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Mindestlohngesetz gibt es längst

und zwar seit 1952

von Horst Schiermeyer

Angesichts der Zumutbarkeitsregelungen fuer kuenftige ALG-II-Empfaenger und der Debatten ueber einen "Niedriglohnsektor" hat eine neue Diskussion ueber gesetzliche Mindestloehne begonnen und es wird die Einfuehrung eines Mindestlohngesetzes gefordert.

Auf einer Veranstaltung von "Gewerkschaftsgruen" hatte nicht nur ich kuezlich ein "Aha-Erlebnis". Ein solches Gesetz gibt es schon seit 1952 (!!!). Es heisst:

Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen (vom 11.01.1952, BGBl. I S. 17) und ist in jeder Arbeitsrechtssammlung enthalten. Im Netz habe ich es nur auszugsweise gefunden bei

www.boeckler.de

Dies Gesetz ist noch nie angewandt worden. Zu seiner Entstehungszeit herrschte einerseits noch große Arbeitslosigkeit, andererseits sollten auch angesichts der "Sozialismusgefahr" soziale Mindeststandards festgelegt werden können. Durch das "Wirtschaftswunder", die starke Verhandlungsmacht der Gewerkschaften und dem Interesse der Arbeitgeber an einer Vermeidung ruinoeser Konkurrenz konnten aber alle wesentlichen Bereiche durch Tarifvertraege abgesichert werden. Fuer den einzigen relevanten Bereich mit geringem Organisationsgrad auf beiden Seiten, dem Heimarbeitsbereich, gab es ein Extra-Gesetz.

Gerade im Osten sinkt das Interesse der Arbeitgeber an tarifvertraglichen Mindeststandards und die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften ist oft sehr schwach. Daher ist insbesondere hier ein klassischer Anwendungsbereich des "MindArbBedG" gegeben. Gewerkschaftliche Vorbehalte gegen die Anwendung des Gesetzes kann ich nicht nachvollziehen, da die Mindestloehne und anderen Mindestarbeitsbedingungen durch paritaetisch besetzte Ausschuesse festgelegt werden unter Vorsitz eines Vertreters des Bundesarbeits- und -wirtschaftsministeriums (das dessen Chef z.Z. Clement heisst, sagt ja nichts grundsaetzlich gegen das Modell).

Ich halte diese gesetzliche Regelung fuer ein sehr gutes Handwerkszeug. Allein die Einrichtung der Ausschuesse und damit die oeffentliche Befassung mit dem Thema wird schon Druck in Richtung Festlegung von Mindestloehnen ausueben. Was dann im Detail rauskommt, ist natuerlich eine politische Machtfrage ...

Vielleicht ist die Qualitaet dieses Gesetzes als Handwerkszeug ja auch ein wesentlicher Grund dafuer, dass es so lange aus dem oeffentlichen Bewusstsein verdraengt worden ist??? Gegen diese Verdraengung sollten wir angehen.

Und nun alle wesentlichen Teile des Gesetzes:

§ 1 MindArbBedG

(1) Die Regelung von Entgelten und sonstigen Arbeitsbedingungen erfolgt grundsätzlich in freier Vereinbarung zwischen den Tarifvertragsparteien durch Tarifverträge.

(2) Mindestarbeitsbedingungen können zur Regelung von Entgelten und sonstigen Arbeitsbedingungen festgesetzt werden, wenn

a) Gewerkschaften oder Vereinigungen von Arbeitgebern für den Wirtschaftszweig oder die Beschäftigungsart nicht bestehen oder nur eine Minderheit der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber umfassen und

b) die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen zur Befriedigung der notwendigen sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse der Arbeitnehmer erforderlich erscheint und

c) eine Regelung von Entgelten oder sonstigen Arbeitsbedingungen durch Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages nicht erfolgt ist.

(3) Die Vorschriften des Heimarbeitsgesetzes werden durch dieses Gesetz nicht berührt.

