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Ein-Euro-Jobs: Elf Argumente zur Diskussion der »gemeinnützigen Arbeit« aus Sicht eines Mitarbeiters eines Wohlfahrtverbandes

Der Autor Wolfgang Völker arbeitet im Diakonischen Werk Hamburg. Er hat sich mit den gängigen Begründungen zur Einführung der so genannten »Arbeitsgelegenheiten« auf Basis von Hartz IV (hier § 16 SGB II) auseinander gesetzt und diese kritisch geprüft. Seine Thesen richten sich insbesondere an die Wohlfahrtsverbände als künftigen »Arbeitgebern« für die zwangsverpflichteten »1-Euro-Jobber« sowie an deren Beschäftigte.



Quelle:   "express" 12/04, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit
http://www.labournet.de/express/index.html

Wehret den Anfängen

von Wolfgang Völker

  1. Das Diakonische Werk der EKD hat in seinen Stellungnahmen zum Sozialgesetzbuch II (regelt die neue, steuerfinanzierte Fürsorgeleistung Grundsicherung für Arbeitssuchende/Arbeitslosengeld II und damit die so genannten »1-Euro-Jobs«) die Ausweitung von öffentlich geförderten Beschäftigungsverhältnissen als Mehraufwandsvariante (d.h. kein Arbeitsvertrag, keine Arbeitnehmerrechte, Beschäftigte bleiben im Bezug von Sozialhilfe bzw. künftig Alg II und erhalten für geleistete Arbeit eine »Mehraufwandsentschädigung«) abgelehnt. Hintergrund war die Position, dass öffentlich geförderte Arbeit sozialversicherungspflichtige und rechtlich gleich gestellte Arbeit sein muss. Wenn bezahlte Arbeit soziale Integration in die Gesellschaft leisten soll, dann muss sie auch den mit Rechten und Vertrag verbundenen Arbeitnehmerstatus ermöglichen. Ein Verzicht auf diese Seite von Arbeit ist ein sozialpolitischer Rückschritt in vormoderne Zeiten.
  2. Die Mehraufwandsvariante gemeinnütziger Arbeit, der kein Arbeitsvertrag und keine Sozialversicherungs-pflicht zugrunde lag, wurde bisher im Wesentlichen aus zwei Motiven eingesetzt: Erstens Überprüfung der Arbeitsbereitschaft der arbeitslosen Hilfeberechtigten. Zweitens: Erprobungsmöglichkeit in individuellen Fällen, in denen aus biografischen Gründen andere Einstiegsmöglichkeiten in Erwerbsarbeit nicht zugestanden oder auch vom Sozialhilfeberechtigten nicht gewollt wurden.
  3. Heute wird die Ausweitung dieser Variante der gemeinnützigen Arbeit als quasi einziges faktisches Angebot öffentlich geförderter Arbeit für Alg II-Berechtigte aus vier Motiven eingesetzt: Erstens: Durchsetzung des Prinzips »Kein Existenzminimum/Keine Sozialleistung ohne Gegenleistung (workfare)«. Zweitens: Überprüfung der Arbeitsbereitschaft der Alg II-Berechtigten. Drittens: Ausweitung der Niedrig-»lohn«beschäf-tigung. Viertens: Mehraufwandsvariante ist billiger als andere Formen öffentlich geförderter Beschäftigung.
  4. Das Argument der Billigkeit ist dabei äußerst kurzfristig gedacht, nimmt man die Zielsetzung einer Armutsüberwindung durch Erwerbsarbeit ernst. Die Alg II-Berechtigten bleiben im Rahmen der Mehraufwandsvariante im Leistungsbezug. Eine Überwindung dieses Status findet gerade nicht statt. Die minimale Einbeziehung in Teile der Sozialversicherung stellt langfristig ebenfalls keinen Beitrag zur Überwindung von Armut und Hilfebedürftigkeit dar. Auch die Chance, ein Einkommen zu erzielen, dass zur eigenständigen Sicherung der Mietkosten ausreicht, ist auf dieser Basis nicht gegeben.
