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Ein-Euro-Jobs: Gegenwehr ist möglich

In Berlin finden regelmäßig Betroffenversammlungen von Ein-Euro-JobberInnen statt, um nach Möglichkeiten der Selbstorganisation und des Widerstands zu suchen. Die Situation bez. der "Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung" wird bilanziert, Forderungen werden diskutiert, Aktionen geplant. --- Berichte aus "junge Welt" zu den Treffen



-->   Berliner Betroffenversammlung von Ein-Euro-JobberInnen Anfang April   -   Forderung nach Abschaffung des Arbeitszwangs und jeglicher Sanktionen gegen ALG-II-Bezieher, die »Arbeitsgelegenheiten« ablehnen; nach Einführung eines öffentlichen Beschäftigungsregisters für alle Ein-Euro-Jobs, um Mißbrauch zu verhindern; nach Anhebung der ALG-II-Gesamtleistungen auf 938 Euro, also die offizielle Armutsgrenze, Umwandlung der Ein-Euro-Jobs in reguläre, sozialversicherungspflichtige und öffentlich geförderte Stellen bei gleichzeitiger Durchsetzung eines Mindestlohns von zehn Euro.   -   Am 20. Mai bundesweiter Aktionstag gegen Zwangsarbeit.   -   Bericht von Thomas Konicz in "junge Welt" vom 08.04.05 (externer Link)

-->   Zweites Berliner Treffen von Ein-Euro-Jobbern: Ein-Euro-Job als Strohhalm?   -   Suche nach Widerstandsformen und deren Finanzierung   -   Bericht von Hans Springstein in "junge Welt" vom 22.12.04



Bericht vom ersten Berliner Treffen

Quelle: junge Welt vom 24.11.2004

Adresse: http://www.jungewelt.de/2004/11-24/015.php

von: Hans Springstein

Angelika Wernick, eine der vielen tausend erwerbslosen Akademikerinnen in der Hauptstadt, gehört zu denjenigen, die von der zuständigen Arbeitsagentur schon vor dem offiziellen Start am 1. Januar einen sogenannten Ein-Euro-Job zugewiesen bekommen haben. Als »Bürofachkraft« sollte sie im Bereich Umweltforschung Wissenschaftlern bei der Arbeit helfen, Vollzeit und für 1,50 Euro pro Stunde. Die Sozialforscherin weigerte sich, diese im offiziellen »Hartz IV«-Neusprech als »Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung« bezeichnete Zwangsarbeit anzunehmen. Noch bis zum Jahresende ist die Annahme von Ein-Euro-Jobs freiwillig.

Ihre eigene Erfahrung brachte sie auf die Idee, ein Treffen von Ein-Euro-Jobbern im Berliner Stadtbezirk Kreuzberg zu organisieren. Gemeinsam mit der Berliner Kampagne gegen Hartz IV, dem Berliner Sozialforum und dem Berliner Arbeitslosenzentrum wurde eine Veranstaltung vorbereitet und am Montag in einem Kulturzentrum durchgeführt.

Druck auf Arbeitslose

Der große Andrang überraschte die Organisatoren – schließlich war die Teilnahme an sozialen Protesten in den letzten Wochen stark rückläufig. Aber offensichtlich besteht bei vielen Betroffenen das Bedürfnis, konkrete Informationen zu ihren individuellen Rechten zu erhalten. Doch das konnte am Montag nur bedingt geleistet werden, da sich erst ab Januar zeigt, wie »Hartz IV« umgesetzt wird. Erst dann könne auch geprüft werden, welche juristischen Schritte möglich sind, wie Corinna Genschel vom Berliner Sozialforum erklärte.

