Gab Clement Hartz-IV-Kosten absichtlich zu niedrig an ? - Heftiger Streit um die Hartz-IV-Kosten
Die "Rheinische Post" berichtet am 25.02.05: Clement soll die Zahl der zu erwartenden Empfänger von Arbeitslosengeld II Ende 2004 bewusst zu niedrig angesetzt zu haben, um die Folgekosten niedrig zu rechnen und den Bundeshaushalt nicht zu sprengen. - Heftiger Streit um die Hartz-IV-Kosten --- Berichte aus "onnachrichten.t-online.de"
Zeitung wirft Clement Manipulation vor
Zu niedrig kalkuliert
Die
Zeitung beruft sich auf ein Verhandlungsprotokoll vom Mai 2004. Der
Deutsche Städtetag rechnete damals mit insgesamt 2,4 Millionen
Empfängern von Arbeitslosenhilfe, die ab Anfang 2005 ALG II bekommen.
Die Zahl, mit der Clement rechnete, ist um 300.000 niedriger. Auch die
Schätzungen der zusätzlich aus der bisherigen Sozialhilfe zum ALG II
wechselnden Bedürftigen lagen bei Clement um 200.000 Fälle niedriger
als bei den Kommunen.
Bewusst getäuscht?
Der Hintergrund: Der
Minister wollte verhindern, dass der Bundeshaushalt schon bei seiner
Vorlage erkennbar verfassungswidrig war. Clement habe dazu gesagt:
"Selbst wenn eure Zahlen richtig sind - ich kann nicht mehr Geld
bereitstellen, weil dann der Etat verfassungswidrig wird", zitiert die
Rheinische Post einen Teilnehmer der Verhandlungen vom 15. Mai 2004 in
Köln.
Absichtlich falsch eingestuft?
Im Streit
mit den Kommunen um arbeitsunfähige Sozialhilfeempfänger erhielt
Clement aber Rückendeckung. Mehrere Allgemeine Ortskrankenkassen (AOK)
warfen Städten und Gemeinden vor, hunderte Sozialhilfeempfänger
möglicherweise zu Unrecht als arbeitsfähig eingestuft zu haben und so
Krankenkosten abzuschieben. In der Frage, ob dahinter System steckt
oder ob es sich schlicht um Pannen handelt, gingen die Meinungen
auseinander. Die Kommunalverbände weisen die Vorwürfe zurück und
sprechen von Einzelfällen.
Kosten abgeschoben?
Bund
und Kommunen streiten um die Einstufung beim neuen ALG II und drohende
Mehrkosten. Im Zuge der Hartz-IV-Reform erhalten bisherige
Sozialhilfeempfänger ALG II, wenn sie als erwerbsfähig gelten - also
zwischen 15 und 65 Jahre alt sind und mindestens drei Stunden am Tag
arbeiten können. Mit dem ALG II ist auch eine Versicherung bei
Krankenkassen verbunden, so dass sie Behandlungen bezahlen müssen. Nach
Ansicht der Kassen wollen Kommunen so Sozialhilfeleistungen und
Behandlungskosten abschieben.
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Zu Unrecht erwerbsfähig?
Fälle,
bei denen Sozialhilfeempfänger zu Unrecht als erwerbsfähig eingestuft
werden, gebe es in ganz Deutschland, sagte Clement. Hintergrund: Mit
der Hartz-Reform erhalten erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger seit
Jahresbeginn Arbeitslosengeld II, das der Bund zahlt. Wer nicht
arbeiten kann, bekommt von den Kommunen Sozialhilfe. Weisen die
Gemeinden frühere Sozialhilfeempfänger als erwerbsfähig aus, sparen sie
also Geld. Erwerbsfähig ist jeder, der zwischen 15 und 65 Jahre als ist
und täglich mindestens drei Stunden arbeiten kann.
"Beide kennen die Leute"
Der Deutsche Städte- und
Gemeindebund wehrt sich gegen den Vorwurf: Die Kommunen arbeiteten
größtenteils mit der Bundesagentur für Arbeit (BA) zusammen, sagte
Präsident Gerd Landsberg im DeutschlandRadio Berlin. "Das heißt: Beide
haben die Akte, beide kennen die Leute." Damit nicht genug: Landberg
rechnet damit, dass Finanzminister Hans Eichel den Kommunen in diesem
Jahr nur etwa 500 Millionen Euro Entlastung für die Zusammenlegung der
Sozial- und Arbeitslosenhilfe überweisen muss. Dies wären 2,7
Milliarden weniger als geplant. Aus Regierungskreisen verlautete indes,
selbst die 500 Millionen seien noch zu hoch angesetzt.
Clement: Reform nicht teurer
Weiter
wandte Clement sich gegen Berichte, wonach die Arbeitsmarktreform in
diesem Jahr um 6,4 Milliarden Euro teurer werden könnte als geplant.
