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Die Auswirkungen der Gesundheitsreform

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Redebeitrag anlässlich des Aktionstages gegen Sozialabbau am 2.4.04 in Dortmund

Autorin: Dr. med. Karin Krehl

Als ich mich vor 16 Jahren als praktische Ärztin niederließ, kostete ein Rezept 50 Pfennig. Heute höre ich oft: „Die 10 Euro Praxisgebühr kann ich ja noch bezahlen, aber für die Medikamente habe ich kein Geld mehr.“

Dabei sind noch nicht mal alle Bestandteile der sogenannten Gesundheitsreform in Kraft. Nächstes Jahr sollen wir Zahnersatz privat versichern, in 2 Jahren soll das Krankengeld als Kassenleistung wegfallen. Wenn Sie als Arbeiter, Angestellte, Arbeitslose, Rentner, sich heute schon überlegen, ob Sie sich den Arztbesuch leisten können, wie wollen Sie dann die zahlreichen notwendigen privaten Zusatzversicherungen noch bezahlen??

Das soll alles notwendig sein wegen der „Kostenexplosion“ im Gesundheitswesen. Es fällt mir schwer, dieses Wort in den Mund zu nehmen! Keiner hat etwas gegen vernünftiges Sparen. Aber darum geht es hier gar nicht. Sie als Patienten haben keine steigenden Gesundheitskosten verursacht. Die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung stagnieren seit Jahren bei 6,5% des Bruttosozialprodukts, das sind Peanuts. Nach Analyse der AOK haben allerdings die Pharmakonzerne seit den 90er Jahren trotz starkem Rückgang der Verschreibungen ihren Umsatz verdoppelt und damit ihre Gewinne traumhaft gesteigert. Seit dem 1.1. stiegen die Preise für bewährte, bislang preisgünstige Medikamente um bis zu 500%, z.B. Diclofenac und Ibuprofen.

Und weiter: Die Krankenhäuser wurden von weltbeherrschenden Konzerne als Profitquelle entdeckt. 20 Klinikketten und Krankenhauskonzerne sind in Deutschland im Übernahmefieber und brechen sich die Filetstücke heraus. Staatliche oder halbstaatliche Häuser, die nicht Maximalprofit versprechen, sind unverkäuflich. So wurden in der ersten Stufe der Gesundheitsreform schon mal 30.000 Krankenhausbetten in Deutschland abgebaut. Ab 2005 sollen es noch mal über 135.000 Betten weniger werden, um die Kliniken stromlinienförmig durchzustylen. Angenommen, Sie benötigen eine Hüft- oder Bandscheiben-Op und wissen vor Schmerzen nicht mehr ein noch aus. Pech gehabt, machen Sie sich auf Wartezeiten von Monaten gefasst, bis Ihr Hausarzt ein Bett für Sie ergattert hat. Wenn Sie zufällig auf dem Land einen Herzinfarkt erleiden, stellen Sie sich schon mal auf einen Transportweg ein, der zu lange ist, um Sie zu retten, denn die wohnortnahen Krankenhäuser sind alle wegsaniert.

Eine weitere Konsequenz der geplanten Privatisierungen ist die Umstellung der Krankenhausfinanzierung vom Kostendeckungsprinzip auf sogenannte „marktwirtschaftliche Anreizsysteme“. Das bedeutet für Sie, dass die durchschnittliche Verweildauer im Krankenhaus um die Hälfte auf 7 Tage gedrückt werden soll. Eine Operation bringt eben eine bestimmte Summe, egal ob Sie 7 oder 14 Tage im Krankenhaus sind. Das heißt, Sie werden unter Umständen pflegebedürftig entlassen, damit der nächste Ihr Bett kriegt. Dann müssen Sie eben gucken, wie Sie allein zu Hause fertig werden. Von den Zuständen in den Altenheimen reden wir erst gar nicht.

Für die Schwestern, Pfleger und Ärzte heißt das Entlassungen, Lohnabbau, noch mehr Arbeitsverdichtung und für Sie als Patient immer schlechtere Versorgung. Aber das ist nicht das Problem der privaten Gesundheitsindustrie! Hauptsache die Kasse stimmt!

Das ganze Gerede von den angeblich ausufernden Kosten soll verbergen, dass der Gesundheitssektor in Deutschland ein lukrativer Wirtschaftsbereich ist, in dem jährlich etwa 270 Milliarden Euro umgesetzt werden. Mit 3,5 Billionen Dollar weltweit gilt das Gesundheitswesen als profitabelster Markt überhaupt. Logisch, dass die Konzerne da an der paritätischen Finanzierung keinerlei Interesse haben.

Gesundheit ist ein Menschenrecht, kein Spekulationsobjekt an den internationalen Aktienmärkten.

Und seine Rechte muss man sich in diesem System erkämpfen. Die Gesundheitsreform muss sofort voll und ganz zurückgenommen werden. So wie die ganze Agenda 2010!

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