Sicher sei, daß mit dem Arbeitslosengeld (ALG) II und der Zwangsarbeit für dessen Bezieher die sozialen und Grundrechte der Betroffenen verletzt werden. Es werde nicht nur das Sozialstaatsprinzip aufgegeben, sagte Angelika Wernick, die in der Berliner Hartz-Kampagne aktiv ist. Ab 1. Januar gelte wieder: »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen«, da das ALG II nicht zum Leben reicht, und die sogenannten Mehraufwandsentschädigungen auch nicht die Kosten der von Zwangsarbeit Betroffenen deckten. Die Arbeitslosen würden mit den Regelungen selektiert in Arbeitsfähige und -willige, in zeitweise Arbeitsunfähige und solche, die nicht arbeiten können oder wollen. Die Grundrechte der Betroffenen wie die freie Berufswahl und das Recht auf Vertragsfreiheit würden verletzt, da ihnen die Kürzung des ALG II – das im Westen 345 Euro und im Osten 331 Euro plus »angmessener Miete« beträgt – droht, wenn sie eine »Arbeitsgelegenheit« ablehnen.

Schon jetzt werde Druck auf Arbeitslose ausgeübt, Ein-Euro-Jobs mit mit einem Umfang von 15 bis 30 Stunden pro Woche anzunehmen, so Wernick. Das geschehe durch irreführende Zuweisungen der Arbeitsagenturen, bestätigte eine andere arbeitslose Akademikerin. Das entsprechende Schreiben der Behörde, das sie bekam, habe den bisherigen Aufforderungen, sich bei einer potentiellen Arbeitsstelle vorzustellen, geglichen. Sie habe sich »umgehend vorstellen« sollen und sei nicht darauf hingewiesen worden, daß es sich um einen Ein-Euro-Job handelt, den sie noch ablehnen kann. Die Arbeitsagentur, bei der die Akademikerin bisher als »überqualifiziert« eingestuft wurde, habe sie zu Hilfsarbeiten in einem Berliner Frauenprojekt aufgefordert. Die Tätigkeit sei nicht genau beschrieben worden, die genannten Arbeitsfelder reichten von Küchenhilfsdienst über Verwaltungsarbeit bis zu Reinigungsaufgaben. »Mir wurde eine Qualifizierung zur Hilfsarbeiterin angeboten«, sagte die Frau, nachdem die Agentur ihr bisher keinerlei Fortbildungsmaßnahmen offeriert habe.

Sie bestätigte damit Befürchtungen, daß mit den Ein-Euro-Jobs versucht wird, den drastischen Personalabbau in öffentlichen und sozialen Einrichtungen auszugleichen. Nachdem der »Sparkurs« soziale Dienste und Projekte, Kindertagesstätten, Schulen und selbst Krankenhäuser bedroht, sollen nun Langzeitarbeitslose zwangsverpflichtet werden, diese am Leben zu halten. »Der Phantasie der Kommunen und Verbände sind keine Grenzen gesetzt, wenn es um die Einrichtung von Ein-Euro-Jobs geht«, warnte Wernick. Es würden keine neuen Arbeitsplätze entstehen, statt dessen Konkurrenz zu bisherigen regulären Stellen geschaffen, bestätigte auch Ralf Rippel von der Gewerkschaft IG BAU.

Bescheide anfechten

»Gegenwehr ist möglich«, betonte auf der Versammlung Anne Alex von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen. Sie forderte die von Zwangsarbeit Betroffenen auf, genau die Bedingungen der Tätigkeiten zu prüfen, die sie annehmen sollen. Das schließe auch den Kontakt zu den Betriebsräten der jeweiligen Einrichtungen ein. Die Arbeitsagenturen müßten dem Gesetz nach nachweisen, daß eine Reihe von Kriterien bei der Tätigkeit eingehalten werden, erklärte Alex. Jeder ALG-II-Bescheid solle mit einem Widerspruch beantwortet werden, ebenso die Zuweisung zur Zwangsarbeit.

In der Versammlung zeigte sich viel Enttäuschung und Wut der Betroffenen über das, was ihnen von der herrschenden Politik zugemutet wird. Nur ein Teilnehmer stand auf und meinte, es sei doch alles nicht so schlimm. Es könne »mehr erreicht werden«, wenn mit der Situation »konstruktiv« umgegangen werde, wandte sich der Mitdreißiger gegen die »aggressive« Stimmung im Saal. Sogar von »positiven Erfahrungen« redete er, ohne diese jedoch genauer zu erläutern.

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