aufgrund dieser Noten sowie ihres Habitus dann auch ein Stipendium, welches sie wiederum dazu privilegiert, als einzige keine Bildungsgebühr entrichten zu müssen. Auf der anderen Seite stehen die sozial Benachteiligten oder Kinder aus Nichtakademikerfamilien, deren Situation sich folgendermaßen beschreiben lässt: Sie schaffen seltener den Sprung auf ein Gymnasium und von dort an die Hochschulen, ihre ob des Elternhauses vorhandene kulturelle Benachteiligung wird mittels des Bildungssystems in Noten und ob dieser in niedrige Lebenschancen umgemünzt. Diese systemimmanente Benachteiligung sorgt dafür, dass sie selbst dort, wo sie formal gleiche Leistungen wie Bürgerkinder erbringen und das Selektionssystem erfolgreich durchlaufen, was für sie ein Mehrfaches an Arbeitsaufwand bedeutet, im Stipendienwettbewerb dennoch unterliegen - und sei es, weil sie nicht selbstsicher genug auftreten. Da sie als »unbegabt« gelten, müssen sie nun auch noch Studiengebühren zahlen.

Die Schlussfolgerung, die sich aufdrängt, ist simpel und erschreckend zugleich: Zur Elite wird man geboren!

Quelle: Neues Deutschland vom 12.10.07

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