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Abschiebestopp für den Staat Guinea-Conakry

Offner Brief an den NRW-Innenminister Dr. Wolf und erste Reaktionen.

Sehr geehrter Herr Dr. Wolf,

in Nordrhein-Westfalen befinden sich zur Zeit mehrere Flüchtlinge aus dem westafrikanischen Guinea in Abschiebehaft; mindestens eine Abschiebung steht unmittelbar für Anfang November bevor. Die unterzeichnenden Organisationen möchten daher die Landesregierung auffordern, auf die Lage in Guinea zu reagieren und die Abschiebungen auszusetzen und damit die Entlassung der Abschiebehäftlinge zu ermöglichen.

Begründung:

Am 24. Dezember letzten Jahres – nach dem Tod des vorherigen Staatspräsidenten, der ebenfalls durch einen Putsch an die Macht gelangt war – wurde die Macht in Guinea-Conakry von einer Militärjunta, dem Conseil National pour la Démocratie et le Développement (Nationaler Rat für Demokratie und Entwicklung –CNDD) übernommen. Die Lage hat sich dort seitdem beständig weiter verschlechtert.

So schilderte bereits im April dieses Jahres ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch eine Reihe von Übergriffen des guineischen Militärs auf die Zivilbevölkerung. (1)

Am 28. September eröffnete schließlich das Militär in Guinea das Feuer auf eine Großveranstaltung der Oppositionsparteien, die in einem Fußballstadion stattfand. Medienberichten zufolge starben dabei mindestens 157 Personen, mehr als 1200 Menschen wurden verletzt. Frauen wurden von Soldaten sowohl in aller Öffentlichkeit als auch in der Kaserne vergewaltigt, Oppositionsführer wurden angeschossen und verprügelt, eine größere Zahl von Personen wurde verhaftet. Es wurde über Folterungen in Haft berichtet. (2)

Der Führer der Militärjunta, Hauptmann Moussa Dadis Camara, der derzeitig Regierungschef ist, gab sich zwar betroffen, wies die Verantwortung jedoch letztlich der Opposition zu.

In der derzeitigen explosiven Situation in Guinea haben im vergangenen Monat (d.h. in der Zeit danach) Unbekannte begonnen, gezielt Morde zu verüben – berichtet wurde uns von mindestens 18 Personen, die ermordet wurden; betroffen waren sowohl Kreise der Opposition als auch der Machthaber. Eine Agenturmeldung zitiert in diesem Zusammenhang eine Quelle, die von „Todesschwadronen“ spricht, die bewusst Angst verbreiteten. (3)

Anderen Meldungen zufolge suchen viele Familien immer noch ihre Angehörigen, die seit dem 28. September „verschwunden“ sind und die sich möglicherweise im Camp Alpha Yaya, d.h. dem Sitz der Militärregierung, in dem schon früher berüchtigten Gefängnis auf der Insel Kassa, im Zentralgefängnis oder an anderen Orten in Haft befinden. (4)

Zudem treibt die Militärjunta in Guinea nach verschiedenen Berichten gefährliche ethnische Spaltungen voran, nicht zuletzt durch den Einsatz früherer Bürgerkriegskämpfer aus Liberia, die ebenfalls an dem Massaker in dem Fußballstadion beteiligt gewesen sein sollen.

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat mittlerweile Ermittlungen aufgenommen, die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS) und nun auch die EU haben Sanktionen gegen Guinea verhängt.

Die Lage in Guinea wird deutlich als äußerst unsicher eingeschätzt: Die USA und eine Reihe europäischer Länder – zumindest Großbritannien, Frankreich, Spanien und Deutschland (!) – raten zurzeit nicht nur von Reisen nach Guinea ab, sondern empfehlen ihren Staatsangehörigen, das Land zu verlassen (5). Großbritannien rät seinen Staatsangehörigen sogar, „alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel“ zu nutzen, um Guinea zu verlassen.

Trotz allem besteht offenbar die Absicht, von Deutschland aus weiterhin nach Guinea abzuschieben.

Allerdings war in den letzten Tagen die Auskunft zu erhalten, es sei die Frage, ob Abschiebungen nach Guinea derzeit überhaupt möglich seien; begleitenden (deutschen) BeamtInnen werde wahrscheinlich kein Visum für Guinea erteilt. Dies verstärkt den Eindruck, dass hier Menschen willkürlich in Haft gehalten werden, deren einziges „Verbrechen“ darin besteht, nach Deutschland geflüchtet zu sein.

Menschen, die in ihren Herkunftsländern mit dem Tode bedroht, verfolgt, verhaftet, gefoltert wurden oder aus anderen Gründen fliehen mussten, wurde die Asylanerkennung hier zunehmend erschwert. Die deutsche Abschiebepraxis ignoriert weiterhin nur allzu häufig die tatsächliche Lage in den Ländern und setzt die Geflüchteten einer erneuten Gefährdung aus.

Die unterzeichnenden Organisationen möchten daher an Sie appellieren, in diesem Zusammenhang von den Möglichkeiten Gebrauch zu machen, die Ihnen im Rahmen des Aufenthaltsgesetzes auf Landesebene zur Verfügung stehen, und die Abschiebungen nach Guinea auszusetzen und die Häftlinge aus der Abschiebehaft zu entlassen. Weiterhin bitten wir Sie, sich bei Ihren Kollegen in den anderen Bundesländern für eine entsprechende bundeseinheitliche Regelung einzusetzen.

