Höchstmieten für Arbeitslose
Soziale Demontage trifft auch die Mieter
von Knut Unger
Am 19. Dezember hat der Bundestag ein umfassendes Gesetzespaket zum Abbau sozialstaatlicher Leistungen und Regelungen beschlossen. Dazu zählen auch Leistungen für das Wohnen. Millionen Arbeitslose sind potentiell betroffen.
Arbeitslose dürfen nur noch „angemessen“ wohnen.
Nach Zusammenlegung der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe zum 1.1.2005 erhalten alle Arbeitslosen nach maximal 1 bis 1-1/2 Jahren nur noch Leistungen nach dem sogenannten „Arbeitslosengeld II“ (ALG II). Dieses setzt sich zusammen aus Pauschalen für den Lebensunterhalt und Zuschüssen für die Wohnkosten. Beide liegen nur noch auf der Höhe der bisherigen Sozialhilfe - und das bedeutet für Viele, die bislang Arbeitslosenhilfe bekamen, ganz empfindliche Einschränkungen. Die Wohnkosten werden nur in „angemessener Höhe“ übernommen. Ein Wohngeld für ALG II-BezieherInnen gibt es nicht mehr.
Schon heute wissen EmpfängerInnen für Sozialhilfe, was das bedeutet: Die Kommunen - in Zukunft vielleicht auch die Arbeits-Agenturen - legen Obergrenzen für die Quadratmetermieten und die Wohnungsgröße fest, die teilweise deutlich unter den ortsüblichen Vergleichsmieten oder den Standards im sozialen Wohnungsbau liegen. Haushalte mit „überhöhten“ Wohnkosten werden dazu gezwungen, ihre Wohnkosten durch Umzug zu senken. Zumindest müssen sie nachweisen, dass sie sich vergeblich um billigere Wohnungen bemüht haben.
Wie bei der Sozialhilfe muss in Zukunft auch beim ALG II jeder Umzug von der Behörde genehmigt werden. Für den Rechtsweg sind die schwerfälligen und oft mieterfeindlichen Verwaltungsgerichte zuständig.
Neu ist, dass auch die Höhe der „angemessen“ Wohnkosten durch Rechtsverordnung „pauschaliert“ werden kann, d.h. es muss nicht auf den Einzelfall eingegangen werden. Eine heftige Verschärfung gegenüber dem bisherigen Sozialhilferecht besteht darin, dass Leistungskürzungen bei „fehlender Mitwirkung“ auch die Wohnkosten einbeziehen können, mit absehbar schwerwiegenden Folgen für die Mietzahlungen und damit für den Erhalt der Wohnung. Bislang trat immer die Sozialhilfe ein, wenn die Arbeitslosenhilfe für das Existenzminimum - und dazu zählt ganz entschieden das Wohnen - nicht reichte.
Nur in Sonderfällen können ALG II BezieherInnen Leistungen nach dem neuen Sozialgesetzbuch XII in Anspruch nehmen. Mietschulden für Arbeitslose nach ALG II werden von den Arbeitsagenturen nur als Darlehen und nur dann gewährt, wenn der Verlust der Wohnung die Aufnahme einer konkret in Aussicht stehenden Beschäftigung verhindern würde.
Kommunen zahlen drauf
Welche „Behörden“ für die Kontrolle der Wohnsituation zuständig sind, ist zur Zeit noch unklar. Die CDU hat durchgesetzt, dass die Kommunen die Zuständigkeit für das ALG II übernehmen können. Das würde dann bedeuten, dass die bisherigen Arbeitslosenhilfeempfänger auch in Sachen Wohnkosten beim Sozialamt landen. Wenn die Kommunen nicht wollen, sind die „Agenturen für Arbeit“ aber auch für die Wohnerlaubnis zuständig.
Nach derzeitigem Stand müssen die Wohnkosten der ALG II-BezieherInnen übrigens komplett von den Kommunen bezahlt werden. Der Städtetag rechnet mit einer Belastung in Höhe von 11 Mrd. €. Vor allem in Kommunen mit hoher Arbeitslosigkeit führt die Reform damit keineswegs zu einer Entlastung der städtischen Haushalte. Umso stärker wird der kommunale Druck ausfallen, die Wohnkosten möglichst gering zu halten.
Zwangsmobilität
Als Folgen dieser Maßnahmen drohen Menschen in einer ohnehin schon schwierigen Lage, aus ihrer angestammten Wohnumwelt vertrieben zu werden. Betroffen sind nicht nur die Arbeitslosen selbst, sondern der gesamte Haushalt! Wer umziehen will und länger arbeitslos ist, ist auf die Gnade seines Fallberaters angewiesen. Der kann umgekehrt einen Arbeitslosen aber dazu zwingen, für einen neuen Arbeitsplatz umzuziehen.
