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Ehrenamt statt 1-Euro-Job? - Diskussionspapier des Bielefelder Arbeitskreises „1-Euro-Jobs und gemeinnützige Organisationen“

Der Arbeitskreis begründet seine grundsätzliche Ablehnung der Ein-Euro-Jobs und setzt dagegen das Konzept zur „Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements“: Dabei geht er von der Prämisse aus, dass es zur Erhaltung einer menschlichen, nicht rein profitorientierten Gesellschaft notwendig ist, den gemeinwohlorientierten Bereich – auch „Non-Profit–Sektor“ oder „3. Sektor“ genannt - zu stärken und ihn in die Lage zu versetzen, die von der Wirtschaft in weiter zunehmendem Maße ‚freigesetzten’ Lohn-ArbeitnehmerInnen als lebende und arbeitende Menschen zu integrieren.



Bielefelder Arbeitskreis „1-Euro-Jobs und gemeinnützige Organisationen“
c/o Bürgerwache e.V. Rolandstr. 16, 33615 Bielefeld,
bi-buergerwache@t-online.de

Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements als Alternative zu 1- Euro-Arbeitsgelegenheiten

I. Das Problem

Seit dem 1.1.2005 werden im Rahmen der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (auch ALG II oder Hartz IV genannt) in großem Umfang so genannte „Arbeitsgelegenheiten“ (auch 1-Euro-Jobs genannt) eingerichtet.

Nach Auseinandersetzung mit den gesetzlichen Vorgaben der Grundsicherung für Arbeitssuchende (§ 16. Abs.3 SGB II) und der gemeinsamen Erklärung des Arbeitsagentur, der Städte- und Landkreise sowie der Wohlfahrtsverbände(1) kommen wir – aus Sicht der gemeinnützig arbeitenden Vereine, in denen wir mitarbeiten - zu der Einschätzung, dass die Einrichtung solcher Arbeitsgelegenheiten abzulehnen ist.

Dazu im Einzelnen:

  1. Die Arbeitsgelegenheiten begründen kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechtes, werden aber gleichwohl als solche verkauft, indem suggeriert wird, die Betroffenen würden einen Lohn von einem Euro pro Stunde zusätzlich zum ALG –II als Entgelt erhalten. Tatsächlich jedoch gibt es weder Arbeitsverträge, noch Lohn, noch Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder andere ArbeitnehmerInnenrechte wie z.B. das Streikrecht.
  2. Auch der eine Euro, den es pro Arbeitsstunde geben soll, ist im Gesetz nicht festgeschrieben. Hier wird nur eine „angemessene Entschädigung für Mehraufwendungen“ d.h. Fahrtkosten, Arbeitskleidung u.ä. garantiert. Die Arbeitsgelegenheit ist also im Gegensatz zu den öffentlichen Verlautbarungen weder eine „Zuverdienstmöglichkeit“ noch ein „Zusatzjob“.
  3. Weder die Dauer der Maßnahme noch die tägliche Arbeitszeit sind im Gesetz bestimmt. Dies soll vielmehr jeweils auf lokaler Ebene nach „Bedarf“ geregelt werden. Betroffene können also durchaus länger oder kürzer als 6 Monate oder 5 Tage pro Woche oder 8 Stunden am Tag beschäftigt werden.
  4. Die Arbeitsgelegenheiten müssen nicht gemeinnützig sein, sondern laut Gesetz nur „zusätzlich“ sein (zu was ?) und „im öffentlichen Interesse liegen“. Damit kann auch ein privates Wirtschaftsunternehmen solche 1-Euro-Arbeitsgelegenheiten einrichten, wenn es erklärt, daß das Ergebnis der Arbeit einem „öffentlichen Interesse“ zugute kommt.
  5. 1-Euro-Arbeitsgelegenheiten bieten auch keine berufliche Perspektive für die Betroffenen, denn es werden keine neuen Arbeitsplätze geschaffen. Vielmehr steht zu befürchten, dass durch die massenweise Einführung dieser Arbeitsgelegenheiten (bundesweit sind derzeit 600.000 vorgesehen) noch existierende Erwerbsarbeitsplätze entfallen werden.
  6. Ab dem 01.01.05 sind die 1-Euro-Arbeitsgelegenheiten nicht mehr freiwillig, d.h. wer dann einen solchen „Job“ ablehnt oder von seinem „Job“ zurücktritt, wird mit 30-%-iger Kürzung der ALG-II-Regelleistung bestraft. Jugendliche bekommen dann gar keine Regelleistung mehr, sondern nur noch Unterkunftskosten und eventuell Lebensmittelpäckchen oder –gutscheine (siehe § 31 SGB II). Diese Sanktionen gelten immer für 3 Monate, auch wenn der/die Betroffene die "Verfehlung" inzwischen wieder gut gemacht hat. Es gibt also aus unserer Sicht keinerlei soziale und arbeitsmarkt-politische Gründe für eine Beteiligung an diesen 1-Euro-Programmen !