Mit freundlichen Grüßen

ADIA e. V. (Amicale de la Diaspora des Ivoiriens d’Allemagne), Köln
Africa Positive e. V. / Magazin, Dortmund
AK Asyl e.V. Bielefeld
Attac Regionalgruppe Dortmund
Bündnis 90/Die Grünen/Stadtverband Paderborn
Bürengruppe Paderborn
Burkhard Beilenhoff, Dortmund
Communauté des Burkinabè à Hambourg e. V. (CBH e.V), Hamburg
Cosmoproletarian Solidarity, Hamburg
DAKO e.V. (Deutsch-Afrikanische Kooperation), Köln
Deutsch-Guineischer Verein Rhein-Main (AGA e.V.)
Anabela Dias, Unna
Eine-Welt-Forum Münster e.V., Münster
Flüchtlingsrat Paderborn, Paderborn
Reinhard Borgmeier, Sprecher des Flüchtlingsrats Paderborn
Robert Lühker, Vorstandsmitglied des Flüchtlingsrats Paderborn
Flüchtlingsrat Wiesbaden, Wiesbaden
Fottal eh Pottal e V., Düsseldorf
Ghana.humanright, Hamburg
Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V., Büren
Integrationsrat der Kreisstadt Unna
Interkulturelles Solidaritätszentrum Essen e.V. – Anti-Rassismus-Telefon, Essen
Karl-Heinz Hoffmann, Flüchtlingsreferent im Kirchenkreis Herne
kein mensch ist illegal Köln
kein mensch ist illegal, Wuppertal
Kenia-Hilfe-Köln e.V.
DIE LINKE. Kreisverband Soest
Für den Ortsverband DIE LINKE Warstein, der SprecherInnenrat:
Christel Spanke, Warstein
Elisabeth Umezulike, Sichtigvor
Manfred Weretecki, Sichtigvor
Hans-Otto Spanke, Warstein
Niema Movassat, MdB, Fraktion DIE LINKE
Mama Afrika e. V., Köln
MediNetzBonn e.V., Medizinische Beratungs- und Vermittlungsstelle für Flüchtlinge, Bonn
Rainer Mückenhoff-Kuhn, Dortmund
Clemens Niemann, Herford
Projektbereich Eine Welt an der Universität Paderborn
Roteboerde.de, Web- und Newsportal Kreis Soest
Stay! e.V., Düsseldorfer Flüchtlingsinitiative
Susanne Sperling, Bündnis 90/Die Grünen, Kreisverband Wuppertal
Transnationales Aktionsbündnis, Bochum
United Sierra Leoneans Hamburg e. V.



1 - http://www.hrw.org/en/news/2009/04/27/guinea-rein-soldiers
2 - Ein zusammenfassender Zeitungsbericht findet sich unter anderem
hier:
http://www.nzz.ch/nachrichten/international/die_armee_gegen_das_volk_in_guinea_1.3769881.html
3 - http://af.reuters.com/article/topNews/idAFJOE59N02O20091024
4 -
http://www.jeuneafrique.com/Article/DEPAFP20091023T155631Z/-justice-opposition-manifestation-massacre-En-Guinee-la-longue-recherche-de-dizaines-de-disparus.html
5 - Unter anderem nachzulesen auf der Website des Auswärtigen Amts: „Allen Deutschen in Guinea wird empfohlen, das Land zu verlassen.“
(http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Guinea/Sicherheitshinweise.html)


Abschiebung trotz Gewalt – und keiner wills entscheiden

Bereits kurz nach der Veröffentlichung des Offenen Briefes an den NRW-Innenminister Wolf hat es erste Reaktionen gegeben. Vom Innenministerium bestätigt, dass es tatsächlich einige Inhaftierte in Büren gibt, man aber die aktuelle Situation in Guinea zum Anlass genommen hat, bei der Bundesregierung nachzufragen, wie in Abschiebefällen zu verfahren ist. Bis zum Eintreffen einer Antwort sind alle Flugbuchungen storniert. Je nach Antwort aus Berlin werden die Inhaftierten entlassen.

Das klingt erstmal nicht schlecht. Allerdings ist das Land überhaupt nicht auf die Bundesregierung angewiesen, sondern könnte selbst einen Abschiebestopp erlassen. Das riecht nach Hinhaltetaktik.

Und tatsächlich: die Bundesregierung hat sich bereits dazu geäußert, nämlich in der Antwort auf eine kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke (DIE LINKE) vom 15. Oktober 09. Auf die Frage, ob sich die Bundesregierung bei den Ländern für einen Abschiebestopp einsetzen werde heißt es dort:

In Guinea läßt die Militärjunta durch das Militär und Teile der Sicherheitskräfte Gewalt gegen oppositionelle politische Kräfte und Demonstranten anwenden. (…) Die Bundesregierung sieht keine Veranlassung, sich gegenüber den Ländern für einen Erlass von Abschiebungsstopps einzusetzen (…).

Im Klartext: in Guinea werden Menschen verfolgt, willkürlich inhaftiert, gefoltert und getötet. Aber das ist kein Grund, Flüchtlinge nicht dorthin abzuschieben.

Und obwohl die Bundesregierung die Entscheidung über einen Abschiebestopp den Ländern überlässt, will NRW nicht entscheiden, sondern fragt die Bundesregierung. Da hilft nur eins: den Druck erhöhen!

Quelle: Bürengruppe Paderborn, 3.11.09 http://www.aha-bueren.de/

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