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dm-Chef hält Hartz IV für Menschenquälerei

dm-Chef Goetz Werner vertritt ungewöhnliche Positionen für einen Manager. Seit einiger Zeit kämpft er offensiv für ein garantiertes Grundeinkommen. Hartz IV gleiche "offenem Strafvollzug", schimpft er jetzt in einem Magazin. Aufgabe der Wirtschaft sei es, die Menschen von Arbeit zu befreien. Außer dem Artikel findet ihr hier eine kritische Bewertung von Werners Position.

Hamburg - "Hartz IV ist offener Strafvollzug. Es ist die Beraubung von Freiheitsrechten. Hartz IV quält die Menschen, zerstört ihre Kreativität", schimpft Goetz Werner, Chef der Drogeriemarktkette dm, im "Stern"-Interview. Es sei ein Skandal, "dass eine rot-grüne Regierung dieses destruktive Element in die Gesellschaft gebracht" habe, so der 62-Jährige.

Seit mehreren Monaten kämpft Werner offen für eine völlig neue Auffassung von Arbeit. Den Startschuss gab eine großformatige Anzeigen, mit der der dm-Chef gemeinsam mit Steuerexperte Benediktus Hardorp in mehreren Medien für ein garantiertes Grundeinkommen warb. Wie genau das realisiert werden könnte, erklärte Werner in einem Interview mit Spiegel Online

Inzwischen hat Werner den Ton noch erheblich verschärft. Die Zeiten der Vollbeschäftigung seien "endgültig vorbei", erklärte er nun dem "Stern". Die Politiker seien jedoch "vernagelt" und weigerten sich, die neue Wirklichkeit zu akzeptieren. "Sie sind narkotisiert vom Vollbeschäftigungswahn. Vollbeschäftigung ist eine Lüge, ein Mythos." Das "manische Schauen auf Arbeit" mache alle krank.

Aufgabe der Wirtschaft sei es, die Menschen von Arbeit zu befreien. Anstelle eines Rechts auf Arbeit "brauchen wir ein Recht auf Einkommen", bekräftigte Werner seine Forderung nach einem Grundeinkommen von bis zu 1500 Euro für alle und lebenslang. "Ein bedingungsloses Grundeinkommen ohne Auflagen, ohne Formulare", das es den Menschen ermöglichen solle, "ein Leben in Würde und frei von Existenzängsten" zu führen.

Finanziert werden soll dieses Bürgergeld über die Mehrwertsteuer, die "allerdings kräftig, vielleicht sogar auf 50 Prozent ansteigen müsste". Alle anderen Steuern gehören nach Auffassung des Unternehmers abgeschafft.

Die Klagen seiner Unternehmer-Kollegen über zu hohe Abgaben bezeichnete Werner jetzt als "Lug und Trug". Die Unternehmer zahlten so gut wie keine Steuern: "Klagen und Jammern gehören zum Geschäft. Aber jeder Unternehmer wälzt seine komplette Steuerlast auf die Preise ab."

ase

Quelle: spiegel.de vom 19.04.06


So "ungewöhnlich", wie behauptet, ist die Position von Götz Werner gar nicht.

Nicht für Manager, nicht für die KapitalbesitzerInnen (Götz Werner ist nicht nur Manager, sondern auch Besitzer der dm-Kette) und ihre "ExpertInnen" in diversen Wirtschaftsinstituten.

So geht die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle u.a. auch auf Milton Friedmann zurück, den Oberguru der Neoliberalen. Prof. Thomas Straubhaar vom Hamburger Weltwirtschaftsinstitut (HWWI), das neben dem Münchner ifo-Institut zu den aggressivsten Think Tanks der Neoliberalen zählt, tritt ebenso offensiv mit der Idee an die Öffentlichkeit wie andere Alt- und neoliberale Gruppen bis hin zur FDP. Die Modelle differieren, der Kern ist der gleiche:

Die Herren sehen, dass ihre auf Profitmaximierung und Kapitalakkumulation aufgebaute Wirtschaftsordnung Vollbeschäftigung nicht garantieren kann - die Zeit des sog. "rheinischen Kapitalismus" oder "Fordismus" war eine Ausnahmesituation angesichts besonderer historischer Bedingungen, nicht die kapitalistische Regel. Wenn Herr Werner uns allerdings weismachen will, dass es das ZIEL dieser Wirtschaft sei, die Menschen von der Arbeit zu befreien, wirft er natürlich Nebelkerzen. Der Vorsitzende des Sachverständigenrats der Bundesregierung, Bert Rürup, bezeichnete Unternehmen richtigerweise als "renditegesteuerte wirtschaftliche Einrichtung" (Bert Rürup, Fischer-Wirtschaftslexikon, Frankfurt 1995, 279). Bei der kapitalistischen Produktionsweise geht's also um die Rendite, um maximale Kapitalverwertung, nicht um Bedürfnisse der Menschen und nicht um Befreiung von der Arbeit. Die Herren suchen nun nach Lösungen, wie sie das Heer der für die Kapitalverwertung Überflüssigen soweit befrieden können, dass sie nicht auf den verwerflichen Gedanken kommen, die kapitalistische PRODUKTIONSWEISE als solche könnte faul sein.