Trotzdem ergeben sich für die gemeinnützigen Vereine und Einrichtungen durch Harz IV und die geplante massenweise Schaffung der Arbeitsgelegenheiten Probleme und negative Konsequenzen, die einer genaueren Betrachtung und auch einer Lösung bedürfen: Viele Einrichtungen und Vereine leiden unter akutem Mangel an MitarbeiterInnen, was nicht zuletzt eine Folge der massiven Mittelkürzungen der letzten Jahre im wohlfahrtsstaatlichen Bereich ist. Die Einrichtungen befinden sich deshalb häufig in einer Zwangslage und sehen sich deshalb versucht, 1-Euro-Arbeitsgelegenheiten einzurichten, d.h. in Anspruch zu nehmen. Die ehrenamtliche Mitarbeit Ihrer Mitglieder ist für viele Vereine und Einrichtungen existentiell notwendig. Ein Teil dieser Mitglieder, die aufgrund von Erwerbslosigkeit auf ALG II angewiesen sind, werden sich nun gezwungen sehen, ihr ehrenamtliches Engagement in den Vereinen und Einrichtungen einzuschränken oder aufzugeben, weil sie gezwungenermaßen einer Arbeitsgelegenheit nachgehen müssen. Teilweise geschieht dies auch „freiwillig“, denn bisher wird den Betroffenen von der Politik versprochen, daß sie durch die 1-Euro-Arbeitsgelegenheiten den nicht ausreichenden Betrag zum Lebensunterhalt (= ALG II, das liegt für Erwachsene zwischen 276 und 345 €) wenigsten minimal anheben können. Ähnliches gilt für diejenigen, die bisher einen Nebenverdienst von 165 Euro neben der Arbeitslosenhilfe im Rahmen von Arbeitsverträgen in gemeinnützigen Einrichtungen hatten. Diese Alternative steht zukünftig nicht mehr offen, denn bei ALG II bleiben nur noch 15 % des Nebenverdienstes anrechnungsfrei (hier also 24,75 €), so daß eine 1-Euro-Arbeitsgelegenheit unter Umständen lukrativer erscheint. Gleichzeitig werden die gemeinnützigen Einrichtungen und Vereine von der Politik dahin gedrängt, 1-Euro-Arbeitsgelegenheiten einzurichten. Bisher ist dies hauptsächlich durch Anreize, zum Beispiel die Gewährung von 500 € für jede eingerichtete Arbeitsgelegenheit pro Monat, geschehen. Während dieses Anreiz-Programm jedoch befristet ist, häufen sich die Fälle, in denen gemeinnützige Einrichtungen und Vereine unter Androhung von Zuwendungskürzungen gedrängt werden, ‚ihren Beitrag zum Reformprogramm Harz IV zu leisten’. Dieser Entwicklung, die einer Demontage von gemeinnützigem gesellschaftlichen Engagement gleichkommt, gilt es Alternativen entgegenzusetzen.