§ 2 MindArbBedG

(1) Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit errichtet einen Hauptausschuss für Mindestarbeitsbedingungen (Hauptausschuss).

(2) Der Hauptausschuss besteht aus dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit oder einer von ihm bestimmten Person als Vorsitzendem und je fünf Vertretern der Gewerkschaften und der Vereinigungen der Arbeitgeber als Mitgliedern. Für jedes Mitglied ist mindestens ein Stellvertreter zu bestellen.

(3) Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit beruft die Mitglieder und ihre Stellvertreter unter billiger Berücksichtigung der Minderheiten auf Grund von Vorschlägen der Gewerkschaften und Vereinigungen der Arbeitgeber auf die Dauer von drei Jahren.

(4) Der Hauptausschuss ist von Amts wegen oder auf Antrag von mindestens fünf Mitgliedern einzuberufen.

(5) Die Tätigkeit der Mitglieder und ihrer Stellvertreter ist ehrenamtlich.

§ 3 MindArbBedG

(1) Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit bestimmt im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss die Wirtschaftszweige oder Beschäftigungsarten, für die Mindestarbeitsbedingungen zu erlassen oder aufzuheben sind.

(2) Der Hauptausschuss kann die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen, deren Änderung oder Aufhebung vorschlagen.

§ 4 MindArbBedG

(1) Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit errichtet Fachausschüsse für die Wirtschaftszweige und Beschäftigungsarten, für die Mindestarbeitsbedingungen festgesetzt werden sollen.

(2) Der Fachausschuss setzt die Mindestarbeitsbedingungen durch Beschluss fest.

(3) Die Mindestarbeitsbedingungen bedürfen der Zustimmung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Stimmt das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit zu, so erlässt es die vom Fachausschuss festgesetzten Mindestarbeitsbedingungen als Rechtsverordnung; die Rechtsverordnung bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates. Sie ist an der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit zu bestimmenden Stelle zu verkünden und tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft, sofern das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit keinen anderen Zeitpunkt bestimmt.

(4) Durch Mindestarbeitsbedingungen wird die unterste Grenze der Entgelte und sonstigen Arbeitsbedingungen in einem Wirtschaftszweig oder einer Beschäftigungsart festgesetzt.

§ 5 MindArbBedG

(1) Der Fachausschuss besteht aus mindestens je drei, höchstens je fünf Beisitzern aus Kreisen der beteiligten Arbeitnehmer und Arbeitgeber und einem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit bestimmten Vorsitzenden. Weitere sachverständige Personen können zugezogen werden; sie haben jedoch kein Stimmrecht.

(2) Die Beschlüsse des Fachausschusses werden mit einfacher Stimmenmehrheit gefasst. Bei der Beschlussfassung hat sich der Vorsitzende zunächst der Stimme zu enthalten; kommt eine Stimmenmehrheit nicht zu Stande, so übt nach weiterer Beratung der Vorsitzende sein Stimmrecht aus.

§ 6 MindArbBedG

(1) Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit beruft als Beisitzer der Fachausschüsse geeignete Personen auf Grund von Vorschlägen der Gewerkschaften und der Vereinigungen von Arbeitgebern für die Dauer von drei Jahren. Soweit keine Vorschläge eingereicht werden, sind die Beisitzer dieser Seite aus den Kreisen der Beteiligten zu berufen. Für jeden Beisitzer ist mindestens ein Stellvertreter zu bestellen.

...

§ 7 MindArbBedG

Vor Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen gibt das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit den obersten Arbeitsbehörden der beteiligten Länder, den Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die von der Regelung berührt werden, sowie den zuständigen Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern, soweit solche bestehen, Gelegenheit zu schriftlicher Stellungnahme, sowie zur Äußerung in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Fachausschuss.