  5. In der Diskussion um die Grundsicherung für Arbeitslose war es immer ein altes und starkes Argument gewesen, die SGB III-Leistungen der Arbeitsförderung wie z.B. Weiterbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen (zu denen arbeitslose Sozialhilfeberechtigte keinen Zugang hatten) für alle Arbeitslosen zu öffnen und die Spaltung in die Zugangsberechtigten (Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilfebeziehende) und die Nicht-Zugangsberechtigten (erwerbslose Sozialhilfebeziehende) zu überwinden. Heute wird eine neue Spaltung durchgesetzt. Für Alg II-Beziehende wird es faktisch nur noch die Mehraufwandsvariante als öffentlich geförderte Arbeit geben. Die Arbeitsförderinstrumente des SGB III, die eine bessere sozial- und arbeits-rechtliche Position bieten als die SGB II-Leistungen, bleiben ihnen faktisch verschlossen. Das ist das Gegenteil der Öffnung des SGB III für alle Erwerbslosen. Alg II-Berechtigten stehen SGB III-Leistungen vom Gesetzestext her nur als Kann-Leistungen offen, faktisch ergibt sich mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ein Ausschluss von Leistungen nach dem SGB III. Eine Ausnahme hiervon werden wohl nur diejenigen bilden, die Alg II ergänzend zur Versicherungsleistung Alg bekommen, d.h. Erwerbslose, deren Versicherungsleistung Arbeitslosengeld unter dem mit dem ALG II definierten Existenzminimum liegt. Den Alg II-Erwerbslosen wird also keine Erwerbsarbeit mehr angeboten, sondern die Pflicht auferlegt, in einem rechtlich prekären Status eine Gegenleistung für das Alg II zu erbringen. Leistungsberechtigte nach dem BSHG (Bundessozialhilfegesetz) hatten da bessere Perspektiven, da man ihnen tarifierte, sozialversicherungspflichtige Arbeit statt Sozialhilfe anbieten konnte. Es lässt sich hier ein auffälliger Widerspruch feststellen zwischen Aussagen – z.B. auch der Bundesagentur für Arbeit –, dass Arbeitsgelegenheiten als Mehraufwandsvarianten vom SGB II her gedacht allenfalls nachrangig sein sollen, und der Praxis von Agenturen und arbeitsmarktpolitischen Akteuren vor Ort, die die Mehraufwandsvariante zur dominanten oder alleinigen Art der öffentlich geförderten Beschäftigung machen.
  6. Die Mehraufwandsvariante systematisch und in quantitativ großem Umfang als zusätzliche Arbeit von letztlich allen Alg II-Beziehenden zu verlangen, spricht allen Kenntnissen Hohn, die über die Ursachen bekannt sind, weshalb Menschen langzeitarbeitslos sind und werden. Jemand, der aufgrund des Lebensalters, des Geschlechts, gesundheitlicher Beeinträchtigung oder weil er in der falschen Region wohnt, langzeitarbeitslos ist, braucht keine Arbeitserprobung in der Mehraufwandsvariante, sondern er braucht einen – auch mit öffentlichen Mitteln finanzierten – Erwerbsarbeitsplatz, der seine Existenz sichert. So lautet das Argument der Diakonie und anderer für die Notwendigkeit eines dauerhaft öffentlich geförderten Arbeitsmarktes. Der Versuch, erwerbslose Bürgerinnen und Bürger in den jetzt diskutierten Größenordnungen in gemein-nützige, zusätzliche Arbeit zu drängen, ist das Eingeständnis, dass der Markt nicht in der Lage ist, die Nachfrage nach ausreichend bezahlter Erwerbsarbeit zu befriedigen. Nur wird in diesem Konzept der sozial- und arbeitsmarktpolitische Fehler gemacht, keine neuen regulären Arbeitsplätze mit öffentlichen Mitteln zu finanzieren. Wenn die Tätigkeiten für gemeinnützige Arbeit in gesellschaftlich und sozial sinnvollen Aufgabenbereichen liegen, warum sollen sie dann zu so prekären Bedingungen geleistet werden?
