Arbeitsuchende unter Generalverdacht
Zum Hartz-Optimierungsgesetz: Gemeinsame Erklärung des Bundesbeauftragten und der Landesbeauftragten für den Datenschutz der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen
26. Mai 2006
P R E S S E M I T T E I L U N G
Die Bundesregierung hat den "Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende" beschlossen, der von den Koalitionsfraktionen in den Deutschen Bundestag eingebracht worden ist (Bundestags-Drucksache 16/1410) und bereits am 1. August 2006 in Kraft treten soll. Ein wesentliches Ziel des Entwurfs ist es, die stark gestiegenen Kosten der Hartz-IV-Reform durch eine verstärkte Kontrolle aller Arbeitsuchenden nennenswert zu begrenzen. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) hat mit Schreiben vom 18. Mai 2006 gegenüber dem Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages Stellung genommen und auf die datenschutzrechtlichen Probleme hingewiesen. Die Datenschutzbeauftragten unterstützen nachdrücklich die in der Stellungnahme des BfDI enthaltenen Forderungen.
Entgegen den im Sozialrecht geltenden Grundsätzen ist geplant, bei der Frage nach dem Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft eine Beweislastumkehr zulasten der Arbeitsuchenden einzuführen. Danach müssten Betroffene selbst nachweisen, dass sie nicht in eheähnlichen Gemeinschaften mit Mitbewohnerinnen oder Mitbewohnern leben. Wie dies in der Praxis geschehen soll, ist unklar. Betroffene könnten sich genötigt sehen, zum einen ihre Hilfsbedürftigkeit Mitbewohnerinnen oder Mitbewohnern und damit Dritten zu offenbaren, zum anderen deren sensible Daten preiszugeben. Dafür gibt es keine Rechtsgrundlage. Eine solche exzessive Datenerhebung wäre datenschutzrechtlich nicht hinnehmbar.
Bedenken bestehen auch gegen die geplante Erweiterung der automatisierten Datenabgleiche. Wegen des hiermit verbundenen massiven Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sind derartige Abgleiche grundsätzlich nur unter sehr engen Voraussetzungen dann zulässig, wenn sie im vorrangigen öffentlichen Interesse tatsächlich notwendig und verhältnismäßig sind. Der Gesetzentwurf enthält aber keine Begründung, weshalb ein regelmäßiger Datenabgleich hinter dem Rücken der Betroffenen erforderlich sein soll. Dass einige von ihnen Leistungen erschleichen wollen, rechtfertigt diese Maßnahme nicht. Belege dafür, dass die vorhandenen Befugnisse zur notwendigen Bekämpfung von Leistungsmissbrauch tatsächlich unzureichend sind, fehlen völlig. Es ist mit dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren, auf diese Weise alle Arbeitsuchenden, die Grundsicherung beanspruchen, unter Generalverdacht zu stellen.
Gleiches gilt für die Schaffung der diversen Auskunftsmöglichkeiten bei anderen Behörden, beispielsweise beim Kraftfahrtbundesamt. Rein präventive Routineauskunftsersuchen sind als unverhältnismäßig abzulehnen. Es muss deshalb klargestellt werden, dass diese Abfragen nur anlassbezogen, d.h. erst wenn aufgrund der Angaben der Betroffenen tatsächliche Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit bestehen, und zielgerichtet im konkreten Einzelfall zulässig sind.
Darüber hinaus regelt der Gesetzentwurf Telefonbefragungen durch private Call Center zur Feststellung von Leistungsmissbrauch. Unabhängig von den rechtlichen Bedenken, diese hoheitliche Aufgabe nichtöffentlichen Stellen zu übertragen, muss die Freiwilligkeit der Teilnahme ausdrücklich klargestellt werden.
Die vorgesehene Verpflichtung der Leistungsträger zur Einrichtung eines Außendienstes für Hausbesuche vermittelt den nicht zutreffenden Eindruck, als würde hierdurch eine Mitwirkungspflicht der Betroffenen begründet. Dass diese Hausbesuche unzweifelhaft wegen des grundgesetzlich geschützten Rechts auf die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) nur mit vorheriger Zustimmung der Betroffenen möglich sind und die Außendienstmitarbeiter kein Recht zum Betreten haben, ist ausdrücklich zu betonen.
Schließlich beseitigt der Gesetzentwurf nicht die mehrfach von den Datenschutzbeauftragten kritisierten Unklarheiten der Zuständigkeitsverteilung zwischen der Bundesagentur für Arbeit und den Arbeitsgemeinschaften (ARGEn). Im Gegenteil: Die Probleme werden durch den in sich widersprüchlichen Entwurf verfestigt. Einerseits soll die Bundesagentur für Arbeit in Angelegenheiten der ARGEn künftig die datenschutzrechtlich verantwortliche Stelle sein. Andererseits bestimmt der Gesetzentwurf, dass die Länder für die organisatorischen Angelegenheiten und damit auch für den Datenschutz verantwortlich sein sollen. Eine effektive Datenschutzkontrolle wird dadurch unmöglich.
Die
Datenschutzbeauftragten fordern den Deutschen Bundestag und den
Bundesrat daher auf, den Gesetzentwurf grundlegend mit Blick auf das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu überarbeiten. Dieses
Recht muss auch bei denjenigen gewährleistet bleiben, die auf
staatliche Grundsicherung angewiesen sind.
Weitere Informationen erhalten Sie beim
Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein
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