Benutzerspezifische Werkzeuge
Sie sind hier: Startseite Soziale Lage / Sozialpolitik Erwerbslos / Hartz ... Ein-Euro-Jobs Kirche klärt zwar über ihre Rolle im Faschismus auf, aber…

Kirche klärt zwar über ihre Rolle im Faschismus auf, aber…

Unheil der Zwangsarbeit wird wieder belebt

Als bekannt wurde, dass die Diakonischen Werke und die Evangelische Kirche zur Nazizeit Zwangsarbeiter beschäftigt hatten, befanden sich ihre Schafe in heller Aufregung. Der damalige Leiter des Diakonischen Werkes im Rheinland, Reinhard Witschke, fühlte sich beschämt, der damalige Präses Kock forderte Aufklärung. Denn das Ausmaß war erheblicher als angenommen. Für die wissenschaftliche Aufklärung wollte man 5 Mio. Euro ausgeben, für die Entschädigung der Zwangsarbeiter noch mal 10 Mio. Die Aufklärung ist erfolgt, die Scham scheint indessen verflogen. Grund genug, heute wieder nachzuschauen.

Unheilvolle Geschichte
1930 hatten die meisten Länder das "Übereinkommen über Zwangs- und Pflichtarbeit" abgeschlossen. Danach war Zwangsarbeit jede "unfreiwillige Arbeit oder Dienstleistung unter Androhung eines Übels". Doch Deutschland unterzeichnete dieses Übereinkommen nicht.

In den 1930er Jahren wurde erstmals für Arbeitslose der so genannte Arbeitsdienst als Zwangsmaßnahme eingeführt. In ihrer Ausgabe 48 von 1931 beklagte sich die "Arbeiter-Illustrierte-Zeitung",  "...dass es eine Legende sei von der Freiwilligkeit der Arbeitsleistung, die die bürgerlichen Blätter nicht hoch genug preisen können, obwohl man schwerlich von freiem Willen  sprechen kann, wenn die Ursache für solchen Hungerlohn zu  schuften nichts anderes ist als die Unterstützungssperre ...".

Im Jahre 1933 wurde die freie Berufswahl abgeschafft. Und es sollte 1935 noch schlimmer kommen, als Adolf Hitler den "Reichsarbeitsdienst" sowie das "Gesetz zur Verringerung der Arbeitslosigkeit" vorstellte. Und das las sich so: "Deutsche Staatsangehörige können vom Präsidenten der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung für eine  begrenzte Zeit verpflichtet werden, auf einem bestimmten ihnen  zugewiesenen  Arbeitsplatz Dienste zu leisten oder sich einer  bestimmten beruflichen  Ausbildung zu unterziehen." Für das Heer der Arbeitslosen schaffte Hitler das Arbeitsrecht und Tarifrecht kurzer Hand ab. Zugleich wurde zur Anheizung der Stimmung das "Völkische" bedient, dass alles ausgrenzte, was nicht "arisch" und auf Linie war.

Damals hieß es: "Denn du bist Deutschland". Der Begriff der Asozialen für angebliche "Drückeberger" wurde erfunden. Es entstand ein Klima von Denunziation und Verdächtigung. Diese gesellschaftlichen Bedingungen haben die Kirchen genutzt, um ebenfalls im großen Stil Zwangsarbeiter zu beschäftigen. Es wird geschätzt, dass es im Nazi-Deutschland 12 Mio. Zwangsarbeiter gegeben hat. Davon mussten mindestens 15.000 in kirchlichen und diakonischen Einrichtungen in den Bereichen Landwirtschaft, Hauswirtschaft, in Kliniken, im Gartenbau, in Heimen und in Pfarrfamilien Zwangsarbeitsdienste leisten. Die Kirche wurde mitschuldig an der Zufügung von Zwang, Entmündigung und Erniedrigung - vor allem an jüngeren Menschen. Im Bereich der Kirche wurde nicht weniger diskriminiert als anderswo.

Nahtlose Tradition
Nun befinden wir uns am Ende des ersten Jahres von "Hartz IV". Es sollen Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden, die im öffentlichen Interesse liegen und zusätzlich sind. Man will den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zum Arbeitslosengeld II eine  angemessene  Entschädigung für Mehraufwendungen zahlen, ohne ein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts zu begründen. Es war die Erfindung des 1-Euro-Job, ein Kombilohn wie 1935. Und damit hat die damalige rot-grüne Koalition mit Unterstützung von CDU und FDP nahtlos an die unheilvolle Vergangenheit angeknüpft.

