Arbeitsloser in seiner Wohnung verhungert
Verstörende Tragödie in Speyer: Ein 20-jähriger Arbeitsloser ist in seiner Wohnung verhungert. Besonders verwirrend ist die Tatsache, dass der Mann nicht alleine, sondern mit seiner Mutter zusammenlebte.
Ein 20 Jahre alter Mann ist in Speyer vor den Augen seiner Mutter verhungert. Der Arbeitslose habe offensichtlich seit Monaten keine ausreichende Nahrung zu sich genommen, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit. Die Polizei hatte den jungen Mann am Sonntagabend tot in seiner Wohnung gefunden. Eine Obduktion des stark abgemagerten 20-Jährigen ergab Herz- und Kreislaufversagen als Todesursache. Seine 48 Jahre alte Mutter, die mit in der Wohnung lebte, musste in ein Krankenhaus gebracht werden. Bei ihr wurden ebenfalls Mangelerscheinungen festgestellt. In einer ersten Befragung gab sie an, die beiden hätten nicht genug Geld gehabt, um Lebensmittel zu kaufen.
Der Tod des jungen Mannes ist nach bisherigen Erkenntnissen der Ermittler auf eine Mangelversorgung seiner Organe zurückzuführen. Die Mutter habe ihren Sohn als depressiv und phlegmatisch beschrieben. Seit dem vergangenen Jahr habe er mehrmals den Wunsch geäußert, zu sterben. Die 48-Jährige, die ebenfalls ohne Job ist, hat nach den Angaben in früheren Jahren Sozialleistungen bezogen, seit einiger Zeit jedoch keinen Antrag mehr gestellt. Ihr Sohn habe nach derzeitigem Stand keine staatliche Unterstützung mehr bekommen, weil er Arbeitsangebote und Untersuchungen ausgeschlagen habe.
Quelle: www.stern.de/politik/panorama/:Trag%F6die-Zu-Hause/587230.html
Systemfehler mit Todesfolge
Fall des verhungerten Arbeitslosen beschäftigt rheinland-pfälzische Landesregierung. SPD-Chef sieht kein Versagen der Behörden. Experten fordern Korrekturen am Gesetz
Der Fall des Mitte April in Speyer an Unterernährung verstorbenen Sascha K. hat jetzt auch die Landesregierung von Rheinland-Pfalz auf den Plan gerufen. Nach Angaben von Ministerpräsident Kurt Beck habe sich das Kabinett auf Grundlage eines vorläufigen Berichts des Sozialministeriums mit der Sache beschäftigt. Die Regierung wolle intensiv und detailliert überprüfen lassen, ob bei der Betreuung von Bedürftigen und Arbeitslosen »die Abläufe der Verwaltung in Ordnung« seien, äußerte sich der amtierende SPD-Vorsitzende Ende vergangener Woche vor Pressevertretern in Mainz. Der Tod des 20jährigen sorgte bundesweit für Aufsehen, nachdem sich herausgestellt hat, daß er und seine ebenfalls bedürftige Mutter sich infolge behördlich zwangsverordneter Mittellosigkeit offenbar über Wochen keine Lebensmittel mehr hatten leisten können.
Wie junge Welt am 20. April berichtete, könnte der junge Mann womöglich noch am Leben sein, hätte er – wie bis zum Inkrafttreten von Hartz IV – weiterhin unter der Obhut des Sozialamtes gestanden. Bis Ende 2004 war der psychisch erkrankte Sonderschüler im Rahmen einer Reha-Maßnahme betreut und von Rechts wegen regelmäßig von Sozialarbeitern aufgesucht worden. Ab Januar 2005 wurde er dann in die Zuständigkeit des neuen Sozialgesetzbuches II überführt und galt fortan als erwerbsfähiger Bedürftiger. Weil er und seine Mutter ihren »Pflichten« als Arbeitssuchende nicht nach gekommen sind, strich das zuständige Jobcenter zum Jahresende 2006 sämtliche Unterstützungsleistungen und überließ die sogenannte Bedarfsgemeinschaft fortan sich selbst.
Aus den bisherigen Erkenntnissen sei nicht erkennbar, daß jemand aus den befaßten Behörden versagt habe, erklärte nun Regierungschef Beck. Es sei jedoch möglich, daß es »administrative Lücken« gebe, wenn die Menschen aus der Hartz-IV-Unterstützung herausfielen. Sollte der Fehler also im System liegen? Äußerungen des Sprechers der für Sascha K. zuständigen Gesellschaft für Arbeitsmarktintegration (GfA) in Ludwigshafen, Hans Grohe, erhärten den Verdacht: Gegenüber dem Berliner Tagesspiegel räumte dieser zwar ein, daß der betreffende Fallmanager die Lage des junge Mannes falsch eingeschätzt habe. Ein Fehlverhalten liege aber nicht vor, weil das Sozialgesetzbuch keine aufsuchende Sozialarbeit vorsehe. Kurzum: »Der Fallmanager hat seine Pflicht getan.«
Der Gesetzgeber habe mit Hartz IV vor allem auf Eigenverantwortung gesetzt und Schluß gemacht mit der Pflicht zur öffentlichen Fürsorge, kritisierte die Caritas Speyer am Wochenende. Es sei unverantwortlich, daß Akten einfach geschlossen werden, wenn sich jemand nicht mehr meldet. Bei Fällen von Leistungsmißbrauch seien die Behörden schließlich auch »sofort zur Stelle«, monierte der örtliche Verbands-Direktor, Alfons Henrich, gegenüber der Presse. - Von Ralf Wurzbacher
Quelle: Junge Welt vom 7.5.07