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OECD-Studie: Deutschland ist ein Niedrigsteuerland

Deutschland ist trotz aller Klagen kein Hochsteuerland. Eine aktuelle OECD-Statistik belegt, dass die Bundesrepublik bei den Steuer- und Abgabenlasten unter dem Durchschnitt der Industrieländer liegt

Das Jammern über zu hohe Steuern gehört hierzulande zum guten Ton. "Deutschland ist nach wie vor ein Hochsteuerland", mahnten vor einem halben Jahr acht Wirtschaftsverbände. In einem gemeinsamen Papier forderten sie die Steuern zu senken. Dabei sieht die Wirklichkeit anders aus. Die Belastung durch Steuern und Abgaben ist im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich. Das zeigt die neueste Steuerstatistik der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Und: Sie sinkt weiter.

Der Club der Industrieländer OECD setzt die geleisteten Steuern und Sozialversicherungsabgaben ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung eines Landes. In Deutschland machten die Steuern und Abgaben demnach im vergangenen Jahr 34,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. 2003, dem letzten Jahr, für das international vollständige Daten vorliegen, waren es noch 35,5 Prozent. Der OECD-weite Durchschnitt lag dagegen bei 36,3 Prozent und der Schnitt der 15 alten EU-Staaten sogar deutlich höher bei 40,5 Prozent. In den vergangenen zehn Jahren ist die Steuer- und Abgabenlast in Deutschland dabei um 2,6 Prozentpunkte gefallen. Nur die Reformmusterländer Ungarn und Slowakei trieben diesen Trend noch weiter.

Der deutsche Staat zieht sich immer stärker aus der Wirtschaft heraus. Die Staatsquote, also der Anteil der Ausgaben der öffentlichen Hand inklusive Sozialversicherung am BIP, sank von fast 50 Prozent Ende der Neunzigerjahre auf 47,6 Prozent im vergangenen Jahr.

Die Staaten verzichten nicht unbedingt freiwillig auf ihre Einnahmen. In einer globalisierten Wirtschaft stehen sie im Wettbewerb, Investoren die besten - und das heißt zumeist die kostengünstigsten - Standortbedingungen zu bieten. Deutschland ist hierbei besonders ehrgeizig. Die Steuern auf Einkommen und Gewinne sind hier seit 1975 von 12,1 Prozent des BIP auf 9,5 Prozent gesunken. Selbst im angeblichen Niedrigsteuerland USA ging die Steuerquote in derselben Zeit nur von 11,8 auf 11,0 Prozent zurück. Andere Länder wie Spanien oder Dänemark verzeichneten derweil einen kräftigen Anstieg der Besteuerung.

In Deutschland sollen die Steuern jedoch weiter sinken - jedenfalls für Unternehmen. Sowohl SPD als auch CDU haben eine Senkung des Körperschaftsteuersatzes von derzeit 25 Prozent in Aussicht gestellt: die SPD auf 19 Prozent, die CDU etwas moderater auf 22 Prozent.

Nicht alle profitieren von den Steuersenkungen. Den normalen Verbrauchern wird das Geld oft gleich wieder aus der Tasche gezogen durch höhere Verbrauchsteuern und Sozialabgaben. Der abnehmende Anteil von Einkommensteuern in den OECD-Ländern ging einher mit einem wachsenden Anteil von Sozialversicherungsbeiträgen, stellt die Organisation in ihrem Bericht fest.

Die Slowakei besteuert zum Beispiel alle Einkünfte und Unternehmensgewinne mit einer Flatrate von 19 Prozent. Die staatlichen Einnahmeausfälle macht sie wett durch eine 19-prozentige Mehrwertsteuer - ohne Ausnahmen etwa für Lebensmittel. Zudem hat sie vergleichsweise hohe Sozialversicherungsabgaben, die allein 40 Prozent der Staatseinnahmen ausmachen. Die Gesamtbelastung ist in der Slowakei mit 31 Prozent des BIP nur geringfügig niedriger als im "Hochsteuerland Deutschland". VON NICOLA LIEBERT


Dem Jammern ein Ende

Seit Jahren wird es uns eingebläut: Der Sozialstaat steht am Abgrund. Steuern, Löhne und die staatlichen Ausgaben müssen sinken. Sonst droht der deutschen Wirtschaft der Kollaps. Wie passt es nun ins Bild, wenn die OECD verkündet: Deutschland hat eine der niedrigsten Steuer- und Abgabenquoten aller Industrieländer? Wie kommt es, dass Forscher unisono das Land zu den wettbewerbsfähigsten Standorten der Welt zählen?

Die Antwort liegt in dem Schmierenstück, das uns ein Meinungskartell aus Medien, Wirtschaft und "Experten" seit Jahren auftischt, um ihre eigenen Interessen zu fördern und die historische Errungenschaft der sozialen Marktwirtschaft kaputtzureden. Die angeblich so hohen Sozialausgaben für einen nicht mehr finanzierbaren Sozialstaat verantwortlich zu machen ist an Heuchelei kaum zu überbieten. Die Kosten für den Sozialstaat sind keineswegs aus dem Ruder gelaufen. Sie sind nur unfair auf zu wenige Schultern verteilt.

Bereits die Kohl-Regierung hat den Fehler gemacht, für die Finanzierung der deutschen Einheit die Sozialkassen zu plündern. Kohl traute sich nicht, dafür über die Steuern auch Unternehmen und Selbstständige zu belasten. Während die Steuerquote seitdem nahezu konstant blieb, schnellte die Sozialabgabenquote in die Höhe.

Auch die Steuereinnahmen werden in den letzten 20 Jahren immer mehr von Arbeitnehmern und Konsumenten erbracht, während sich der Beitrag der Unternehmen und Selbstständigen im gleichen Zeitraum halbierte. Dieser Trend muss sich umkehren, denn es ist schon lange klar, dass der deutsche Staat fehlernährt ist: In Zukunft müssen die Ausgaben stärker über Steuern und weniger über die Belastung des Faktors Arbeit finanziert werden.

Eine hoch industrialisierte Wissensgesellschaft kann es sich nicht leisten, die gesellschaftlichen Konflikte durch mehr Arbeitslosigkeit, Armut und Kriminalität noch zu forcieren und zugleich ihr geistiges Potenzial dank eines unterfinanzierten, schlechten Bildungssystem brachliegen zu lassen. Diese Standortfaktoren sind letztlich wichtiger, als Unternehmen und Besserverdienende finanziell zu schonen. TARIK AHMIA

Quelle: TAZ vom 14.10.05

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