  7. Wenn die Wohlfahrtsverbände ihre sozialanwaltliche Funktion für von Armut und Ausgrenzung bedrohte BürgerInnen und soziale Gerechtigkeit längerfristig wahrnehmen wollen, dann können sie sich nicht als Branche für 1-Euro-Jobs zur Verfügung stellen. Sie würden »working-poor« beschäftigen. Selbst wenn davon ausgegangen werden kann, dass viele Arbeitslose solche Tätigkeiten übernehmen, weil sie dann mehr Geld in der Tasche haben und/oder etwas aus ihrer Sicht Sinnvolles tun können, bleibt das sozialpolitische Problem bestehen, dass es sich hier um diskriminierte Arbeit handelt: die gesetzliche Verpflichtung und die Sanktionsdrohungen im Hintergrund, der fehlende Vertrag, der beschnittene Einbezug in die Sozialversicherung. Wenn Diakonie, Kirche und Freie Wohlfahrtspflege hier nicht kritisch bleiben, droht Verlust an Glaubwürdigkeit.
  8. Das immer wieder geäußerte Argument, dass die Alg II-Berechtigten »mehr Geld auf der Hand« haben als ohne Mehraufwand bzw. mehr Geld in der Hand haben als im Rahmen von z.B. ABM im un- oder gering-qualifizierten Bereich (900 und 1000 Euro Pauschale) ist oberflächlich betrachtet richtig. Diese Betrachtungsweise dürfte auch bei denen vorherrschen, die zur Übernahme von 1-Euro-Jobs von sich aus bereit sind. Sozialpolitisch befindet man sich aber in der Falle einer Argumentation, die die Diakonie immer kritisiert hat. Denn alle Argumentationen, die jetzt die Einkommen von 1-Euro-Arbeitsgelegenheiten mit (niedrigen) Erwerbseinkommen vergleichen, setzen das staatlich gewährte Existenzminimum plus die Mehraufwandsentschädigung einem Lohneinkommen, für das gearbeitet werden muss, gleich. In dieser Rechnung gilt die Summe aus Alg II + Mehraufwand + Kosten der Unterkunft + Beitrag RV + Beitrag GKV+ Beitrag PV einem Einkommen aus Lohnarbeit vergleichbar. Solche Vergleiche verkennen den Charakter der sozialstaatlichen Absicherung des Existenzminimums. Dieses wird aufgrund von materieller Bedürftigkeit gewährt und muss nicht erst »verdient« werden. Die derzeit geführte neuerliche Debatte um ein Lohnabstandsgebot selbst für 1-Euro-Jobs weist auf zwei Gefahren hin. Es ist erstens keineswegs ausgemacht, dass die Mehraufwandsentschädigung nicht noch verringert wird. Zweitens wird bei einem Regierungswechsel zu CDU und CSU sicherlich zur Nachbearbeitung von Hartz IV auf das Existenzgrundlagengesetz zurückgegriffen, das als Alternative zu Hartz IV in den Bundestag eingebracht worden war. Darin ist eine Pflicht zur Ausübung von Arbeitsgelegenheiten vorgesehen, wenn keine andere Arbeit gefunden werden kann. Für diese Arbeiten ist keine Mehraufwandsvergütung vorgesehen. Wenn jetzt Arbeitsgelegenheiten zur Verfügung gestellt werden und Einrichtungen mit diesen Arbeitsgelegenheiten kalkulieren, wird ein späterer Rückzug daraus (sozial)politisch nicht leichter. Man hat sich dann schon mit dem Prinzip der Pflichtarbeiten verstrickt.
  9. Die Ausweitung der Mehraufwandsvariante gemeinnütziger Arbeit im sozialen Bereich hat mindestens drei Bedrohungspotenziale für die Arbeit in diesem Bereich: für die tariflichen Strukturen, für die Qualität und Qualifikation der sozialen Arbeit sowie für die Freiwilligenarbeit. Auch die Argumentationen gegen Pflicht- und Zwangsdienste ließen sich kaum mehr aufrecht erhalten. Die Pressemitteilung des BMWA (Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit) vom 18. August 2004 benennt als Beispiel für gemeinnützige und zusätzliche Arbeit »soziale Betreuungsarbeiten in der Altenpflege und Kinderbetreuung (...) wenn sie zusätzlich zu den Aufgaben erbracht werden, die die normalen Altenpflegekräfte und Erzieherinnen nicht leisten können.« Mit dieser Definition ist die Tür geöffnet, alle Arbeiten, die von Kostenträgern nicht mehr übernommen werden, in gemeinnützige, zusätzliche Arbeitsgelegenheiten zu verwandeln. Eine Verdrängung bisheriger regulärer Arbeit ist so nicht mehr ausgeschlossen. Hier ist ebenfalls auf einen auffälligen Widerspruch hinzuweisen. Das SGB II stellt an Arbeitsgelegenheiten die Anforderung, dass sie für die Eingliederung in Arbeit erforderlich sein sollen (§ 3 SGB II). Wenn die Arbeitsgelegenheiten denn tatsächlich zusätzlich sind, dann gibt es kein Pendant dafür auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und ihre Erforderlichkeit für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt ist nicht mehr nachzuvollziehen. Für die Bereiche, in denen z.B. kirchliche und diakonische Träger freiwilliges Engagement von Bürgerinnen und Bürgern mobilisiert haben, wäre die Öffnung für 1-Euro-Jobs fatal, denn man hätte es dann mit zwei Kategorien von Freiwilligen zu tun: den freiwillig Freiwilligen und den im Rahmen einer Arbeitsverpflichtung »Freiwilligen«, die dann nicht mehr so genannt werden können.