Die Herren sehen ferner, dass sie immer größere Schwierigkeiten haben, ihre immensen angehäuften Kapitalien mit maximalen Renditen zu verwerten. Auch hier suchen sie Lösungen: Lohndumping, Herabsetzung bzw. Beseitigung der sog. "Lohnnebenkosten", Arbeitsverdichtung und Arbeitszeitverlängerung, Befreiung von der paritätischen Finanzierung der Sozialausgaben, Steuersenkungen für Reichtumseinkommen und Unternehmensgewinne. Sie bewegen sich dabei in einem fehlerhaften Kreislauf: je mehr sie "den Faktor Arbeit" verbilligen, je mehr Arbeitskräfte sie freisetzen, und damit die Masseneinkommen drücken, desto weniger können sie die Fülle der Waren absetzen und Gewinne realisieren.

Was liegt da näher, als beide Probleme miteinander zu verbinden. Götz Werner bringt das in seinem Modell auf den Punkt:

Das von ihm propagierte Grundeinkommen wird bei den lohnabhängig Beschäftigten mit den Lohneinkommen verrechnet und wirkt hier nicht anders als gigantische Lohnsubvention an die Unternehmer (Kombilohn auf die Spitze getrieben). Nachzulesen auf seiner WebSite "Unternimm die Zukunft" (http://www.unternimm-die-zukunft.de) Begründet wird das u.a. damit, dass "Arbeit in Deutschland unbezahlbar" geworden sei (Götz Werner bei einer Podiumsveranstaltung an der Uni Dortmund am 10.02.06.). Thomas Straubhaar antwortet auf die Journalisten-Frage „Also eine staatliche Grundsicherung für alle, nicht nur für Rentner?“: „Ja, sie darf an keine Bedingung geknüpft sein. Alle 80 Millionen Bundesbürger sollen sie bekommen. Kombilohn-Modelle" [weil sie jetzt „Bedingungsloses Grundeinkommen“ heißen;StS] "oder Mindestlöhne werden dann obsolet. Wir müssen dann aber auch akzeptieren, dass es extrem niedrige Löhne geben kann.“ (Prof. Straubhaar in Berliner Zeitung vom 17.3.2006)

Nach dem Götz-Werner-Modell werden die Kapitalgewinne und Einkommen von allen Steuern und Abgaben entlastet, das Grundeinkommen und alle anderen staatlichen Leistungen werden über die Mehrwertsteuer, also eine Konsumsteuer, finanziert, die unterschiedslos Reiche und Arme aufzubringen haben, die letztere aber bekanntlich in besonderer Weise belastet. Thomas Straubhaar vom HWWI favorisiert demgegenüber eine Flattax von 25% auf alle Einkommen gleichermaßen (Kirchhoff und Merz lassen grüßen) in Kombination mit einer Mehrwertsteuererhöhung. Sozialabgaben entfallen und damit auch deren paritätische Finanzierung durch die Unternehmen (Lohnnebenkosten).

Als "Einstieg" in das Grundeinkommen empfehlen Götz Werner und Straubhaar eine Transferleistung, die beim derzeitigen Alg-II/Sozialhilferegelsatz liegt oder nur knapp darüber (Götz Werner: 400 Euro). Milton Friedmann setzt noch deutlich darunter an. Im Modell sollen diese Sätze dann auf bis zu max. 1000 Euro (Straubhaar) oder 1500 Euro (G.Werner) je nach wirtschaftlicher Entwicklung gesteigert werden können.  Die 1500 Euro des
Götz Werner machen zunächst einen großzügigen Eindruck, der sich aber schnell verflüchtigt, wenn bedacht wird, dass sich erstens die Lebenshaltung  aufgrund der Mehrwertsteuererhöhung auf bis zu 50% enorm verteuern würde und zweitens, dass diese Großzügigkeit v.a. auf Kosten der Lohnabhängigen geht, die die Transferleistungen erstmal zu erarbeiten haben. Auch verschweigen unsere GrundeinkommensprotagonistInnen, wer denn diese Steigerungen durchsetzen würde / durchsetzen könnte / durchsetzen müsste (vielleicht die Arbeitgeberverbände?).

