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Dortmunder Sozialrichterin entscheidet über die Angemessenheit der Höhe der Regelleistung für Erwachsene

Notizen zweier Prozessbeobachter vom 12.11.2009, Sozialgericht Dortmund

Kläger./.ARGE Märkischer Kreis
Az.: S 28 AS XXXXX
13:15 Uhr – 13:40 Uhr

Im Streit standen die Höhe der Regelleistung für Erwachsene (und damit eigentlich das z.Zt. anhängige Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht BVerfG 1 BvL 1/09, BVerfG 1 BvL 3/09, BVerfG 1 BvL 4/09)

Der Verhandlungstermin war sehr kurzfristig, nur zwei Tage nach Postzustellung angesetzt worden. Der juristisch unerfahrene Kläger war nach Ablehnung der Prozesskostenhilfe ohne anwaltliche Vertretung erschienen. Für die Beklagte ARGE Märkischer Kreis erschien Frau Viola Sch

Die Vorsitzende Richterin Frau Dr. Evermann betonte gleich zu Beginn der Verhandlung: „Es gibt keinen Grund nicht zu entscheiden.“ Und: “Die Klage ist entscheidungsreif.“ Nach Meinung der Richterin ist die Höhe der Regelleistung für Erwachsene verfassungskonform. Dabei berief sie sich auf eine ältere Entscheidung des BSG. (Das BSG hatte jedoch nie ernsthaft die Höhe der Regelleistungen hinterfragt, sondern lediglich einen Entscheidungsspielraum der Gesetzgeber bestätigt.)

Der Kläger verwies auf den Prozessverlauf beim Bundesverfassungsgericht am 20.10.2009 (1 BvL 1/09; 1 BvL 3/09; 1 BvL 4/09) und machte deutlich, dass die Richter des höchsten deutschen Gerichts in der Verhandlung erhebliche Bedenken an der Höhe der Regelleistungen für Erwachsene und Kinder geäußert hätten. Die Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichts wird für Januar 2010 erwartet.

Richterin Evermann teilte dem Kläger mit, „dass sie jemanden kenne, der die Meinung vertrete, dass die Regelleistungen für ihn ausreichend seien.“ Der Kläger wurde belehrt, dass es einem Erwerbslosen grundsätzlich zuzumuten sei, Preise zu vergleichen und Sonderangebote zu nutzen. Aber Richterin Evermann gab auch zu erkennen, dass sie selbst die „aktuellen Butter-Preise bei den Billig-Discountern Aldi und Lidl“ nicht kenne. Zitat Frau Dr. Evermann: „Von 325,00 € kann man leben!“

Auffällig war für den Kläger und die beiden Prozessbeobachter, dass die Vorsitzende Richterin im Verlauf der Verhandlung insgesamt dreimal die Höhe der angemessenen Regelleistung mit 325,00 € bezifferte. Der Kläger machte sie beim ersten Mal noch darauf aufmerksam, dass die derzeitige Regelleistung bei 359,00 € läge. Weder die beisitzenden Richter, noch die Beklagtenvertreterin ließen erkennen, den groben Fehler zu bemerken.

Durch geschickte Fragen lenkte die Vorsitzende Richterin den juristischen Laien zu einer Aussage, eine Summe zu benennen, in der die Regelsätze nach dessen Meinung erhöht werden müssten: „Sie hatten in Ihrer Klageschrift keinen genauen Betrag angegeben.“ „Was stellen Sie sich denn an Erhöhung vor?“ Von der Frage überrascht und zu einer Festlegung gedrängt, sagte der Kläger so etwas wie: „50,00 € im Monat mehr.“

Während der Kläger in seiner 14-seitigen Klageschrift noch die einzelnen Komponenten der Regelleistung detailliert aufgeschlüsselt und die Bedarfsunterdeckung nachgewiesen hatte, lies er sich an dieser Stelle dazu verleiten, ebenfalls der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorzugreifen. Allerdings ergänzte er: „Das konnte ich zum damaligen Zeitpunkt auch noch nicht wissen, weil ich nicht wusste, wie das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird!“ Diese spontan genannte Summe von 50,00 € nahm die Richterin später in ihr ablehnendes Urteil auf.

Danach stellte die Vors. Richterin Frau Dr. Evermann den Kläger vor die Wahl: „Entweder Sie ziehen die Klage zurück!“ oder „Wir kommen heute zu einem Urteil!“ Der Kläger bestand auf einem Urteil.

Nun bot die Vors. Richterin einen „Unterwerfungsvergleich“ als Option an. Auf diese Weise würde der Ausgang dieses Verfahrens vom endgültigen Ausgang der Entscheidung des BVerfG abhängig gemacht werden. Aber anders als in einem ähnlich gelagerten Fall vom gleichen Tag wurde dieser Vergleich von der Beklagten abgelehnt und damit verwies sie den Kläger in das juristische Abseits.

Nach der Verhandlung im Gerichtssaal wurde es noch einmal spannend.

So erlaubte sich einer der Prozessbeobachter die beisitzenden Richter Herrn Schumacher und Herrn Witthülser direkt nach ihrer Mit-Entscheidungskompetenz zu hinterfragen. (Immerhin griffen auch diese ehrenamtlichen Richter mit Ihrem Votum einer anhängigen Entscheidung des BVerfG vor.) Er stellte Fragen nach deren Kenntnis hinsichtlich der Verhandlung beim BVerfG am 20.10.2009 und verwies dabei besonders auf Rolle, der Präsidentin des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg, Monika Paulat, die soviel Zivilcourage bewies, dass sie nach Kenntnisnahme der tatsächlichen Berechnungsgrundlagen, nach der Mittagspause ihre vorherige Position widerrief und nunmehr ebenfalls Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze bekundete.

Aber außer dem Hinweis, dass diese Verhandlung die vierte des Tages zum Thema „Angemessenheit der Regelleistung“ sei, ließen die beisitzenden Richter keinerlei Sachkenntnis erkennen. Die Vorsitzende Richterin gestattete den staatlich gesponserten „rumsitzenden Richtern“ auch nicht einen einzigen vollständig selbstständigen Satz zu. Wörtlich sagte sie zu einem der Beiden: „Seien Sie vorsichtig, wer weiß, wo das später zu lesen ist!“ Wie unmündige Kinder  saßen sie da und schwiegen. Die Richterin beantwortete dann freundlich einzelne Fragen.

Auf dem Flur vor dem Gerichtssaal

Nach der Verhandlung, entfernten sich Kläger und Prozessbeobachter aus dem Gerichtsaal. Sichtlich in Eile kamen die Richterin und die Vertreterin der ARGE MK kurz darauf hinterher gelaufen. Richterin zum Prozessbeobachter: „Haben Sie mit Ihrer Handykamera gefilmt? Das dürfen Sie nämlich nicht!“ Kläger zur Richterin: „Wer hat das gesagt?“ Richterin zum Kläger: „Jemand hat das gesagt.“ Daraufhin Frau Viola Sch. zum Prozessbeobachter: „Auch die billigen Handys haben heutzutage eine Videofunktion!“ Der Kläger fragte noch einmal nach: „Wer hat das gesagt“ – Daraufhin die Richterin: „Ich habe das gesagt!“ Die Richterin mit erhobenen Zeigefinger zum Prozessbeobachter: „Sie wissen, dass das in der BRD verboten ist!“

Da stellt doch sich die Frage, wer oder was denn so peinlich an diesem Prozessverlauf gewesen ist, dass es nicht bei YouTube eingestellt werden könnte.

Quelle: E-Mail an das Sozialforum Dortmund

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