II. Die Alternative

Aus den vorgenannten Gründen setzen wir gegen die sanktionierten Arbeitsgelegenheiten das Konzept zur „Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements“: Dabei gehen wir von der Prämisse aus, dass es zur Erhaltung einer menschlichen, nicht rein profitorientierten Gesellschaft notwendig ist, den gemeinwohlorientierten Bereich – auch „Non-Profit–Sektor“ oder „3. Sektor“ genannt (2) - zu stärken und ihn in die Lage zu versetzen, die von der Wirtschaft in weiter zunehmendem Maße ‚freigesetzten’ Lohn-ArbeitnehmerInnen als lebende und arbeitende Menschen zu integrieren. Dies schließt, das sei vorab festgestellt, zwei Aspekte der im SGB II beschriebenen 1-Euro- Arbeitsgelegenheiten von vornherein aus: die Subventionierung nicht-gemeinnütziger Arbeitgeber und den Zwangscharakter. Der gemeinwohlorientierte „Non-Profit-Sektor“ zeichnet sich durch das besondere Zusammenspiel von Erwerbstätigkeit und ehrenamtlicher Tätigkeit aus: „Im Dritten Sektor (sind) ca. 1,4 Millionen Erwerbsarbeitsplätze (...) angesiedelt. Das entspricht einem Anteil von knapp 5 % der Gesamtbeschäftigung. Im Durchschnitt kommen auf drei Beschäftigte (..) zwei ehrenamtlich Tätige. Diese Zahlen skizzieren einerseits die arbeitsmarktpolitische Bedeutung des Dritten Sektors und andererseits seine gesellschaftspolitische Bedeutung als Ort bürgerschaftlichen Engagements, als Ort der Erstellung von öffentlichen, sozialen und Bildungsdienstleistungen, als Ort, an dem Erwerbsarbeit und ehrenamtliche Arbeit zu einer sinnvollen gegenseitigen Ergänzung gelangen, sowie als Ort gesellschaftlicher Reflexion und Integration, als Ort demokratischer Interessenaushandlung und praktischen Engagements im Blick auf ökologische, sozialpolitische und andere relevante öffentliche Fragestellungen.“

Bei der Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements gilt es, beide Formern der in diesem Bereich geleisteten Arbeit gleichermaßen zu stärken,

A) durch die Schaffung neuer Erwerbsarbeitsplätze und B) durch die allgemeine Honorierung des Ehrenamtes:

A) Schaffung neuer Erwerbsarbeitsplätze

Die Möglichkeiten zur Schaffung neuer Arbeitsplätze für Erwerbslose in gemeinnützigen Einrichtungen und Vereinen besteht in Anlehnung an die Praxis der "Arbeit-statt- Sozialhilfe"-Modelle. Diese können aus den Geldmitteln, die zur Umsetzung des SGB II aufgewendet werden, finanziert werden und zwar – gesellschaftlich betrachtet - kostenneutral:

Die durchschnittlich Aufwendungen der ARGE für einen ALG-II-Bezieher betragen etwa:

ALG II Regelleistung und Unterkunftskosten 675 €
Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag + 140 €€
Rentenversicherungbeitrag + 78 €€
Aufwandsentschädigung aus 1-Euro-Arbeitsgelegenheit + 160 €€
Verwaltungsaufwand ARGE + 260 €€
= 1.313 € (= 15.756 € p.a.).€

Mit diesem (steuerfinanzierten) Geld kann ebenso gut ein Arbeitsplatz dauerhaft gefördert und von den gemeinnützigen Vereinen / Einrichtungen um den Arbeitgeberanteil Sozialversicherung (ca. 280 € mtl.) zu einer vereinsüblichen Lohnhöhe aufgestockt werden. So entsteht ein lebensunterhaltssichernder Teilzeitarbeitsplatz mit einem mtl. Nettoeinkommen von 960 bis 990 € (je nach Steuerklasse der/des Erwerbstätigen), über den gleichzeitig 560 € mtl. an die gesetzlichen Sozialversicherung zurückfließen.

B) Allgemeine Honorierung des Ehrenamtes

Die Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements beinhaltet vornehmlich die gesellschaftliche Anerkennung der in vielfältigen Bereichen der Gesellschaft geleisteten ehrenamtlichen Tätigkeiten. Dazu gehört unseres Erachtens auch die Feststellung, daß Erwerbslose, die sich zivilgesellschaftlich engagieren, indem sie ehrenamtlich tätig sind, keiner Eingliederungsmaßnahme in Form einer 1-Euro-Arbeitsgelegenheiten bedürfen, denn all das, was diese Arbeitsgelegenheiten (angeblich) leisten sollen (Förderung der Eigeninitiative und Selbstverantwortung, Qualifizierung und Erhaltung beruflicher Fähigkeiten etc. bis hin zur Prüfung der Arbeitsbereitschaft) leistet ein Ehrenamt allemal. Faktisch muß dies bedeuten, daß kein/e Erwerblose/r, die/der einer ehrenamtlichen Tätigkeit nachgeht, zur Aufnahme einer 1-Euro-Arbeitsgelegenheit aufgefordert bzw. gezwungen werden kann. Zu Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements gehört aber auch die Bereitstellung von finanziellen Ressourcen, um einer entsprechenden Tätigkeit nachgehen zu können. Daher sieht das Konzept die Honorierung aller in gemeinnützigen Vereinen und Einrichtungen geleisteten ehrenamtlichen Arbeit durch eine angemessene Aufwandsentschädigung vor – so wie dies bereits jetzt bei der ehrenamtlichen Arbeit der Schöffen, der Wahlhelfer und nicht zuletzt der Rats- und Ausschußmitglieder in den Kommunen geschieht. Mit dieser Förderung erhalten die Vereine und Einrichtungen die Möglichkeit, den ehrenamtlich tätigen Mitgliedern eine monatliche pauschale Aufwandsentschädigung zahlen. Diese