Denn: Die Zumutbarkeitsgrenzen für die Aufnahme von Arbeit werden umfassend abgesenkt, insbesondere was die Zumutbarkeit des Arbeitsortes und eines Wohnsitzwechsels anbelangt. Bereits in den Personalserviceagenturen werden die ALG-BezieherInnen zur Aufnahme von Leiharbeit mit wechselnden Einsatzorten gezwungen. Die billige Leiharbeit wurde vereinfacht, für viele gibt es schon jetzt keine anderen Arbeitsangebote mehr.
Das bedeutet, dass die Betroffenen zum Teil lange und häufig wechselnde Wege zur Arbeit akzeptieren müssen. Die ArbeitnehmerInnen sind auf PKWs angewiesen und das bei sinkenden Einkommen (und reduzierter Entfernungspauschale).
Aber auch die Verpflichtung von Alleinstehenden, einen Wohnsitzwechsel in Kauf zu nehmen, wurde verschärft. Das führt zu erheblichen zusätzlichen Problemen auf dem Wohnungsmarkt, insbesondere wenn die Arbeitsangebote in Regionen mit unzureichendem Wohnungsangebot liegen.
Neue Wohnungsnöte drohen
Etliche Fortschritte der letzten Jahre bei der Vermeidung von Obdachlosigkeit, drohen mit diesem „Reform“-Paket per Handstreich über den Haufen geworfen zu werden. Ohnehin ist damit zu rechnen, dass nicht wenige Menschen von den Zumutungen der Schröder-Reformen völlig überfordert sein werden. Schon im letzten Jahr ist es wieder zu einer Zunahme der Wohnungslosigkeit gekommen.
Niemand glaubt ernsthaft, dass durch die Lohnsenkungsstrategien der Regierung tatsächlich viele neue Arbeitsplätze entstehen. Eher werden bisherige Dauerarbeitsplätze für Vollerwerbstätige in Minijobs, Zeitarbeit und Scheinselbständigkeit umgewandelt. In jedem Fall bedeutet dies weniger Einkommen und entschieden mehr soziale Unsicherheit. Zahlreiche Programme wurden in den letzten Jahren aufgelegt, um der sozialen Spaltung der Städte und der Verarmung von Problemgebieten entgegenzuwirken. Wenn der Staat jetzt die neuen prekären „ZwangsarbeiterInnen“ (denn Arbeitslose in dem Sinne, dass man auf einen der eigenen Qualifizierung entsprechenden zumutbaren Arbeitsplatz wartet, gibt es im Grunde nicht mehr) in Billigwohnangebote drängt, tut er genau das Gegenteil: er schafft die sozialen Brennpunkte von morgen.
Wer aber wird die reparieren? Nach Schröders Reform-Agenda 2010 stehen die Kommunen finanziell kaum besser da als zuvor. Mit seiner halben Steuerreform nimmt sich der Sozialstaat die Mittel zum sozialen Ausgleich. Und wenn diese Steuerreform auch noch durch Privatisierungen finanziert wird, bliebt kaum noch Substanz für die Zukunftssicherung.
Neue Bedingungen
Die Auseinandersetzung um Schröders Agenda 2010 ist gelaufen: Alle im Bundestag vertretenen Fraktionen haben an dieser Bankrotterklärung gegenüber der marktradikalen Ellbogenideologie mitgewirkt - und das ist die entscheidende Katastrophe für das politische System. Bis konkrete politische Alternativen zum neoliberalen Ausverkauf des Sozialstaates sichtbar werden, gilt es zum Beispiel, die zahllosen handwerklichen Schnitzer dieser „Reformagenda“ bloßzulegen und um eine möglichst „soziale“ Umsetzung der vielen offenen Punkte zu streiten.
Auf dem Gebiet des Wohnens heißt das unter Anderem: Auf kommunaler Ebene müssen sozial vertretbare Regelungen für die Wohnkosten erstritten werden. Und wenn Menschen durch die Reformgesetze in die Obdachlosigkeit getrieben werden, muss das offensiv als Verletzung des Menschenrechts auf Wohnen und auch des Grundgesetzes angegriffen werden. Das freilich sind nur Bausteine auf dem Weg zu einer neuen Kultur eines sozialen Widerstandes, die dringend notwendig ist.
aus: Mieterforum-Ruhr Nr.10, Januar 2004