Die Zahl sei "interessant, aber nicht werthaltig", erklärte der
SPD-Politiker. Nach dem derzeitigen Stand sei die Summe zwar plausibel.
Verlässliche Summen gebe es aber erst nach dem Revisionstermin im
kommenden Herbst.
"Bankrotterklärung"
Auf Kritik
stieß derweil die Forderung von BA-Chef Frank-Jürgen Weise, ältere
Arbeitslose in Ostdeutschland künftig nicht mehr über die
Arbeitsagenturen zu fördern. Ältere Arbeitslose in Ost und West werden
weiter gefördert, stellte eine Clement-Sprecherin klar. Der
Arbeitsmarktexperte der Unionsfraktion, Karl-Josef Laumann, nannte den
Vorstoß eine "Bankrotterklärung". FDP-Vize Rainer Brüderle forderte
eine Entschuldigung Weises.
Hartz-Gipfel im Kanzleramt
Kanzler
Gerhard Schröder und die Gewerkschaftsspitzen beraten an diesem
Donnerstag über den Stand der Arbeitsmarktreform. Die
Arbeitnehmervertreter verlangen unter anderem, das Arbeitslosengeld II
in Ost- und Westdeutschland anzugleichen. Derzeit bekommen
ALG-II-Empfänger in den neuen Ländern 331 Euro und in den alten Ländern
345 Euro. Handlungsbedarf sehen die Gewerkschaften auch bei den
Zumutbarkeitsregeln und den Hinzuverdienstgrenzen.
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Hartz IV in Scrabble-Buchstaben (Foto: ddp) |
Bund prüft Arbeitsfähigkeit
Clement
kündigte an, es werde geprüft, welche der bisherigen
Sozialhilfeempfänger, die dem Bund von den Kommunen zugewiesen wurden
oder sich bei den Arbeitsagenturen gemeldet hatten, tatsächlich einer
Arbeit nachgehen könnten. Kommunale Spitzenverbände wiesen Clements
Vorwürfe zurück.
Rot-Grün rechnet mit Mehrkosten
In der
rot-grünen Koalition wird bereits mit Mehrkosten durch die Reform Hartz
IV gerechnet. Politiker wie Verbände widersprachen aber Berechnungen
der "Süddeutschen Zeitung", dass die Reform den Bund in diesem Jahr mit
6,4 Mrd. Euro mehr belasten wird als bislang geschätzt.
Weise bestätigt Berechnungen
Dagegen
bestätigte der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen
Weise, die Zahl indirekt. "Die Rechnung ist plausibel", sagte der
Behördenchef der FTD. Weise forderte ein Ende der Betreuung älterer
Arbeitsloser in Ostdeutschland durch die Arbeitsbehörden. "In den neuen
Bundesländern können wir leider vielen Menschen in der derzeitigen
Wirtschaftslage kaum etwas bieten." Dazu zählten Arbeitslose über 55
und mit einer nicht mehr aktuellen Qualifikation. Für sie solle ein
"Übergang gefunden werden, der auf eine bestimmte Zeit begrenzt ist".
Grundsicherung für ältere Arbeitslose?
Nach
Informationen der FTD wird in der SPD wegen der hohen Arbeitslosigkeit
überlegt, älteren Langzeitarbeitslosen, die als nicht mehr vermittelbar
gelten, eine Grundsicherung zu zahlen und sie zu gemeinnütziger Arbeit
heranzuziehen. Sie würden damit aus der Arbeitslosenstatistik
herausfallen.
AOK Baden-Württemberg bestätigt Clements Verdacht
Während
die Kommunen die Anschuldigungen empört zurückwiesen, bestätigte die
AOK Baden-Württemberg Clements Verdacht. Viele Sozialhilfeempfänger
seien bei der Bundesagentur als arbeitsfähig gemeldet, die in
Wirklichkeit gar nicht arbeiten können. Der Chef der AOK im Südwesten,
Rolf Hohberg, sprach in einem Interview mit der "Stuttgarter Zeitung"
von Hunderten Fällen allein in Baden-Württemberg.
Bundesagentur für Arbeit prüfe nicht sorgfältig genug
Der
kommunalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Bernd Scheelen,
sagte der "Berliner Zeitung" zudem, es gebe Berichte, wonach die
Bundesagentur für Arbeit ihrerseits bei den ALG-II-Antragstellern die
Angaben über Unterkunftskosten nicht sorgfältig genug prüfe und hierbei
generell nachlässig sei. Das belaste tendenziell die Kommunen, da sie
den Großteil dieser Kosten übernehmen müssten. Scheelen geht dem
Bericht zufolge allerdings davon aus, dass es sich um Einzelfälle
handelt.