Beispiellose Klagewelle durch Hartz-IV-Reform
Präsident des Bundessozialgerichts fordert mehr Personal. Die Hartz IV-Reform hat zu einer beispiellosen Klagewelle geführt. "Wir haben das noch nie erlebt, dass ein neues Gesetz einen solchen Klageboom auslöst", sagte der Präsident des Bundessozialgerichts (BSG), Matthias von Wulffen, bei der Jahrespressekonferenz seines Gerichts am Mittwoch in Kassel.
Für die Sozialgerichte bedeutet dies eine Mehrbelastung von 17 Prozent. Wegen dieses "Kraftakts" dauerten insbesondere die Verfahren in der Renten- und Krankenversicherung nun länger. Die Länder seien "in der Pflicht", für mehr Personal in den Instanzgerichten zu sorgen, forderte von Wulffen.
Insgesamt gingen im vergangenen Jahr über 52.000 Verfahren zu Hartz IV bei den Sozialgerichten ein, davon 36.700 Klagen und 15.400 Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz. Nach den über die Landessozialgerichte erhobenen Zahlen sei davon fast die Hälfte in erster Instanz bereits entschieden, die Eilanträge seien nahezu komplett entschieden, sagte BSG-Sprecher Thomas Voelzke. Wichtigste Themen seien die nichtehelichen Lebensgemeinschaften, die Anrechnung von Einkommen und Vermögen sowie Fragen der Unterkunft.
Die Erfolgsquote für die Hartz IV-Empfänger lag in den meisten Ländern unter 30 Prozent und war damit entgegen den Erwartungen sogar etwas geringer als bei anderen Sozialgerichtsverfahren. Das widerlege den Vorwurf, die Reform sei erst durch die Gerichte so teuer geworden, meinte Voelzke. Deutlich werde bei den von den Landessozialgerichten gelieferten Zahlen auch ein klares Ost-West-Gefälle. In den neuen Ländern sei auch die dort geringere Höhe der Grundsicherung ein häufiger Klagegrund. Dass es dort mehr Verfahren gibt, gehe zudem wohl auch auf die höhere Arbeitslosigkeit zurück. Zudem sei die Zahl der sechs Millionen Betroffenen besonders hoch.
BSG-Vizepräsidentin Ruth Wetzel-Steinwedel machte auch Organisationen und spezialisierte Anwaltskanzleien für die Klagewelle verantwortlich. Die Begründungen der Klagen und Eilanträge würden teilweise "bausteinartig" und ohne Bezug zum konkreten Fall geliefert, sagte sie.
(Anmerkung tacheles-forum: nunja, wir nehmen uns halt die ARGEN und ihre Bescheide, Schreiben und EinglV zum Vorbild, die sind auch "bausteinartig und ohne Bezug zum konkreten Fall", nüch wahr?)
Das BSG will über erste Hartz-Fälle bereits in diesem Jahr entscheiden, unter anderem über die "Angemessenheit" einer selbst genutzten Eigentumswohnung sowie über die Höhe der Grundsicherung für ältere Arbeitslose, die früher unter erleichterten Bedingungen Arbeitslosenhilfe beziehen konnten.
Quelle : http://www.123recht.net/article.asp?a=15653 vom 1. Februar 2006
Sozialgerichte NRW: wir sind schon streng
Das Zitat in der Überschrift ist natürlich verkürzt. Aber in einer Erklärung betonen die NRW-Sozialrichter, daß sie nicht an den hohen Ausgaben für Hartz IV schuld wären. Und zählen auf, daß sie wesentliche Sachen abgelehnt haben, z.B. Geld für Brille und Stromschulden, Einmalzahlungen ohne gesetzliche Grundlage, und daß eheähnliche Gemeinschaften verfassungsgemäß sind und nicht unbedingt schon 3 Jahre dauern müssen.
Hier ist der Text: http://www.sozialgerichtsbarkeit.de/SGBBRD/msgb/LSG_NRW_671_1.pdf
(kostet 1,6 MB)
Dort insbesondere S. 11 und 12.
Anders als kürzlich das BSG meint das LSG aber schon, daß das Gesetz "manche handwerkliche Mängel" enthält, die sich "durch rechtzeitigen richterlichen Rat vermeiden" hätten lassen können. Aber es hat anscheinend niemand die Richter vorher gefragt.
Quelle: der kostenlose e-mail-Info-Dienst der „Unabhängigen Sozialberatung Bochum - Kontakt: Sozialberatung@sz-bochum.de