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Kaputtgespart, Ergebnisse der Steuerschätzung

Gescheiterte Finanzpolitik

Wirtschaftspolitische Informationen von ver.di

Bundesvorstand Berlin - Bereich Wirtschaftspolitik – Mai 2004

Die Wirtschafts- und Finanzpolitik von Rot-Grün ist kaputtgespart. Seit drei Jahren herrscht Stagnation. Der für 2004 erwartete Aufschwung verflüchtigt sich. Die Perspektiven für 2005 sind unsicher. Die Arbeitslosigkeit steigt an. Im April wurde ein neuer Zuwachs auf 4,5 Millionen vermeldet. Die Steuereinnahmen sacken weg. Jetzt klafft ein neues 10 Milliardenloch im Haushalt.

Eigentlich war das alles ganz anders geplant. Von Hans Eichel. 2000 wurde begonnen in der Einkommensteuer den Spitzensteuersatz zu senken. Insbesondere um mittelständische Unternehmen von Steuerzahlungen zu entlasten. Ein Jahr später folgte die Körperschaftsteuer. Aus den geplanten 8 Milliarden Euro Entlastung machten die Aktiengesellschaften und GmbHs 23 Milliarden Euro.

Durch diese Entlastungen sollten Investitionen angeregt und Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Erwartung war, dass mit niedrigeren Steuersätzen mehr Geld in die Staatskasse fließt. Voodoo economics! Unternehmer und Kapitalbesitzer freuten sich über die Steuergeschenke. Aber zusätzliche Investitionen waren vielen zu risikoreich, da die Nachfrage fehlte und fehlt.

Achillesferse Binnennachfrage

Dass die schwache Binnennachfrage die Achillesferse der deutschen Wirtschaft ist, weiß man mittlerweile selbst im Kanzleramt. Verärgert ist der Kanzler über die bockbeinigen Bundesbürger, die immer noch nicht richtig Geld ausgeben. Mit wie viel Ignoranz ist der Mann geschlagen?

Rot-Grün singt das hohe Lied vom Sparen, beschneidet mit dem Sozialabbau die Einkommen, besonders bei den Rentnern und Rentnerinnen und wundert sich dann, dass die Binnennachfrage so schwach ist. Die Politiker ermahnen die Menschen seit Jahren zur privaten Altersvorsorge, konservative Politiker fordern sogar das Zwangssparen fürs Alter. Und dann wundern sie sich, dass zu wenig ausgeben wird.

Rot-Grün und die konservative Opposition beschließen kurz vor Weihnachten 2003 eine Steuersenkung, damit die Menschen endlich mehr Geld zum konsumieren haben. Verwundert schauten die meisten auf ihre Lohn- oder Gehaltsabrechungen: Der Durchschnittsverdiener mit rund 30.000 Jahreseinkommen hatte gerade 35 Euro mehr. Der Einkommensmillionär kann sich hingegen auf ein Steuergeschenk von 30.000 Euro freuen. Der weiß nur nicht so recht, was er sich noch alles kaufen soll. Und der Kanzler ist verärgert über die Bundesbürger, die sich im Käuferstreik befinden.

Dass Unternehmer möglichst Lohnkosten drücken wollen, gehört zu ihrem Geschäft. Unterstützt werden sie dabei von einer breiten Phalanx von Politikern und dem „wissenschaftlichen Sachverstand“. Seit zehn Jahren bleiben die Lohnsteigerungen hinter dem Zuwachs der Produktivität und der Preise zurück; ein Minus von 10 Prozent. So fehlt vor allem Kaufkraft. Und die Politiker wundern sich über die zu schwache Binnennachfrage.

Und schließlich: Auch wenn „sparen“ als deutsche Tugend zunächst manche Sympathien fand, fragen sich immer mehr Menschen, ob die Politik uns nicht langsam kaputtspart. Die Ausgaben für Infrastruktur liegen am Boden. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt gibt es kaum ein anderes Land, das so wenig für die öffentliche Versorgung ausgibt. In der Kanalisation, die immer mehr verrottet, fühlen sich die Ratten immer wohler. Dafür wird es für unsere Kinder in Schulen mit bröckelndem Putz und immer häufigerem Unterrichtsausfall ungemütlicher. Handwerker, die Bauwirtschaft und andere Betriebe bekommen immer weniger öffentliche Aufträge. Die, die sie noch erhalten, werden immer schleppender bezahlt – klagt das Hand- werk. Auch so kann man viele Betriebe in die Pleite treiben und Arbeitsplätze vernichten. Aber der Kanzler wundert sich über die schwache Binnennachfrage.

Verunsicherung bei Rot-Grün

Die Verhältnisse spitzen sich zu. Mit der Fortdauer der wirtschaftspolitischen Malaise dämmert einigen Politikern, dass irgendetwas mit dem bisherigen Kurs nicht stimmt. Herannahende Wahltermine befördern das Unwohlsein. Mittlerweile wird über Kurskorrekturen nachgedacht. Am deutlichsten von Außenminister Fischer und SPDParteichef Müntefering. Eichel und Clement bemühen sich zwar Linie zu halten, aber die Verunsicherung ist deutlich geworden.

