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»Jeder müßte endlich den Mund aufmachen«

Unerträgliche Zustände im Jobcenter: Gängelung, Erpressung, Schikane. Und jede Menge Inkompetenz. Ein Gespräch mit Eckhard Freuwört

Als Chemo- und Mikroprozessortechniker mit langjähriger Berufserfahrung, weiteren Berufsabschlüssen, Publikationen in wissenschaftlichen Fachblättern und veröffentlichten Büchern, hat man Sie aus dem Job gemobbt. Was ist Ihnen dann als Hartz-IV-Berechtigter widerfahren?
Was ich im Jobcenter in der Region Hannover erleben mußte, würde ich als Amtsmißbrauch bezeichnen, wie er im Dritten Reich üblich war. Es fängt mit Kleinigkeiten an: Man putzt Sie herunter, hält Sie klein; es folgen Drohungen, Schikanen, Beschimpfungen und Nötigungen. Mir wurde beispielsweise gedroht, falls ich aufmuckte, schicke man mich zur Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU). Dorthin kommandieren die Behörden Mitbürger ab, von denen sie meinen, daß sie aus dem Verkehr gezogen werden müssen.

Was war bei Ihnen Anlaß für diese Drohung?
Fallmanager hatten mir gesagt, wie ich meine Bewerbung abfassen muß: Mit welcher Mappe, bei welchem Fotografen ich zu überhöhten Preisen Fotos machen – und auf welchem Papier (mit Wasserzeichen!) sie gedruckt werden sollen. Das Ganze kostete 25 Euro, ersetzt bekam ich vier. Im Lauf der Jahre habe ich 400 Bewerbungen geschrieben. Ich habe gefragt, warum ich das alles zum Beispiel nicht bezahlt bekomme. Daraufhin hat man mir die Drohung mit der MPU an den Kopf geknallt.

Man hat auch Ihre Ehefrau in die Schikanen einbezogen?
Anfang 2006 hat man ihr eine Arbeitslosennummer zugeteilt, obgleich sie Beamtin ist und Arbeit hat – und sie dann als vermittelt eingetragen. 2008 erhielt meine festangestellte Frau als Mitglied der »Bedarfsgemeinschaft« eine Vorladung vom Jobcenter hinsichtlich eines »Gesprächs über das Bewerberangebot«. Komme sie der Einladung nicht nach, werde ich sanktioniert, hieß es. Man legte ihr nahe, ihre Beamtenschaft und ihren Job aufzugeben und sich zwecks Vermittlung arbeitslos zu melden. Und dann wollte man sie noch zur Unterschrift unter eine Eingliederungsvereinbarung (EGV) zwingen, nach der sie a) den Tagespendelbereich nicht verlassen darf und b) täglich die Genehmigung eines Sachbearbeiters braucht, um zur Arbeit fahren zu dürfen.

Das wollte meine Frau natürlich nicht. Daraufhin sagte man uns: »Es geht hier keiner raus, ohne eine EGV unterzeichnet zu haben.« Jetzt erhalte ich kein Hartz IV mehr und muß anderthalb Jahre Bezüge zurückzahlen, weil man meine Frau gezwungen hatte, die Steuerklasse zu wechseln, woraufhin sie im Jahr 81 Cent »zuviel« verdiente. Meine 18jährige Tochter hat man ebenfalls vorgeladen und ihr angetragen, das Gymnasium aufzugeben. Begründung: Kinder von Hartz-IV-Empfängern seien »sowieso nicht leistungsfähig«.

Welche Reaktionen gab es, nachdem Sie Ihre Geschichte im Internet-Blog veröffentlicht haben?
Hartz-IV-Bezieher bestätigen, ihnen sei es ähnlich ergangen; bei Nichtbetroffenen herrscht blankes Entsetzen.

Sie standen im Mailaustausch mit dem Bundeskanzleramt?
Ich hatte geschildert, wie es im Jobcenter abläuft. Eine Mitarbeiterin antwortete: »Ich kann Ihnen versichern, daß Frau Dr. Merkel großen Wert darauf legt, über die Meinungsäußerungen der Bürger unterrichtet zu werden. Ihre Äußerungen werden in die Meinungsbildung der Bundesregierung einfließen.« Das war im Dezember 2007. Und im Juni 2008 tut die Kanzlerin im Interview mit der FAZ kund, wie gut es Hartz-IV-Empfängern geht. Resultat für mich: CDU und FDP sind unwählbar. Sie vertreten keine Interessen des Otto Normalbürger. Hartz IV ist ein Enteignungsgesetz durch die Hintertür, das nur dazu dient, denen die Taschen zu füllen, die sowieso zu viel haben. Jeder müßte endlich den Mund aufmachen.

Wünschen Sie der CDU/FDP-Bundesregierung etwa einen »heißen Herbst«?
Und wie. Für mich haben Parteikürzel längst eine andere Bedeutung: SPD »Sozialstaat partout demontieren«, FDP »Fremdgesteuert durch Partei­spenden« und CDU »Chaos durch Unfähigkeit«. Sie alle haben jeden Kontakt zur Bevölkerung verloren. Wenn ich höre, daß Arbeitsministerin Ursula von der Leyen sagt: »Man muß die Arbeitslosen bei der Hand nehmen und sie führen«, geht mir der Hut hoch. Bürgerarbeit ist nichts anderes als Zwangsarbeit.

Quelle: junge welt vom 11.08.2010

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