Geiz ist geil – Leiharbeiter zu Dumping-Preisen
Fast 30 Jahre in derselben Firma, das ist normalerweise ein Grund zum Feiern. Doch Niki Burnari aus Berlin ist zum Heulen zumute. Sie bekam die Kündigung. Aber weiterarbeiten darf sie trotzdem. Sogar an ihrem alten Arbeitsplatz. Allerdings als Leiharbeiterin zu einem deutlich geringeren Tarif. Hartz macht's möglich.
„Deutschland ist ein Sanierungsfall!“, schimpfte die Bundeskanzlerin. Haushalt, Gesundheit, Arbeitsmarkt: Aus diesen Albträumen würden auch die Politiker gern erwachen. Und die Unternehmen steigern ihre Gewinne, aber die Beschäftigten: die verlieren ihre Jobs. Heute die Allianz: 7.500 Stellen wird sie streichen. Reguläre Jobs werden Mangelware. Immer mehr Unternehmen wandeln Arbeitsplätze kurzerhand in Leiharbeitsplätze um. Das drückt die Kosten und funktioniert ganz legal. Dieser perfide Trick macht Schule. Und wie er funktioniert zeigen ihnen jetzt Sascha Adamek und Gabi Probst.
Niki Burnari versteht die Welt nicht mehr. Kurz vor ihrem 28jähigen Dienstjubiläum hat ihr der Arbeitgeber gekündigt.
Niki Burnari
„Besonders bitter ist, man hat alles mitgemacht, und ich habe mich in diesem Betrieb so wie eine Familie gefühlt, das war mein zweites Zuhause. Ich bin da erwachsen, reif geworden. Ich war ein junges Mädchen als ich angefangen habe, war auch ein sehr schöne Zeit.“
Niki Burnaris Arbeitgeber ist der Berliner Herlitz-Konzern – einer der größten Papierwarenhersteller Europas. Das Unternehmen ist stolz auf seine Tradition. Für Herlitz und die Tochterfirma Econ hat die heute 54jährige ihr Leben lang gearbeitet.
Und jetzt das Aus. Die Kündigung. Zeitgleich machte die Firmenleitung ihr ein neues Angebot: Sie könne ja als Leiharbeiterin weitermachen – dieselbe Arbeit – nur für weniger Geld.
Niki Burnari
„Ich bin wütend, ich bin so verletzt.“
Auch ihr Kollege Carsten Juhnke steht seit 15 Jahren jeden morgen
um vier Uhr auf. Er weiß, dass er demnächst die Kündigung erhält. Und
auch für ihn gilt das Angebot, für weniger Geld weiterzumachen.
Carsten Juhnke
„Ich würde dann im Prinzip für drei bis fünf Euro die Stunde weniger
arbeiten und mache die gleiche Arbeit im Prinzip, die ich auch vorher
gemacht habe.“
Morgen für Morgen fährt Carsten Juhnke eine dreiviertel Stunde über Land. Mobilität ist hier alles. 40 Stunden arbeitet er in der Woche, dafür erhält Bruttolohn von 1.500 Euro, noch. Nähme er das Angebot seiner Chefs an, bekäme er als Leiharbeiter rund 400 Euro weniger. Auf seinen Fahrten begleitet ihn vor allem ein Gedanke. Wie er das seinen Kindern erklären soll, dass dann nicht mehr viel übrig bleibt.
Carsten Juhnke
„Das ist natürlich schwer, den Kindern das zu erklären. Dann kann
ich ihnen nur erklären, die wollen mehr Geld machen und dann kann ich
ihnen nur erklären, ja Papa ist für die schon zu teuer. Ich glaube
nicht, dass die Kinder das so richtig verstehen werden.“
Versuchen wir die neue Herlitz-Politik zu verstehen: Der Herlitz/Ecom-Mitarbeiter wird gekündigt und dann kann er kurz in einer Transfergesellschaft geparkt werden - mit Kurzarbeitergeld. Das wird sogar mit 60 Prozent von der Arbeitsagentur gesponsert. Damit sollen Gekündigte für andere Jobs weiterqualifiziert werden – so das Gesetz. Anders bei Herlitz. Hier wird dem Geschassten angeboten, sich bei einer Verleihfirma zu bewerben. Um dann wieder zu seinem ehemaligen Arbeitgeber Herlitz zurückvermittelt zu werden – jetzt aber als Leiharbeiter.
Ein fauler Trick, um die Tariflöhne der Branche zu umgehen, kritisiert Betriebsratsmitglied Detlef Heppe:
Detlef Heppe, Betriebsrat Herlitz
„Das Unmoralische ist für mich, wenn man da eins, zwei Tage in dieser Auffanggesellschaft ist, kann man sich bei den ansässigen Leiharbeiterfirmen bewerben und dann kommt man an seinen alten Arbeitsplatz wieder. Da ist wieder das Lohndumping, da ist es wieder da.“
Die Konzernspitze hatte leider keine Zeit für ein Interview. Schriftlich teilt sie uns mit, der Markt habe sich geändert, Zitat:
„Es war unabdingbar, die Personalkapazitäten entsprechend an zu passen.“
Doch wirtschaftlich ist Herlitz auf dem aufsteigenden Ast. Gestern präsentierte der Konzern die Bilanz. Der operative Gewinn wurde gesteigert: elf Prozent! Und die Tochter Herlitz/ecom hat die Gewinnzone erreicht. Wir fragen die Aktionäre nach dem Lohndumping durch Leiharbeit.