Die VertreterInnen eines bedingungslosen Grundeinkommens versprechen in ihren Modellen eine "Befreiung vom Arbeitszwang". Die kapitalistische Produktionsweise aber braucht diesen Arbeitszwang wie die Atemluft. Kapital wird verwertet dadurch, dass sich die KapitalbesitzerInnen im Produktionsprozess unbezahlte Arbeit privat aneignen; den (größeren) Teil des Arbeitstages nämlich, der über die Arbeitszeit hinausgeht. die zur Wiederherstellung der Ware Arbeitskraft auf dem jeweiligen soziokulturellen Bedürfnisniveau einer Gesellschaft notwendig ist, die also dem Arbeitslohn entspricht. In der Logik des bedingungslosen Grundeinkommens selbst muss deshalb die Transferleistung so niedrig sein, dass sich die erforderliche Anzahl mehrwertproduzierender LohnarbeiterInnen, die zur Kapitalverwertung notwendig ist, noch "freiwillig" einfindet. Straubhaar: "Es muss schließlich Geld verdient werden, bevor man umverteilen kann." Man kann den Arbeitszwang nicht in Frage stellen, ohne die kapitalistische Produktionsweise anzugreifen. Diese Produktionsweise aber nicht mal im Ansatz in Frage zu stellen und gleichzeitig die Befreiung vom Arbeitszwang an den Horizont zu malen, ist Traumtänzerei. Traumtänzerei, die Götz Werner & Co dazu dient, abzulenken von den WURZELN von Massenerwerbslosigkeit, Lohndrückerei, Verarmung, Ausgrenzung und Entwürdigung.

Das propagierte bedingungslose Grundeinkommen ist eine staatliche Zuweisung von Geld. Mit Geld sollen die Übel geheilt werden, die Götz Werner mit Recht den Hartz-IV-Gesetzen ankreidet (nur dass Hartz-IV nicht die Ursache, sondern lediglich ein weiterer Ausdruck dieser Übel ist). Geld soll "ein Leben in Würde und frei von Existenzängsten" ermöglichen, "Freiheitsrechte" und "Kreativität" wiederherstellen.

Danach scheinen Würde und Freiheit der Menschen vom Besitz von Geld abhängig zu sein, also einem Anspruch auf Waren, die mit diesem Geld erworben werden können. Geld ist unter unseren Bedingungen sicher eine notwendige Voraussetzung zur Befriedigung diverser Bedürfnisse. Die dazu benötigten Waren müssen allerdings vorher erstmal produziert worden sein: in kapitalistischer Produktionsweise, die nicht in Frage gestellt wird. Im Geld als allgemeinster Ware ist aber eben diese Produktionsweise verkörpert, die als wesentlichen Zweck die Kapitalverwertung hat und deren gesetzmäßige Folgen nun mit Geld geheilt werden sollen.  Mit Geld lässt sich aber weder die notwendig krisenhafte Entwicklung des Kapitalismus aufheben, nicht sein ggf. kriegerischer Expansionsdrang, nicht die kapitalistische Konkurrenz, noch die Ausbeutung der Lohnarbeit durch die Herren der Produktionsmittel, noch die Tatsache, dass nicht die lohnabhängigen Produzenten bestimmen, was wie für welche individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnisse produziert wird, dass sie Objekte der Produktionsverhältnisse und nicht Herr ihrer Geschicke sind.

Götz Werner und Co geht es darum, eben diese Produktionsverhältnisse auszublenden und der Kritik zu entziehen, die Bedingungen für die Kapitalverwertung aufrechtzuerhalten und zu verbessern, Lohn- und Lohnnebenkosten weiter zu drücken, Unternehmer und Reiche noch weitgehender von Steuern und Sozialabgaben zu entlasten. Das ist so "ungewöhnlich" nicht für Kapitalisten. Ungewöhnlich ist, dass Linke darauf hereinfallen.

P.S.: Voraussichtlich Mitte Mai wird eine Broschüre von Rainer Roth "Zur Kritik des bedingungslosen Grundeinkommens" herauskommen, die ausführlicher auf die Problematik eingeht als das hier in der gebotenen Kürze  möglich ist. In einigen Textpassagen stützte ich mich auf das mir vorliegende Manuskript.

von Sturmi Siebers


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