»Diese Studie der ARGE ist alles andere als neutral«
Erwerbslosenverein weist nach: Offizielle Umfrage zur Zufriedenheit von Hartz-IV-Beziehern ist falsch. Ein Gespräch mit Frank Jäger
Frank Jäger ist Sozialwissenschaftler und Referent für Sozialrecht und Sozialberater beim Wuppertaler Erwerbslosenverein Tacheles
Nach einer offiziellen Erhebung der Agentur für Arbeit in Wuppertal aus dem Sommer 2009 waren nur rund vier Prozent der befragten Hartz- IV-Bezieher mit deren Arbeit unzufrieden. Der Erwerbslosenverein Tacheles kommt jetzt aber zu anderen Ergebnissen: Alle Befragten vergaben bei der »Gesamtzufriedenheit « die Durchschnittsnote 4,6: Wie kommt diese Differenz zustande?
Das ist eine Frage der Wertung: Wenn der ARGE-Leiter Thomas Lenz sagt, nur vier Prozent seien unzufrieden, so hat er nur Hartz-IV-Bezieher erfaßt, die für Freundlichkeit die Noten »Fünf« und »Sechs« vergeben haben. Das ist aber nicht richtig, auch Leute, die »Ausreichend « – also die Note »Vier« – vergeben, sind nicht zufrieden. In unserer Studie haben wir 456 der 46 500 Wuppertaler Hartz-IV-Bezieher befragt. Während die ARGE die Note 2,3 für die Freundlichkeit der Mitarbeiter herausbekommen hat, registrierten wir die Note 4,1. In unserer Studie ist die Gesamtbenotung für die Arbeit der ARGE eine 4,6, also eine »Fünf plus«. Da kann von hoher Kundenzufriedenheit wohl keine Rede sein – und so erfahren wir es auch in unserer Beratungspraxis. Dabei spielt sicher eine Rolle, daß unsere Befragung – im Gegensatz zu der der Bundesagentur! – anonym war. Deshalb haben wir wohl ehrlichere Antworten erhalten. Im Zentrum standen unter anderem Fragen nach Wartezeiten, Erreichbarkeit der Mitarbeiter, Qualität der Beratung, Dauer der Antragsbearbeitung, Erfahrungen mit verlorengegangenen Unterlagen, Pünktlichkeit eingehender Leistungen.
Was kritisieren Sie an der Befragung der ARGE?
Deren Statistik wird vom Zentrum für Kunden- und Mitarbeiterbefragung der Bundesagentur für Arbeit geführt. Da hier Behördenmitarbeiter selber nachfragen, ist die Studie alles andere als neutral. Hartz-IV-Bezieher wurden zu Hause angerufen, Anonymität ist also nicht gewährleistet. Es wurden auch Fragen gestellt wie die, ob die Hartz-IV-Bezieher »ihre Eigenbemühungen erfüllen«. Spätestens nach dieser Frage ist klar, daß es hier nicht nur um eine Beurteilung der ARGE geht, sondern es werden Dinge abgefragt, die mit den Befragten selbst zu tun haben. Eine unbefangene Antwort ist da nicht mehr möglich.
Welche Veränderungen halten Sie aufgrund Ihrer eigenen Untersuchung für dringend erforderlich?
F: Die meisten Mängel haben damit zu tun, daß die ARGE in Wuppertal Personalprobleme hat: Es gibt große Arbeitsdichte, hohe Fluktuation der Mitarbeiter sowie einen hohen Krankenstand. Leistungsbezieher müssen einen ständigen Wechsel der Sachbearbeiter hinnehmen. Auch die Mitarbeiter müssen immer wieder bei Null anfangen und neue Leute einarbeiten. Das ist schon seit Jahren so und zieht auch Unzufriedenheit der Angestellten nach sich, was sich in deren Umgangston niederschlägt. So schaukelt sich die Situation permanent auf. Fazit: Die ARGE braucht mehr Mitarbeiter und Räumlichkeiten, das kostet aber Geld.
Taucht all das in der offiziellen Untersuchung auf?
Da schon die Zahlen irrelevant sind, kann hier auch keine realistische Lösung angegangen werden. Der Alltag in den ARGEn sieht eben anders aus, als ihn die Institution in manipulierten Umfrageergebnissen selber vorspiegelt.
Welche Druckmittel gibt es, damit Ergebnisse der Studie nicht nur graue Theorie bleiben, sondern in die Praxis umgesetzt werden?
Wir müssen hauptsächlich in der Öffentlichkeit Sensibilität für diese Probleme schaffen. Mainstream-Medien beziehen sich bei Hartz IV meist nur auf Einzelfälle. Es wird nicht gesehen, daß die Verwaltung schlecht funktioniert und daß das politisch so gewollt ist. Wir wollen eine Debatte darüber in Gang setzen, ob diese von der Bundesagentur selber eingeleitete Untersuchung zulässig ist. Denn es handelt sich ja quasi um eine Umfrage, die als Eigenwerbung eingesetzt wird – eben mit den entsprechenden Zahlen, die ins Konzept passen. Unsere Umfrage zeigt auch insofern Wirkung, als sie Auslöser für eine Internet- Blitzumfrage der Lokalzeitung Wuppertaler Rundschau war. Danach waren 49 Prozent unzufrieden mit der Arbeit der Behörde. Unsere Umfrage wird von anderen Initiativen und Organisationen übernommen und durchgeführt, unter anderem vom Diakonischen Werk in Bayern. Es hat sich also schon gelohnt. Die Zustände in den ARGEn sind eine Zumutung – und wenn sie scheinwissenschaftlich mit falschen Zahlen geschönt werden, ist das skandalös.
Quelle: Junge Welt vom 19.05.10