§ 8 MindArbBedG

(1) Für die Mindestarbeitsbedingungen gelten, soweit sich nicht aus dem Fehlen von Tarifvertragsparteien oder aus diesem Gesetz etwas anderes ergibt, die ge**setzlichen Vorschriften über den Tarifvertrag sinngemäß.

(2) Tarifvertragliche Bestimmungen gehen den Mindestarbeitsbedingungen vor.

(3) Ein Verzicht auf entstandene Rechte aus den Mindestarbeitsbedingungen ist nur durch Vergleich zulässig. Er bedarf der Billigung der obersten Arbeitsbehörde des Landes oder der von ihr bestimmten Stelle.

§ 9 MindArbBedG

Die §§ 4 bis 7 gelten entsprechend für die Änderung und Aufhebung von Mindestarbeitsbedingungen.

§ 10 MindArbBedG

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit kann die Befugnis zur Errichtung von Fachausschüssen und zum Erlass von Mindestarbeitsbedingungen auf die oberste Arbeitsbehörde eines Landes übertragen, wenn Mindestarbeitsbedingungen festgesetzt werden sollen, die nach Umfang, Auswirkung und Bedeutung nur ein Land betreffen. Im Falle der Übertragung gelten die §§ 4 bis 9 entsprechend.

§ 10 MindArbBedG

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit kann die Befugnis zur Errichtung von Fachausschüssen und zum Erlass von Mindestarbeitsbedingungen auf die oberste Arbeitsbehörde eines Landes übertragen, wenn Mindestarbeitsbedingungen festgesetzt werden sollen, die nach Umfang, Auswirkung und Bedeutung nur ein Land betreffen. Im Falle der Übertragung gelten die §§ 4 bis 9 entsprechend.

§ 11 MindArbBedG

(1) Die Arbeitgeber sind verpflichtet, die für ihren Betrieb maßgebenden Mindestarbeitsbedingungen in geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen, sowie jedem Arbeitnehmer auszuhändigen, dessen Arbeitsverhältnis durch die Mindestarbeitsbedingungen geregelt ist.

(2) Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben den mit der Festsetzung und Überwachung von Mindestarbeitsbedingungen beauftragten Stellen auf Verlangen Auskunft über alle die Arbeitsbedingungen betreffenden Fragen zu erteilen und die gewünschten Unterlagen vorzulegen.

§ 12 MindArbBedG

Die oberste Arbeitsbehörde des Landes hat für eine wirksame Überwachung der Einhaltung der Mindestarbeitsbedingungen Sorge zu tragen. Sie kann die Aufgaben der Überwachung anderen Stellen übertragen.

§ 13 MindArbBedG

Hat ein Arbeitgeber die Mindestarbeitsbedingungen nicht eingehalten, so kann ihn die oberste Arbeitsbehörde des Landes oder die von ihr bestimmte Stelle auffordern, innerhalb einer in der Aufforderung festzusetzenden Frist die bestehenden Ansprüche zu befriedigen und den Leistungsnachweis vorzulegen.

§ 14 MindArbBedG

Das Land, vertreten durch die oberste Arbeitsbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle, kann im eigenen Namen den Anspruch eines Arbeitnehmers aus Mindestarbeitsbedingungen gerichtlich geltend machen. Das Urteil gilt auch für und gegen den Arbeitnehmer.

§ 15 MindArbBedG

Ist das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers durch Mindestarbeitsbedingungen geregelt, so gelten die §§ 13 und 14 entsprechend für sonstige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, die dem Arbeitnehmer auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften zustehen.

§ 16 MindArbBedG

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit kann mit Zustimmung des Bundesrates und nach Beratung mit den Gewerkschaften und den Vereinigungen von Arbeitgebern die zur Durchführung dieses Gesetzes erforderlichen Rechtsverordnungen erlassen über

a) die Errichtung des Hauptausschusses ( § 2 ) und sein Verfahren;

b) die Errichtung von Fachausschüssen und ihr Verfahren;

c) das Verfahren nach § 7 .

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