Aktionär
„Wenn es üblich ist in der Branche, warum soll es Herlitz nicht machen.“
Aktionär
„Wenn ich mit jedem, der entlassen wird, Mitleid hätte, komme ich aus dem Weinen nicht raus.“
Dass die, die hier schuften, dabei verlieren, darüber reden die Aktionäre nicht. Und die Leiharbeiter wollen aus Angst und Scham nicht reden.
KONTRASTE
„Sind Sie Leiharbeiter oder Festangestellte?“
Leiharbeiterin
„Leiharbeiter.“
KONTRASTE
„Waren Sie vorher auch schon hier?“
Leiharbeiterin
„Ja.“
KONTRASTE
„Und wie fühlen Sie sich denn?“
Leiharbeiterin
„Beschissen, auf deutsch gesagt.“
KONTRASTE
„Aber Sie haben vorher die gleiche Arbeit gemacht.“
Leiharbeiterin
„Ja. Ich sage nichts mehr.“
Herlitz ist dabei, rund 100 weitere, reguläre Arbeitsplätze abzubauen. Viele fürchten, dass auch diese durch Leiharbeiter ersetzt werden.
Detlef Heppe, Betriebsrat Herlitz
„Hier sind wirklich Politiker gefordert, die sich an den Tisch
setzen und dass man sich da mal unterhält. Das ist ein Trend, der so
nicht weiter Herlitz gehen kann. In zehn, fünfzehn Jahren arbeiten wir
dann alle nur noch für einen Hungerlohn. Das kann einfach so nicht
weitergehen.“
Für Dumpinglöhne schuften viele Arbeitnehmer inzwischen auch hier bei einem der größten Logistikkonzerne Deutschlands, der Firma Fiege , mit Sitz in Nordrhein-Westfalen. Und auch hier streicht man Gewinne ein, auf Kosten der Arbeitnehmer. Fiege setzt bei Neueinstellungen im Niedriglohnbereich fast ganz auf Leiharbeiter. Um den Branchenlohn zu umgehen, hat man hier sogar eine eigene Leiharbeitsfirma gegründet – ein Novum in Deutschland.
Viele Arbeitnehmer, die sich über eine Anstellung beim Großspediteur Fiege freuen, irren zunächst. Sie machen einen Umweg zur Leihfirma fiege uni/serv. Dort bekommen sie nicht eine Festanstellung beim Mutter-Konzern, sondern einen Leiharbeitsvertrag bei der Tochterfirma uni/serv. Statt dem Speditionstarif gibt es den Leiharbeitstarif mit rund 20 Prozent weniger.
Doch die Angst vor Arbeitslosigkeit treibt immer mehr Menschen in die Leiharbeit. Und so ist es zur Normalität geworden, dass Festangestellte und Leiharbeiter mit unterschiedlichen Löhnen die gleiche Arbeit machen.
KONTRASTE
„Sind Sie Leiharbeiter?“
Leiharbeiter
„Ja.“
KONTRASTE
„Wie finden Sie, dass sie zu Tarifen arbeiten, als andere?“
Leiharbeiter
„Besser als gar nix zu kriegen, als von Hartz IV zu leben.“
Leiharbeiter
„Ganz normal bald, ist Standard überall.“
Zumindest für die Konzernleitung von Fiege. Auch hier gibt es statt eines Interviews nur ein schriftliches Statement. Zitat:
„Mit Fiege uni/serv schaffen wir kunden- und auftragsbezogene
Flexibilität ohne die es in dynamischen Märkten in der Logistik nicht
läuft.“
Für Karin Korthals von der Gewerkschaft Verdi ist das kein Argument.
Karin Korthals, ver.di NRW
„Fiege ist riesengroßer Konzern, Fiege schreibt Gewinne, Fiege ist
auf Expansionskurs, da ist nicht nachvollziehbar, warum
Zeitarbeitnehmer bezahlt werden müssen. Die können die Leute fest
einstellen, weil sie sie auch brauchen.“
Dass auch der Herlitz-Konzern in Berlin Leute braucht, zeigt die stabile Auftragslage bei Herlitz/Ecom. Leiharbeiter sollten eigentlich Unternehmen in Produktionsspitzen flexibler machen - Arbeitslosen sollte die Zeitarbeit wieder die Chance auf echte Jobs verschaffen - so war es von der Politik gewollt. Dass ganze Belegschaften und langjährige Arbeiter wie Carsten Juhnke und Niki Burnari jetzt als Leiharbeiter ihren eigenen, festen Arbeitsplatz ersetzen sollen, führt das System ad absurdum.
Nicki Burnari kann ihre Krankentage in 28 Arbeitsjahren an zwei Händen abzählen. Das erste Mal nimmt sie Beruhigungstabletten. Nach 28 Jahren treuer Mitarbeit, jetzt als Leiharbeiter für einen Dumpinglohn zu arbeiten, diese Vorstellung hat sie krank gemacht.
Niki Burnari
„Es geht mir sehr schlecht seelisch. Ich fühle mich verletzt. Und
die Ärztin hat gesagt, ich soll eben diese Tabletten nehmen, damit ich
mich im Kopf erleichtert fühle und nicht immer wieder das Gleiche
denke.“
Diese Arbeiter heißen in der Sprache der Ökonomen „Humankapital“. Und wenn man Menschen so bezeichnet, klingt die ganze Aktion doch schon viel weniger brutal, oder?!
Quelle: Kontraste-Sendung vom 22. Juni 2006, Autor: Sascha Adamek und Gabi Probst