Berlin: Überflüssige bespitzelt
Der Skandal um die Bespitzelung des Berliner Sozialforums dauert an. Nachdem Peter Grottian, der an der Freien Universität Politologie lehrt und im Sozialforum aktiv ist, einen kleinen Teil seiner Akten einsehen konnte, werden nach und nach weiter Details bekannt. Neben Aktivisten aus den Gewerkschaften IG-Bau, GEW und verd.i sind auch die Überflüssigen im Fadenkreuz des Berliner Geheimdienstes.
Unter Regie eines rot-roten Senats wurde vom Verfassungsschutz die gesamte soziale Opposition Berlins bespitzelt. Auch die konkurrierende Berliner WASG wurde ausgespäht. In Berlin werden mit Spannung die ersten Enttarnungen erwartet.
Interessant sind einige Einlassungen in den Akten, wonach der Berliner Geheimdienst unter der neuen Chefin Claudia Schmid intensiv versuchte, die Überflüssigen zu "infiltrieren". Nach Einschätzung der Spitzelbehörde ist die "Bewegung der Überflüssigen" gefährlich, da sie durch ihre Aktionen auf "große Sympathien in der Bevölkerung" gestoßen sei. Die Tatsache, dass immer mehr Menschen im Zusammenhang mit Erwerbslosigkeit das Gefühl des "überflüssig seins" hätten, würde die Anschlussfähigkeit an eine potentiell größer werdende Bevölkerungsgruppe bedeuten. Diese Bewegung berge deshalb ein "destabilisierendes Potential", das von den AktivistInnen sogar offensiv vertreten werde. Regelüberschreitungen und die Nichtanerkennung der freiheitlich demokratischen Grundordnung stecken somit für die Berliner Schlapphütte implizit im nicht vorhandenen Programm. Pech nur, dass es nach Aktenlage der Berliner Behörde trotz intensiver Versuche nicht gelungen ist, einen informellen Mitarbeiter als Überflüssigen einzuschleusen. Dies wird vom Berliner Verfassungsschutz bedauert, das Versagen jedoch ihren Brötchengebern schon mal erklärt. Die Strukturen der Überflüssigen seien entweder spontan und extrem offen oder geradezu "hochklandestin", so dass eine "enge Informationsabschöpfung" bisher nicht gelang.
Bekannt wurde inzwischen auch aus anderer Quelle, dass das Bundeskriminalamt gegen die Überflüssigen ermittelt. Unklar ist, ob es sich hier nur um Ermittlungen im Rahmen der Weckaktion von Ex-Minister Clement (Zitat: Überflüssige sind Schmarotzer) handelt. Bei "Gefährdungen" von Bundesministern soll nämlich immer das BKA zuständig sein. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die Behörden aus Angst vor dem massenhaften Auftreten von Überflüssigen hier den Verdacht einer "kriminellen Vereinigung" hegen. In der Logik von Sicherheitsbehörden, die ein System stabil halten sollen, durchaus nachvollziehbar.
Vielleicht sind die Schlapphüte ja auch beim Prozess gegen die Überflüssigen am kommenden Mittwoch dabei. Im Amtsgericht Tiergarten soll dort nämlich ein Überflüssiger wegen Hausfriedensbruch verurteilt werden – auf Initiative des SPD-Mitglieds und Chef der Berliner Arbeiterwohlfahrt Hans Nisblé. Grund war eine Protestaktion gegen die Arbeiterwohlfahrt wegen ihrer Befürwortung und Nutzung von 1-Euro-Jobbern. Hier schließt sich der Kreis vielleicht wieder: Vom rot-roten Senat über den Geheimdienst zum Spitzeldienst der Jobcenter und zurück. Statt offener Auseinandersetzung setzen der rot-rote Senat in Berlin und die Herrschenden in Deutschland mit ihren technokratischen Apparaten auf Bespitzelung. Kontrolle um jeden Preis. Wer hier die Verfassung und die Grundrechte verletzt, ist siche keine Frage für Günter Jauch. Hier werden nämlich immer dieselben Millionäre.
Quelle: Indymedia - 10.07.2006 12:46