Der erforderliche Druck wird  durch Eingliederungsvereinbarungen ausgeübt, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen. Denn danach werden Erwerbslose unter Androhung der Kürzung oder des Entzugs der Unterstützung in 1-Euro-Jobs gezwungen. Inzwischen sind von 400.000 1-Euro-Jobbern über 140.000 aus der Statistik verschwunden, und keiner weiß wo sie sind und wie sie existieren. Doch heute heißt es nicht Arbeitsdienst und Zwangsarbeit, sondern Arbeitsgelegenheit. Die Ausgrenzung hat Methode. Ein Minister und die vulgären Medien dürfen Erwerbslose als "Schmarotzer" beschimpfen. Auch heute heißt eine Aktion "Du bist Deutschland". Und wer das nicht so sieht, gehört nicht dazu. Doch künftig kann von der neuen schwarz-roten Regierung unter Kanzlerin Merkel nur schlimmeres erwartet werden. Sie will die Zahl zwangsarbeitender "Kombilöhner" deutlich ausbauen. Dieter Althaus (CDU) machte kürzlich klar "...dass Hartz IV nur der Anfang ist."

Die Scham scheint verflogen
Indessen scheint die Scham Vergangenheit. Während von Kirchenkreisen nach außen verkündet wird, dass Zwangsarbeit unter anderem das Vorenthalten des gerechten Lohnes bedeutet, werden im eigenen Hause andere Tatsachen geschaffen. Im großen Stil beschäftigen gerade Caritas und Diakonie erneut ca. 14.000 moderne Zwangsarbeiter für einen Euro Aufwandsentschädigung. Besonders unappetitlich dabei ist, dass man sich dadurch saniert, indem man zusätzlich auch noch bis zu 500 Euro für jeden 1-Euro-Jobber monatlich als "Overhead-Kosten" von der Arbeitsagentur annimmt. Dafür werden den Erwerbslosen so genannten Qualifizierungen in Arbeit zugemutet, die es im Anschluss nicht gibt. Auf die Entsorgung aus Existenz sichernder Arbeit und die Demütigung erfolgt die Stigmatisierung durch christliche Lebenshilfe und die Einweisung in 1-Euro-Jobs. Die Diakonie Michaelshoven bei Köln verkündet beispielsweise stolz, dass "Qualifizierung und Integration nach dem Prinzip der Ganzheitlichkeit und dem didaktischen Konzept der Handlungsorientierung erfolgen". Es wird von einer passgenauen fachlichen Förderung in nahezu allen Tätigkeitsbereichen auf konkrete Arbeitsplätze gesprochen. So macht man eben sich selbst was vor in Zeiten, wo Arbeit mehr und mehr abgeschafft wird.

Trotzdem werden ganze Teams von Psychologen, Sozialpädagogen und Ärzten mit der Brutalität der sanften Gewalt auf die "kranken" Erwerbslosen losgelassen. Man ist stolz, dass dieses Konzept vielfach erprobt ist, die Erwerbslosen zu heilen, deren einzige Krankheit es ist, keine Existenz sichernde Arbeit mehr zu haben und die deshalb zwangsweise dem Verwertungsinteresse einer immer gnadenloseren Vermarktungsgesellschaft angepasst werden. Und nicht nur das: Die Beschäftigung von 1-Euro-Jobbern in der Diakonie Michaelshoven hat dazu geführt, dass in anderen Organisationen Arbeitsplätze bedroht sind, die 1-Euro-Jobber ablehnen, wie z.B. die Lebenshilfe e.V. in Köln. Hier musste allein in den schulbegleitenden Diensten 12 Mitarbeitern gekündigt werden.

Natürlich hatte Zwangsarbeit unter dem Naziregime ganz andere Ausmaße. Die Diakonie stellt jedoch wieder eine Angst machende Nähe dazu her. Während damals die Zwangsarbeit im Wesentlichen der Kriegsvorbereitung diente, hat sie heute Lohndrückerei und die Zerschlagung der solidarischen Gesellschaft zum Ziel. Mit scheinbarer Nächstenliebe macht sich die Kirche erneut zum Büttel der Politik und handelt damit im Interesse des globalisierten Neoliberalismus.

Nach einem Bericht der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in NRW vom März 2005 gibt es bei den kirchlichen Trägern nur vereinzelt eine skeptische Einstellung zu den "Arbeitsgelegenheiten". Man hat keine sozialethischen Probleme. Das muss sehr nachdenklich stimmen. Im Geleitwort zu dem jetzt erschienenen Buch  „Zwangsarbeit in Kirche und Diakonie 1939 – 1945“ schrieben der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, und der Präsident des Diakonischen Werkes der EKD, Jürgen Gohde am 18.November: „Um den Betroffenen zumindest teilweise und wenigstens im Nachhinein Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, müssen wir ihr Schicksal in all seinen Aspekten zur Kenntnis nehmen und die Erinnerung daran wach halten.“

Es wird Zeit, dass die Kirche alle Aspekte moderner Zwangsarbeit zur Kenntnis nimmt und sich erinnert, damit sie ihr Geleitwort nicht irgendwann wiederholen muss.

Von Almut von Rickmann-Werder

Quelle: Neue Rheinische Zeitung, Dezember 05

Artikelaktionen