Entschädigung sollte sich orientieren an dem, was ein Ratsmitglied als Aufwandsentschädigung erhält (in Bielefeld ca. 400 € monatlich). Im übrigen sollte ein jede/r, die/der für sein Ehrenamt eine Aufwandsentschädigung erhalten kann, auf dieses zugunsten ihres/seines gemeinnützigen Vereins oder Einrichtung auch verzichten können, sofern sie/er einer solchen nicht bedarf. Da die ehrenamtliche Tätigkeit – wie oben beschrieben – ebenso wie die 1-Euro Arbeitsgelegenheiten die im SGB II genannten Ziele fördern, halten wir es für angemessen, zur Honorierung des zivilgesellschaftlichen Engagements Erwerbsloser Mittel aus dem Budget für aktivierenden Leistungen nach dem SGB II Verfügung zu stellen: Ein Teil des Geldes, das z.B. in Bielefeld im Rahmen von Harz IV für „aktivierende Maßnahmen in Form von Arbeitsgelegenheiten“ für ALG-II-Betroffene zur Verfügung steht, soll den gemeinnützigen Vereinen dieser Stadt als dauerhafte institutionelle Förderung zur Honorierung der gemeinnützigen ehrenamtlichen Arbeit Erwerbsloser zugeteilt werden. Da es sich nicht um ein Entgelt, sondern eben um eine steuer- und abgabenfreie Aufwandsentschädigung handelt, ist sie bei Erwerbslosen nicht auf die ALG-II-Leistungen anzurechnen. Während die Gelder zur Honorierung des Ehrenamtes für Erwerbslose aus dem Topf für Eingliederungsmaßnahmen nach SGB II aufgebracht werden können, ist zur allgemeinen Finanzierung ein steuerfinanzierter Fond bei den Finanzämtern, die ja bereits jetzt damit befaßt sind, die Gemeinnützigkeit von Vereinen und Einrichtungen zu überprüfen, denkbar. Dies erscheint sinnvoll, weil die Stärkung des gesamten gemeinwohlorientierten Sektors – vom Schwimmbad bis zum Pflegeheim - eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und im Interesse aller liegt.

Bielefeld, im Januar 2005

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Fußnoten:

  1. Gemeinsame Erklärung der Bundesagentur für Arbeit, des Deutschen Städtetages, des Deutschen Landkreistages, des Deutschen Städte- und Gemeindebundes sowie der in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zusammenarbeitenden Spitzenverbände zur „ Gestaltung der öffentlich geförderten Beschäftigung im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II)“, Berlin Oktober 2004, www.arbeitnehmerkammer.de/sozialpolitik
  2. siehe Belitz, Klute, Schneider, Memorandum für eine zukunftsfähige, gemeinwohlorientierte Weiterentwicklung des Dritten Sektors, Herne, Juli 2004, www.dritter-sektor-memo.net : “Insgesamt werden drei gesellschaftliche Handlungsbereiche unterschieden, die als Sektoren bezeichnet werden: Der Bereich der Wirtschaft als 1. Sektor, der staatliche Bereich als 2. Sektor und seit Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts wird der Bereich der Non-Profit-Aktivitäten und ehrenamtlicher Tätigkeiten als eigenständiger 3. Sektor klassifiziert.“
  3. Belitz, Klute, Schneider, aaO
  4. nach Frieder Claus, Was kosten Ein-Euro-Jobs die öffentliche Hand?, Oktober 2004, www.bag-shi.de/fachinfo/sozialpol_infos
  5. Das Budget der ARGE in BIELEFELD für sogenannte aktivierende Leistungen nach dem SGB II umfaßt laut Auskunft des Sozialdezernenten Kähler im Sozialausschuß im Dez. 2004 für 2005 insgesamt ca. 35 Mill. €. Davon könnten auf 1-Euro Arbeitsgelegenheiten entfallen: 7000 x 30 Wochenstunden x 52 Wochen x 1 € = 10.920.000 €, also rund 11 Mill. € – nicht eingerechnet die Kosten für den Verwaltungsaufwand.
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