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Arbeiten und trotzdem arm sein

Immer mehr Menschen arbeiten und sind trotzdem arm. Vor allem Beschäftigte des Einzelhandels kommen häufig auf keinen grünen Zweig. Das erzählt ein ehemaliger Teamleiter des Ein-Euro-Discounters Tedi.

"Eine 45-Stunden-Woche ohne Pausen war normal", sagt er. Irgendwas sei eben immer zu tun gewesen: Ware auspacken, Kasse machen oder Toiletten putzen. Doch gelohnt habe sich die Plackerei nicht: "Man arbeitet und ist trotzdem arm", stellt er fest. Sein Lohn betrug 1300 E brutto im Monat.

Der hagere, bleiche Mann hat Tedi den Rücken gekehrt und einen neuen Arbeitsplatz gefunden. Ebenfalls im Einzelhandel und dennoch mit der Sorge, dass seine Aussagen auch dort für Ärger sorgen könnten. "Doch es muss bekannt werden, was bei Tedi los ist; wie schlecht die Leute bezahlt und behandelt werden."

Der gelernte Einzelhandelskaufmann blickt zurück: Er ist auf der Suche nach einem festen Job und ist hoch erfreut, dass der Dortmunder Discounter ihn haben will. Sogar als Teamleiter. "Das hörte sich toll an", er fühlt sich geschmeichelt.

Eine eigene Wohnung - undenkbar!

Es folgt die Ernüchterung. Denn ein Arbeitstag hat es in sich - Teamleiter hin, Teamleiter her. "Punkt 8.55 Uhr müssen die Außenstände aufgebaut sein. Punkt 19 Uhr werden sie abgebaut. Also muss man eine halbe Stunde vor Dienstbeginn da sein. Nach Dienstschluss werden´s nochmal 45 Minuten". Dann heißt es fegen, putzen. Dazwischen dreht sich alles um die Ein-Euro-Ware, die positioniert und verkauft werden soll.

Natürlich macht sich der Mann seine Gedanken. Wenn er am Ende eines 180-Stunden-Monats plus Ü-Stunden erschöpft ist, fragt er sich, wie es weitergehen soll. Seine Überstunden werden nicht bezahlt. Er kann sich nichts leisten. Auch für eine Wohnung reicht´s nicht, obwohl er schon in den Dreißigern ist. "Es hieß immer, wir wollen expandieren und du wirst davon profitieren", erzählt er. Doch er profitiert nicht, obwohl sich Tedi ausdehnt. Er arbeitet weiter und beginnt, sich woanders zu bewerben.

In der Zwischenzeit lernt er die Hierachie des Unternehmens kennen. Sein Vorgesetzer ist ein Bezirksleiter, der immer nach dem Rechten schaut. Einmal die Woche, manchmal zweimal, gerne auch am Abend. "Wenn dem Bezirksleiter was nicht passt, gibt´s Strafen. Dann darf man zum Beispiel keine Hilfskraft einsetzen. Dann ist man stundenlang auf 700 Quadratmetern alleine." Alleine zu arbeiten bedeutet nicht nur Islolation, sondern auch eine deutliche Mehrbelastung. "Da bist du fertig, da träumst du von", sagt der Mann, und "außerdem kriegt man für jede Kleinigkeit eine Abmahnung".

Doch während der Ex-Teamleiter nach drei Jahren endlich einen Lohnzuschlag erhält und 1500 brutto verdient oder 1022 netto, arbeitet die Mehrheit der Mitarbeiter für 4,50 E. "So ist das. Das sind 400-Euro-Kräfte", weiß der Ex-Tedi-Mann. Doch niemand verdiene hier jemals 400 Euro, "dafür muss man 88 Stunden knechten." Übrigens: Die Tedi-Geschäftsführung war zu keiner Stellungnahme bereit.

Quelle: Westfälische Rundschau vom 19.07.2007

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