Dortmunder Ratsmitglied stellt Strafanzeige gegen Clement
die Anzeige im Wortlaut und die Reaktion der Berliner Staatsanwaltschaft
Justizbehörden Berlin
- Staatsanwaltschaft -
Turmstraße 91
10559 Berlin
Betrifft: Strafanzeige gegen Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit
22.Oktober 2005
Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit stelle ich Strafanzeige gegen Wolfgang Clement, zum Tatzeitpunkt Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Scharnhorstplatz 34-37, 10115 Berlin (Dienstanschrift)
wegen
Volksverhetzung (§130 StGB) sowie Verstoß gegen das Grundgesetz Art.5 Abs.2 ("Schutz der persönlichen Ehre") in Tateinheit mit Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung (§§ 185-187 StGB).
Begründung
Der genannte Bundesminister Wolfgang Clement verantwortet die Herausgabe und öffentliche Verbreitung einer Broschüre des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) mit dem Titel: "Vorrang für die Anständigen - Gegen Missbrauch, "Abzocke" und Selbstbedienung im Sozialstaat" vom August 2005. Auf Seite 10 dieser Broschüre heißt es:
"Ibrahim, ein Sänger aus dem Libanon, bezieht in Ludwigshafen Arbeitslosengeld II. Das neuwertige schwarze BMW-Cabrio, das ihm gehört und vor seiner Wohnung steht, kann er von diesem Einkommen nicht bezahlt haben. (...) Beim Kontrollbesuch jammert Ibrahim dem Prüfer vor, daß das Auto noch aus besseren Zeiten stamme und nur geleast sei. (...) Biologen verwenden für 'Organismen, die zeitweise oder dauerhaft zur Befriedigung ihrer Nahrungsbedingungen auf Kosten anderer Lebewesen - ihren Wirten - leben', übereinstimmend die Bezeichnung 'Parasiten'. Natürlich ist es völlig unstatthaft, Begriffe aus dem Tierreich auf Menschen zu übertragen. Schließlich ist Sozialbetrug nicht durch die Natur bestimmt, sondern vom Willen des Menschen gesteuert."
Ferner behauptete der genannte Wolfgang Clement in einer auf diese Broschüre bezogenen öffentlichen Erklärung, die er seit spätestens 20.10.2005 auf der website des BMWA verbreitete:
"Immer wieder mussten wir in den letzten Monaten Presseberichten entnehmen, wie der Sozialstaat durch Tricks und unwahre Angaben missbraucht wird. Und wir haben recherchiert. (...) Wir haben Anlass anzunehmen, dass die Hemmschwelle für Sozialbetrug gesunken ist (...) Nach diesen Stichproben und Anrufaktionen der Bundesagentur für Arbeit kann vermutet werden, dass die Arbeitslosigkeit derzeit um mindestens 10 Prozent überschätzt wird."
Diese vom Genannten selbst gemachten bzw. zu verantwortenden öffentlich zugänglichen Äußerungen stellen eine ganze Bevölkerungsgruppe, nämlich "mindestens 10 Prozent" aller Arbeitslosen, das sind ca. 500.000 Bürger/-innen der Bundesrepublik Deutschland - in der Lebenswirklichkeit aber alle 2,8 Millionen ALG-II-Empfäner/-innen (siehe unten) - als Betrüger, also Kriminelle hin und mit Parasiten im Tierreich auf eine Stufe. Sie stacheln zum Haß gegen Arbeitslose auf, erfüllen somit den Tatbestand der Störung des öffentlichen Friedens gemäß Urteil des OLG Frankfurt/Main (AZ 2 SS 147/00 vom 15.08.2000) und der Volksverhetzung gemäß Urteil des BVG (AZ 90/241).
Die Stigmatisierung von "mindestens 10 Prozent" der Arbeitslosen als "Abzocker" und "Sozialbetrüger" bringt in der Lebenswirklichkeit alle Arbeitslosen in die unmögliche Lage, ihrer Umgebung nachweisen zu müssen, daß sie nicht zu den Kriminellen gehören. Erstens setzt das ein Grundprinzip unserer Rechtsordnung, die Unschuldsvermutung, de facto außer Kraft. Zweitens ist der einzelne Arbeitslose im praktischen Alltag gar nicht imstande, seine "Unschuld" im Sinne der Clement'schen Pauschalanschuldigungen zu beweisen. Somit setzt der zuständige Bundesminister tatsächlich alle Arbeitslosen dem Generalverdacht der Kriminalität aus.