Die Debatte bewegt sich in der gleichen Widersprüchlichkeit, wie man sie bereits im jüngsten Frühjahresgutachten finden konnte. Die Investitionstätigkeit des Staates – die Ausgaben für Infrastruktur – soll wieder gesteigert und gleichzeitig sollen die „Haushalte weiter konsolidiert“ werden. Gasgeben und Bremsen gleichzeitig würgt den Motor ab. Oder es gibt einen richtigen Crash.

Konservativer Rollback

„Ist Deutschland zu retten?“ Das fragt ein in den Medien herumgereichter konservativer Professor. Seine Ratschläge zur Rettung heißen Verschärfen des neoliberalen Kurses. Senkung der Löhne und Gehälter um 20 Prozent heißt seine Devise. Und die Sozialhilfe soll um 30 Prozent runter. Prima Maßnahmen um die Binnennachfrage zu stärken. Sollte es umgesetzt werden, finden sich bestimmt immer noch Politiker, die dem Volk die Schuld an der schwachen Binnennachfrage geben. Schon Berthold Brecht empfahl den Politikern in schwierigen Zeiten sich ein neues Volk zu wählen.

Binnennachfrage stärken

Wenn allgemein Konsens ist, dass die Binnennachfrage die Achillesferse ist, warum sie dann nicht einfach stärken anstatt zu schwächen? Unser Land ist zu retten, die Lebenslage der Menschen kann wieder deutlich verbessert werden. Zuerst gilt: Wir brauchen Zukunftsinvestitionen. Am effektivsten ist dies möglich über eine finanzielle Stärkung der Städte und Gemeinden. Ein Sofortprogramm mit 20 Milliarden Euro ist nötig. Bis 2007 soll dies auf 40 Milliarden Euro gesteigert werden. Das bringt über eine halbe Million zusätzliche Arbeitsplätze, einen starken Impuls für mehr und sinnvolles Wachstum. Öffentliche Investitionen sind vordringlich zur Ankurbelung der Wirtschaft und für mehr Arbeitsplätze. Zum Beispiel mehr Geld für den Ausbau der Bahn kann Arbeitsplätze bei Waggonbauern retten. Eine deutliche Aufstockung der Förderung für Ganztagsschulen und Hochschulen bringt unsere Kinder voran. Als Sofortmaßnahmen sind auch der Agenda die übelsten Giftzähne zu ziehen. Allen voran die Zumutbarkeitsregeln für Arbeitslose. Denn dies führt nur zu Elend und Lohndumping.

Mehr Schulden oder Staatsfinanzen stärken

„Das führt doch alles zu noch mehr Schulden“, sagt der neoliberale Mainstream. Und: Die Vorgaben aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt werden doch in diesem Jahr ohnehin nicht eingehalten und 2005 wohl auch nicht. Das Korsett der Maastricht- Kriterien ist ja gerade eine der Ursachen für die verhängnisvolle Strangulierungspolitik. In anderen Ländern ist in schwierigen Situationen offensiv und mutig agiert worden. Zum Beispiel wurde in Großbritannien 1993 eine Verschuldung von acht Prozent hingenommen. In den Folgejahren zeigte sich der Erfolg.

Eine weitere Verschuldung ist allerdings nur für eine Zwischenfinanzierung notwendig. Mit einer anderen Steuerpolitik sollten diejenigen, die von der Staatsverschuldung am meisten profitieren, wieder einen deutlich höheren Beitrag zur Finanzierung der öffentlichen Hand leisten. In den letzten 25 Jahren wurden Unternehmen und Reichen immer mehr Steuern erlassen. Ehedem haben sie über 30 Prozent des Steueraufkommens gezahlt, heute sind es kaum noch 14 Prozent. Dies kann und muss umgekehrt werden.

Weshalb soll es eigentlich Vermögenden nicht zumutbar sein, eine 1-prozentige Vermögenssteuer zu zahlen? Bei einem Freibetrag von 500.000 Euro? In Verbindung mit einer reformierten Erbschaftssteuer könnten so 20 Milliarden Euro zusätzlich eingenommen werden.

Weshalb muss eigentlich ständig der Spitzensteuersatz gesenkt werden? Einkommensmillionäre müssen ab 2005 im Vergleich zu 1998 100.000 Euro weniger Steuern im Jahr zahlen. Das hat Rot-Grün so gewollt. Die öffentlichen Kassen kostet dies über acht Milliarden Euro. Die Steuerpolitik von CDU/CSU stellt dem Einkommensmillionär noch einmal 60.000 Euro als Geschenk in Aussicht. Das ganze wird getarnt als „Steuervereinfachung“. Was hinter einem Bierdeckel so alles versucht wird zu verstecken. Der Spitzensteuersatz muss bei mindestens 45 Prozent bleiben.

Was ist eigentlich wichtiger: Die Zukunft unseres Landes, die Zukunft unserer Kinder, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit – oder die Privilegierung hoher Einkommen und großer Vermögen?

Eine Umkehr in der Wirtschafts- und Finanzpolitik schien bislang keine Chancen zu haben. Auch jetzt sind die Widerstände nach wie vor massiv. Die Entwicklung der letzten Wochen zeigt jedoch, dass die Verunsicherung bei einzelnen aus der Regierung größer wird. Wenn sie sich durchsetzen können mit einem Kurswechsel besteht eine neue Chance für unser Land und für Rot-Grün. Wird der bisherige Kurs fortgesetzt heißt das: Mit Vollgas in die Sackgasse.

Diesen Text gibt es bei verdi als pdf-Datei: www.verdi.de

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