  10. Aus all diesen Argumenten sollte der Schluss gefasst werden, sich nicht als »Arbeitgeber« für die Mehraufwandsvariante der gemeinnützigen Arbeit nach § 16 (3) SGB II zur Verfügung zu stellen. Stattdessen könnte Diakonie und Freie Wohlfahrtspflege sozialpolitisch und gesellschaftlich dafür eintreten, mehr öffentliche Mittel für als sinnvoll erkannte Tätigkeiten zur Verfügung zu stellen und damit reguläre Arbeitsverhältnisse zu finanzieren. Gleichzeitig wäre – neben einer qualifizierten Beratung für Betroffene – eine Initiative zur begleitenden Bewertung der Umsetzung des SGB II und daraus abgeleitete Reformvorschläge eine sinnvolle Aufgabe der Wohlfahrtsverbände. Darin enthalten sein sollte die Forderung, öffentlich geförderte Arbeitsplätze wieder im vollen Umfang sozialversicherungspflichtig zu machen, wie das in anderen mit öffentlichen Mitteln subventionierten Arbeitsmärkten die Regel ist.
  11. In der Realpolitik wird den bisher aufgeführten Argumenten weniger Gehör geschenkt. Allerdings lässt sich immerhin feststellen, dass Kriterien formuliert werden, die bei der Etablierung von 1-Euro-Arbeitsgele-genheiten beachtet werden sollen. Der Katalog reicht von Freiwilligkeit, Auswahlfreiheit der Erwerbslosen und Träger über verbindliche Qualifikationsanteile, Beratung und Begleitung, Zahlung der Fahrtkosten, Weiterzahlung des Mehraufwands bei Krankheit, Mitbestimmung von Mitarbeitervertretungen/Personalvertretun-gen bis zur Einhaltung der Zusätzlichkeit u.a. mit der Forderung, dass Träger, die Arbeitsgelegenheiten anbieten, ihre aktuellen Stellenpläne offen legen. Selbst wenn die Wohlfahrtsverbände diese Bedingungen für ihren Bereich und den ihrer Mitgliedseinrichtungen durchsetzen könnten, blieben noch folgende Bedenken: Das Sich-Einlassen und die Nutzung der Arbeitsgelegenheiten befördert ihre Legitimation und Etablierung und erschwert die sozialpolitische Kritik daran. Es erschwert auch das Engagement für Alternativen zur geplanten Praxis. Sind die 1-Euro-Jobs mal in größerem Maßstab etabliert und werden langfristig eingesetzt, so arbeiten die Verbände aktiv mit an dem, was sie vor kurzem noch kritisiert haben: Ausweitung von Pflichtarbeit und Mehraufwandsvariante. Je länger diese Praxis andauert, desto fragwürdiger wird dann wohl auch das Argument der »Zusätzlichkeit«. Letztlich wird dann doch billige Arbeitskraft für notwendige Aufgaben genutzt. Die Durchsetzung von o.g. Kriterien für die Beschäftigung bei Wohlfahrtsverbänden bzw. im sozialen Bereich bedeutet unter der Hand auch eine soziale und moralische Sortierung der Alg II-Berechtig-ten. Die einen sind für die Arbeiten zu den weicheren Bedingungen geeignet, die anderen sind den härteren Bedingungen und Sanktionsdrohungen ausgesetzt (»Saubere Stadt« o.ä.). Insgesamt sind solche Kompromisse Teil einer deutlichen sozialpolitischen Niederlage.
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