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Zusammenhang zwischen Krankheit, früherer Sterblichkeit und Arbeitslosigkeit

Dr. Peter Kuhnert vom Dortmunder Uni-Lehrstuhl für Organisationspsychologie untersuchte die Auswirkungen der Langzeitarbeitslosigkeit auf die gesundheitliche Verfassung der Betroffenen --- Bericht von Tobias Bolsmann in WAZ Dortmund vom 24.11.2004 und Links zu weiteren Artikeln zum Thema



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Zusammenhang zwischen Krankheit und Arbeitslosigkeit

Von:   Tobias Bolsmann

Quelle:   WAZ Dortmund vom 24.11.2004

Wenige Wochen noch, dann treten die Regelungen der Hartz IV-Reform in Kraft. In der Öffentlichkeit drehte sich die Kritik und die Diskussion stets nur um die möglichen materiellen Einschnitte. Völlig ausgeblendet blieben andere Auswirkungen: der Einfluss von Langzeitarbeitslosigkeit auf die Gesundheit.

Dass beides unmittelbar zusammenhängt, hat Dr. Peter Kuhnert vom Uni-Lehrstuhl für Organisationspsychologie ermittelt. Kuhnert ist ein vielbeschäftigter Wissenschaftler. Kaum eine Woche vergeht, in der er nicht an einem Kongress teilnimmt oder Vorträge quer durch ganz Deutschand hält. "Die Kollegen, die ich dabei treffe, kenne ich inzwischen ziemlich gut", erzählt er. Es ist ein kleiner Forscherkreis, der sich trifft. Was Kuhnert überrascht. Denn Arbeitslosigkeit und ihre Auswirkungen auf die körperliche und seelische Gesundheit sollten angesichts von über vier Millionen Arbeitslosen - davon fast zwei Millionen Langzeitarbeitslose - auch in der Wissenschaft ein wichtiges Thema sein.

Doch speziell der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit blieb bis vor wenigen Jahren völlig unbeachtet. Wie sehr, das hat Kuhnert festgestellt, als er Mitte der 90er Jahre auf dieses Forschungsthema stieß - weil er selbst arbeitslos war. "Ich rief bei Ministerien und der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg an, doch dort sagt man mir: Nicht unser Thema." Dies ist u.a. an der Tatsache abzulesen, dass bei Fördermaßnahmen nur fachliche Defizite, nie aber der Gesundheitszustand eine Rolle spielten. Doch genau diesen Zusammenhang wies Kuhnert im Rahmen des von der EU geförderten Projekts "Equal" (Netzwerk Arbeitsmarktintegrative Gesundheitsförderung) nach. Und: In einem bundesweit einmaligen Pilotprojekt wurde in Dortmund ein gesundheits- und arbeitsmarktbezogenes Beratungsangebot mit Langzeitarbeitslosen und mit von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen entwickelt. 70 Personen versuchten in Gruppengesprächen über einen Zeitraum von fünf Wochen, einen Ausweg aus ihrer oftmals sehr schwierigen beruflichen und gesundheitlichen Situation zu finden.

Die Kernaussage: Je länger ein Mensch arbeitslos ist, desto höher ist sein Risiko, ernsthaft zu erkranken. Die fast unvermeidbare Folge: Diese Menschen haben auf Grund ihrer Krankheit kaum eine Chance mehr auf eine Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt. "Die typischen Arbeitslosen gibt es nicht. Das Thema Arbeitslosigkeit ist hoch komplex", hat Kuhnert im Laufe der Untersuchung festgestellt. Dafür haben Kuhnert und die Projektpartner zunächst Freiwillige gesucht, die über ihre persönliche Situation Auskunft geben wollten.

Forschung - das ist in diesem Fall das Auswerten von Fragebögen, das Führen persönlicher Interviews und die "teilnehmende Beobachtung": Schauen, wie sich Menschen verhalten, wie sie sich verändern. Forschung beschränkt sich eben nicht nur auf nüchterne Zahlen, Prozente und Fakten. Hier ist sie sensibel, bekommt eine sehr persönliche Note. "In den Gruppengesprächen sind Menschen zusammengebrochen. Das hat mich sehr berührt", so Kuhnert.

Auch wenn die endgültige Auswertung aussteht - die bisherigen Resultate sprechen eine deutliche Sprache: Menschen ohne Arbeit sind häufiger krank. Selbst eine neue Stelle ändert dies nur vorübergehend. Kuhnert: "Dann verbessert sich der Gesundheitszustand kurzfristig, doch bei befristeten Beschäftigungsverhältnissen häufen sich später Erkrankungen." Viele Arbeitslose treiben weniger Sport, außerdem geht die Fähigkeit der Entspannung verloren.

Klar erkennbar seien auch die Auswirkungen auf die Psyche. Über ein Drittel zeigte Anzeichen für Depressionen. Was Kuhnert auffiel: Die Familie ist längst nicht immer hilfreich bei der Bewältigung der Probleme. Hängt der Haussegen schief, werden sie eher verstärkt. Und: Mehr als die Hälfte aller Männer ist alleinstehend.

Der Hoffnungsschimmer: Fast alle Teilnehmer von Beratungsprojekten wie "BKK Job-Fit" verbesserten ihre Situation - was Kuhnert an einem scheinbar banalen Detail festmacht: Das äußere Erscheinungsbild einiger Menschen änderte sich plötzlich - sie gingen zum Friseur.

Mit seiner Forschung musste Dr. Peter Kuhnert in den vergangenen Jahren ein sehr dickes Brett bohren - inzwischen ist er durch. Ob Agentur für Arbeit oder Ministerien: Plötzlich herrscht großes Interesse an den Ergebnissen. Das macht Kuhnert Hoffnung, dass auch das Nachfolgeprojekt, EQUAL II, von der EU unterstützt wird. Denn das Ziel sei es, die Arbeitsmarktpolitik europaweit zu verändern.

Für Kuhnert selbst steht nach wie vor der Mensch im Mittelpunkt: Er leitet eine Selbsthilfegruppe, die sich als Folge von Job-Fit gebildet hat.

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