1-Euro-Jobber als Streikbrecher gegen VERDI
Osnabrück: Hartz-IV-Empfänger als 1-Euro-Streikbrecher. Unter massivem Polizeieinsatz gegen Verdi-Streikposten eingesetzt. Stadt Osnabrück droht: "Wenn ihr nicht als Streikbrecher ordentlich arbeitet, melden wir das dem Arbeitsamt." Osnabrücker Geschäfte belohnen Streikbrecher mit Warengutscheinen.
Gegen den Streik im Dienstleistungsgewerbe
werden jetzt 1-Euro-Jobber als Streikbrecher eingesetzt. In der
niedersächsischen Stadt Osnabrück müssen Hartz-IV-Empfänger auf Druck
des öffentlichen Arbeitgebers die städtischen Müllwagen fahren. Zu
Wochenbeginn musste dies durch einen massiven Polizeieinsatz gegen die
Streikenden durchgesetzt werden.
Die
Polizei machte den gepressten Streikbrechern den Weg zur Osnabrücker
Abfallsammelstelle frei, in dem sie brutal gegen die Verdi-Streikposten
vorging, die das Werkstor mit Müllwagen und einer Menschenkette
blockierten. Dabei verdrehte die Polizei Gewerkschaftern Gelenke und
Köpfe, Megafone wurden beschlagnahmt. Gegen eine Streikposten
erstatteten die Beamten Anzeige wegen Widerstandes gegen die
Staatsgewalt. Dem Osnabrücker Verdi-Bezirksgeschäftsführer Jürgen Humer
drohte die Polizei mit "Schutzhaft". Auf einer
Protestkundgebungerinnerten Gewerkschafter in Redebeiträgen daran, dass
ein derartiger Polizeieinsatz gegen organisierte Arbeiter in Osnabrück
zuletzt anläßlich der Machtergreifung der Nazis stattfand.
Die offenkundige Zuspitzung im "Klassenkampf von oben" bewertet Wilhelm Koppelmann von der örtlichen Verdi-Streikleitung als Teil eines Generalangriffs auf die organisierte Arbeiternehmerschaft. "Dies ist ein weiterer Versuch die Gewerkschaften in Deutschland klein zu kriegen", so Koppelmann, der auch Vertrauensleutesprecher bei der Osnabrücker Stadtverwaltung und Mitglied der Bundes- und Landestarifkommission des öffentlichen Dienstes ist. Ihn erinnere das alles an Äußerungen Schäubles in den 1980ern, wonach sich die sozialen Widerspüche in Deutschland so zuspitzen werden, dass im Inneren die Bundeswehr eingesetzt werden müsse. Demenstprechend kämpferisch - aber ernüchtert war die Stimmung im Streiklokal "Lagerhalle". Verdi-Mitglieder fragten sich, vor dem Hintergrund der CDU-Bestrebungen die Bundeswehr auch im Inland einzusetzen, ob demnächst bewaffnete Kampfeinheiten der Bundeswehr gegen Streikposten im Marsch gesetzt würden. Wo denn die Reaktion der Linkspartei und der WASG auf die Ereignisse in Osnabrück bliebe, erregte sich ein aufgebrachter Streikposten. Die niederländische Transportarbeitergewerkschaft merkte unterdessen in einer Grußbotschaft an Verdi-Osnabrück-Emsland an, ob der Polizeieinsatz denn das neue bundesdeutsche Streikrecht veranschaulichen solle.
Wilhelm Koppelmann weiß, dass sich bei der
Osnabrücker Stadtreinigung immer mehr nicht-streikende Kollegen
krankmelden. Den als Streikbrechern eingesetzten 1-Euro-Jobber drohten
Vorgesetzte sie "beim Arbeitsamt zu melden, wenn nicht ordentlich
gearbeitet wird." Viele 1-Euro-Jobber hätten gegenüber
Verdi-Stadtreinigern geäußert, sie würden lieber mitstreiken, wenn
"etwas vernünftiges dabei für sie herauskäme". Koppelmann bewertet den
Einsatz der 1-Euro-Jobber im Mülltransport als unverantwortlich. Die
unerfahrenen Arbeitskräfte müssten bei der Schüttung des Mülls in die
Sammelstellen auch per Hand zufassen. "Das ist wahnsinnig gefährlich.
Sie könnten sich lebensgefährliche Verletzungen zufügen." Der Streik
bei der Osnabrücker Stadtreinigung konzentriert sich besonders auf die
Werkstatt des Fuhrparks. Selbst wenn der öffentliche Arbeitgeber noch
mehr Streikbrecher einsetzen würde, verringert sich die Anzahl der
einsatzbereiten Müllfahrzeuge Tag um Tag. Zur Wochenmitte erhöhte sich
die Anzahl der Streikenden in Osnabrück auf 500 Teilnehmer. Betroffen
sind, neben der Müllabfuhr, die Straßenreinigung, Krankenhäuser, Kitas,
Hausmeister und Reinigungskäfte sowie weitere Bereiche des öffentlichen
Dienstes.
Am Donnerstag demonstrierten hunderte Verdi-Streikposten
vor dem Osnabrücker Bekleidungshaus "L und T". Dieter Rauschen, der
Chef von "Lengermann und Trietschke" hatte als Vorsitzender eines
Marketing-Zusammenschlusses von Osnabrücker Unternehmen Warengutscheine
an Streikbrecher der Müllabfuhr verschenkt, weil "diese Mitarbeiter das
Allgemeinwohl über ihr Eigeninteresse stellen". Dazu Wilhelm Koppelmann
von der Streikleitung, "das verstößt klar gegen die
Antikorruptions-Vereinbarung für städtische Mitarbeiter". Osnabrücks
oberster Personalschef des öffentlichen Dienstes, Stadtkämmerer und
Stadtrat Karl Joseph Leyendecker will Verdi auf Schadenersatz
verklagen. Allen städtischen Mitarbeitern, die sich am Streik
beteiligen, droht der CDU-Mann mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen.
Obwohl sich der SPD-Oberbürgermeister Heinrich Fip öffentlich gegen die
Streikenden stellte, sorgt der Polizeieinsatz gegen
Verdi-Gewerkschafter an der Osnabrücker SPD-Basis für heftigen Unmut.
Auch Alice Graschtat, SPD-Landtags- und Rathausabgeordnete äußerte
Verständnis für die Streikenden. Im September sind in Osnabrück
Kommunalwahlen. Dann tritt ein Bündnis aus Linkspartei, DKP und WASG
als linke Konkurrenz zur SPD an.
Im Dienstleistungsstreik will Verdi in Osnabrück den Druck deutlich erhöhen. Verdi-Bezirksgeschäftführer Jürgen Humer drohte, "wir werden weiter richtig Dampf machen. Wir sind noch steigerungsfähig". Gegen die Osnabrücker Unternehmen, die Streikbrecher mit Geschenken belohnen, riefen einzelne Gewerkschafter öffentlich zum Konsumstreik auf. - Richard Grove
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