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Energiekonzerne: Wie der Stromstaat funktioniert

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Abzocke ohne Folgen? Peter Becker erklärt die komplexen Sachverhalte rund um das Energiegeschäft in Deutschland - und hält die Tage des Stromkartells für gezählt.

Zum Jahreswechsel gab es für Deutschlands Stromverbraucher eine altbekannte schlechte Nachricht: Beinahe flächendeckend erhöhten die Versorger ihre Preise. Zur Begründung verwiesen die Unternehmen auf die gestiegene Umlage der Vergütung für die Produzenten von Öko-Strom. Tatsächlich schlägt die Förderung für die vielen neuen Solarstromanlagen in diesem Jahr mit einem Plus von rund 1,5 Cent pro Kilowattstunde zu Buche. Doch die Behauptung, deshalb müsse der Strombezug teurer werden, war gelogen. Denn gleichzeitig sind die Einkaufspreise für Strom um rund 20 Prozent gesunken, und das, gerade weil der viele Öko-Strom die Beschaffung aus anderen teuren Quellen überflüssig macht.

Die Preisaufschläge seien daher „sachlich nicht gerechtfertigt“, konstatierte Matthias Kurth, Präsident der Bundesnetzagentur.

Doch trotz klarer Datenlage verhallte der Protest folgenlos. Die Stromwirtschaft kassiert mal eben ungerechtfertigt zwei Milliarden Euro, aber der Bundesregierung war der Vorgang nicht mal eine Debatte wert – und das nicht zum ersten Mal. Dieselben Unternehmen erheben auch Aufschläge im Milliardenwert für Emissionslizenzen, die sie vom Staat kostenlos zugeteilt bekommen. Zuletzt gelang es ihnen sogar, die Bedingungen zur Verlängerung der Laufzeiten ihrer Atomkraftwerke am Bundestag vorbei direkt mit den Ministerien auszuhandeln und sich so bis zu 100 Milliarden Euro Zusatzgewinne zu sichern. Für die deutsche Stromwirtschaft, und da vor allem für die vier Konzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW, die gemeinsam gut 60 Prozent der Erzeugung kontrollieren, haben die Regeln von Demokratie und Marktwirtschaft offenkundig wenig Bedeutung.

Wer verstehen will, warum das so ist, sollte das jüngst erschienene Buch des Marburger Juristen Peter Becker über „Aufstieg und Krise der deutschen Stromkonzerne“ lesen. Detailgenau schildert der Autor die Geschichte der deutschen Stromwirtschaft von ihren Anfängen mit den kommunalen Kohlekraftwerken des RWE-Gründers Hugo Stinnes über die staatlich verfügte Kartellwirtschaft der Nazis bis hin zur fehlgeschlagenen Liberalisierung in den 90er Jahren und dem nun anstehenden Prozess am Bundesverfassungsgericht um die Atomlaufzeiten. Anschaulich zeichnet Becker das Bild einer Branche, die weitgehend vom Staat selbst geschaffen wurde. Gleich ob Bayernwerk oder Preussenelektra, Badenwerke oder Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk (RWE), all diese Vorgängerunternehmen der heutigen Konzerne waren nicht nur einst im Staatsbesitz. Sie waren auch stets so eng mit dem übrigen Staatsapparat verflochten, dass es nie eine unabhängige politische Kontrolle ihrer Tätigkeit gab. Und daran, so lautet Beckers Kernthese, hat sich trotz der weitgehenden Privatisierung bis heute im Grunde nichts geändert.

Wie der „Stromstaat“ funktioniert, erfuhr Becker erstmals, als sich die damals noch acht westdeutschen Verbundunternehmen im Sommer 1990 per Kaufvertrag mit der DDR-Regierung die gesamte ostdeutsche Stromversorgung einverleiben wollten. Viele ostdeutsche Kommunen begehrten dagegen auf und pochten auf den Besitz der kommunalen Verteilernetze sowie das Recht, damit eigene Stadtwerke zu betreiben. Doch erst mit einem von Becker geführten spektakulären Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht konnten sie das durchsetzen. Seit diesem „Stromstreit“ entwickelte Becker mit seinen Partnern Wolf Büttner und Christian Held das gemeinsame Anwaltsbüro zur führenden Kanzlei für Energierecht, die Hunderte von Verfahren gegen die großen vier bestritt. Auf Basis dieser Erfahrung besticht Beckers Studie mit einer verblüffenden Vielfalt an Quellen. Das reicht von einer Auflistung aller staatlichen Fördermaßnahmen für die Atomkraft über die Schilderung der politischen Sabotage des Kartellamts bis hin zu einer überzeugenden Sammlung von Indizien für die Manipulation der Preise an der Leipziger Strombörse.

Gleichwohl sind die Tage des Stromkartells nach Meinung Beckers gezählt. Denn mit dem Durchbruch der Stromerzeugung aus Wind, Biogas und Sonnenlicht zerfällt dessen technologisches Fundament: Großkraftwerke werden weniger gebraucht, weil tausende kleiner Unternehmen und mit ihnen die Bürger selbst zu Produzenten werden und ihr Strom vorrangig genutzt werden muss. Gleichzeitig nehmen immer mehr Kommunen die Erzeugung und Verteilung wieder in die eigene Hand. „Zwei Züge rasen da aufeinander zu“, schreibt Becker und erwartet alsbald einen Showdown vor den Gerichten um die Macht über die Stromnetze.

Noch bevor das virulent wird, könnte aber schon der anstehende Prozess um die Verlängerung der Atomlaufzeiten die Bilanzen der vier Konzerne verheeren. Das mit der Regierung Merkel durchgezogene Verfahren, deren Betrieb am Bundesrat vorbei um bis zu zwölf Jahre zu verlängern, werde aber mit hoher Wahrscheinlichkeit vor dem Verfassungsgericht scheitern, erwartet Becker. Dann aber werde der Börsenwert der Konzerne schwinden und damit auch ihre Macht. Die entsprechende Klageschrift hat seine frühere Kanzlei im Auftrag der SPD-geführten Bundesländer auch schon formuliert. Doch die alten Kollegen klagen nur auf die Zustimmungspflicht. Darauf möchte Becker, mit 69 eigentlich schon im Ruhestand, nicht alleine vertrauen. Auch das Gesetzgebungsverfahren selbst sei verfassungswidrig gewesen, meint er. Darum will der alte Stromrechtskämpfer nun Klage gegen den Betrieb der Uralt-Reaktoren in Biblis einreichen, um auch dieses Argument auf den Gang durch die Instanzen zu schicken.

– Peter Becker: Aufstieg und Krise der deutschen Stromkonzerne. Ponte Press, Bochum 2010. 332 Seiten, 24,80 Euro.

Quelle: tagesspiegel vom 28.02.2011

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