Der Genannte beruft sich bei seinen diskriminierenden Behauptungen auf stichprobenhafte Anrufaktionen der Bundesanstalt für Arbeit. Diese telefonische Umfrage verstieß in mehrfacher Hinsicht gegen geltendes Recht und war mithin selbst illegal. So wurde sie von einem privat-kommerziellen Call-center durchgeführt (Verstoß gegen das Verbot der Weitergabe personenbezogener Daten an Privatpersonen und kommerzielle Nutzer). Die Anrufe erfolgten zum Teil ohne Belehrung der Angerufenen über die Freiwilligkeit ihrer Angaben, zum Teil wurden Auskünfte sogar mit der Drohung erpresst, Verweigerung ziehe den Verlust von Leistungsansprüchen nach sich. (Zeuge: der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar.) Illegal erhobene Daten können aber grundsätzlich nicht als Beweis für die vom Genannten verbreiteten Anschuldigungen gelten, sind rechtlich irrelevant und fallen strafverschärfend auf den dafür Verantwortlichen zurück. Bestimmte vom Genannten als Mißbrauch gewertete Sachverhalte können auf telefonischem Weg überhaupt nicht beurteilt werden, wie etwa das Vorliegen eheähnlicher Partnerschaften oder das "Aufsplitten" von Bedarfsgemeinschaften.
Die Tat des Genannten ist besonders verwerflich, da sie von einem hohen Repräsentanten des Staates von Amts wegen begangen wurde, der die von ihm diskriminierte Bevölkerungsgruppe selbst erst in diese Lage gebracht hat. Seine Angriffe auf die Menschenwürde aller Erwerbslosen stellen sich so objektiv als Fortsetzung und Krönung ihrer sozialen Ausgrenzung dar und dienen subjektiv zurAblenkung von eigenen Fehleinschätzungen und Versäumnissen des BMWA auf Sündenböcke:
Diese "Kampagne gegen Missbrauch, Abzocke und Selbstbedienung im Sozialstaat" sei auch eine "Reaktion auf die ausufernden Hartz-IV-Kosten", sagte der genannte Bundesminister Wolfgang Clement am 08.10.2005 der Berliner Zeitung.
Wegen der besonderen Verwerflichkeit der Tat und der Schwere ihrer Folgen für die öffentliche und Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Herrn Wolfgang Clement, dringend geboten.
Hochachtungsvoll
Wolf Stammnitz
Mitglied des Rates der Stadt Dortmund
die RN dazu:
Sozialforum zeigt Clement an
Für das Sozialforum Dortmund hat Ratsmitglied Wolf Stammnitz (Die Linke.PDS) Strafanzeige gegen Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement wegen Volksverhetzung, Verstoß gegen das Grundgesetz Art. 5 Abs. 2 ("Schutz der persönlichen Ehre") sowie Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung gestellt.
Die Anzeige nimmt Bezug auf die vom Noch-Bundesminister verbreitete Broschüre "Vorrang für die Anständigen " Gegen Missbrauch, "Abzocke" und Selbstbedienung im Sozialstaat" vom August dieses Jahres.
Mit der Broschüre und seinen öffentlichen Erklärungen dazu stachele der Minister zum Hass gegen Arbeitslose auf und kriminalisiere eine ganze Bevölkerungsgruppe, nämlich laut Ministererklärung "mindestens 10%" der Arbeitslosen, also rund 500000 Menschen, heißt es weiter in der Anzeige.
Quelle: RN vom 25. Oktober 2005
Auszüge aus der Antwort der Berliner Staatsanwaltschaft
Nun haben wir es schriftlich von der Staatsanwaltschaft Berlin: Zur Volksverhetzung fehle es an einem Angriff auf die Menschenwürde. Ein solcher Angriff liege vor, "wenn den angegriffenen Personen ihr ungeschmälertes Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft bestritten und sie als unwertige Wesen behandelt werden (...) Das Menschentum der Angegriffenen muß bestritten, in Frage gestellt oder relativiert (...) werden." Aha. - Und wenn dies beim Vergleich Arbeitsloser mit tierischen Parasiten nicht zutreffen soll, läßt sich daraus nur schließen: Die Staatsanwaltschaft Berlin selbst kann die Angegriffenen nicht für Menschen halten. Denn Menschenwürde haben nun mal nur Menschen! - Soviel zum 67. Jahrestag der Reichspogromnacht...