Absturz auf Hartz IV
Die verheerenden Auswirkungen der Hartz-IV-Gesetzgebung auf die Lebenslage von Millionen Menschen und auf die Staatskasse verstärken sich in der Wirtschaftskrise schon jetzt. Dieses Fazit ergibt sich aus einem Thesenpapier, das DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach am Dienstag in Berlin in einem Pressegespräch vorlegte.
Eine »ganz neue Krisenerfahrung« sei, heißt es darin, »daß viele Erwerbstätige bei eintretender Arbeitslosigkeit direkt ins Hartz-IV-System abrutschen und keine Leistungen der Arbeitslosenversicherung erhalten«. Befristet Beschäftigte und Leiharbeitskräfte seien davon überdurchschnittlich betroffen. In dem Papier wird festgehalten: »Insgesamt sind im ersten Halbjahr 2009 bereits 2,185 Millionen Menschen aus Erwerbstätigkeit heraus arbeitslos geworden und davon 655000 direkt auf Hartz IV angewiesen«, was einem Anteil von 30 Prozent entspreche. Darin seien auch Ein-Euro-Jobs und andere Formen öffentlich geförderter Beschäftigung enthalten. Allerdings rutschten nach diesen Angaben auch relativ viele, die auf dem ersten Arbeitsmarkt sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren, direkt auf Hartz IV. Im ersten Halbjahr betraf das demnach 331000 Menschen, also 18,5 Prozent aller neuen Arbeitslosen, in Ostdeutschland waren es sogar 22,2 Prozent.
Vor diesem Hintergrund gab Buntenbach eine düstere Prognose für die kommende Zeit: In den nächsten Monaten werde »auch im Hartz-IV-System die Arbeitslosigkeit steigen und 2010 voraussichtlich noch einmal um bis zu 450000 gegenüber diesem Jahr«. Zugleich sehe der Haushaltsplan der Bundesregierung vor, daß die arbeitsmarktpolitischen Hilfen nicht einmal halb so stark steigen wie die Zahl der davon abhängigen Menschen. Die Fördermöglichkeiten für Hartz-IV-Empfänger »drohen sich damit im Schnitt pro Arbeitslosen im Krisenjahr 2010 zu verschlechtern«.
Insgesamt sind nach diesen Angaben noch immer rund 4,9 Milllionen Menschen im erwerbsfähigen Alter auf die Fürsorgeleistung angewiesen, das entspreche einem Anteil von 9,0 Prozent der Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren. In Ostdeutschland lag die Hilfebedürftigkeit bei 15,2 Prozent. Buntenbach unterstrich, daß dies mehr Menschen betrifft als bei Inkrafttreten von Hartz IV Anfang 2005.
Das soziale Desaster der »Agenda 2010«-Politik beschrieb das DGB-Vorstandsmitglied mit folgenden Tatsachen: Seit 1995 hat sich die Zahl der Vollzeitbeschäftigten, die gleichzeitig Sozialleistungen beziehen, verzehnfacht. Vor zehn Jahren beendete die Hälfte der Sozialhilfeempfänger den Leistungsbezug innerhalb eines Jahres, heute schaffen das 25 Prozent. Sie stehen aber oft nicht dauerhaft auf eigenen Füßen. Die Ausweitung des Niedriglohnsektors belastet die Staatskasse wegen der Zahlungen zur »Aufstockung« von Haushaltseinkommen pro Jahr mit rund vier Milliarden Euro. Der Trend zu Niedriglöhnen ist ungebrochen: Rund 1,6 Millionen Vollzeitbeschäftigte, 600000 Teilzeitbeschäftigte und 1,3 Millionen Minijobber erhalten inzwischen Löhne unter 7,00 Euro in der Stunde.
Buntenbach erneuerte abschließend die DGB-Forderung nach Erhöhung der Regelsätze für Hartz IV und dem Stopp der »Subventionierung von Lohndumping«. Letzteres könne durch Einführung von Branchenmindestlöhnen und ergänzend eines »flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohns« erreicht werden. Dadurch könne der Staat Milliarden Euro sparen, die jetzt ungerechtfertigt an Unternehmen gingen.
Quelle: Junge Welt vom 15.07.09