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Ein-Euro-Jobs in Hamburg: Schlimmer als im Knast

Anleitung? Fehlanzeige. Lob? Keins. Förderung? Null. – Für ein Euro die Stunde bei der Beschäftigungsgesellschaft »hamburger arbeit«

Aus "junge Welt" vom 13.11.04, von Tammo von der Ley

Der größte Beschäftigungsträger Hamburgs, die »hamburger arbeit«, soll Sozialbezieherinnen und -beziehern den Wiedereinstieg in das Berufsleben erleichtern. Für gemeinnützige Arbeit erhalten sie zusätzlich zur Sozialhilfe einen Euro pro Stunde. Unter 3 600 Teilnehmern im Jahr 2003 gab es 50 Prozent vorzeitige Abbrecher. 20 Prozent brachen ohne Begründung ab.

»Über die Gründe für die hohe Abbrecherquote«, schrieb das Hamburger Abendblatt Anfang 2004, »gibt es bisher nur Spekulationen«. Detlef Scheele, Geschäftsführer der »hamburger arbeit«: »Es handelt sich um ganz absonderliche Gründe wie ›Die Katze meiner Freundin ist gestorben‹.«

Am Montag, dem 25. Oktober 2004, nahmen etwa 25 Ein-Euro-Jobber eine Beschäftigung bei der »hamburger arbeit« in der neuen Betriebsstätte Fangdieckstraße auf. Bald fehlten die ersten. Sie hatten sich freiwillig gemeldet für einen Euro die Stunde und riskieren nun, daß ihnen auch noch die Sozialhilfe gekürzt wird. Sind sie arbeitsscheu?

Im Gegenteil. Sie haben sich in blauer Einheitskluft und Sicherheitsschuhen angehört, was verboten ist: Alkohol trinken, zu spät kommen, sexuell belästigen, sich zu zweit in die Büsche schlagen ... Ein Video über Arbeitssicherheit sollte vorgeführt werden – es war nicht aufzutreiben. Alle Teilnehmer haben artig auf den stoffüberzogenen Holzkisten gehockt und gehofft: auf sinnvolle Beschäftigung am nächsten Tag.

Da bekamen sie dann Stellwände, Pinsel und Farbe, Mauersteine und Mörtel, Teppichmesser und Teppichreste. Sie könnten streichen, mauern und Fußmatten schnitzen – sich halt beschäftigen. Die Arbeitswilligen überpinselten die Wände. Immer wieder, bis sie kaputt gestrichen waren. Sie mauerten zwei Meter hoch, rissen wieder ein und mauerten neu. Eine versuchte, Che Guevaras Porträt in den Teppich zu schnitzen – das war schwerer als gedacht. Ein anderer malte Hanfblätter auf die Stellwand, weil richtige Drogen doch verboten sind. Einer benutzte seine Mauer als Sichtblende und Kopfstütze und döste, auf die Kiste gehockt, vor sich hin. Anleitung? Fehlanzeige. Lob? Keins. Förderung? Null.

Arbeit gibt es nicht, sagen die Fallmanager, auch später nicht. Rausgehen und Laub sammeln? Geht nicht. Irgend etwas Sinnvolles tun? Nein. »Die Obrigkeit will das so. Wir können nichts dafür. Wir bieten hier Beschäftigung, keine Arbeit,«, bekommen die Fragenden zur Antwort. Einer, der im Gefängnis war und auch die Bewährungszeit hinter sich hat: »Das ist hier schlimmer als im Knast.«

So ging das zwei Wochen lang, erzählen mehrere Teilnehmer. Ein Erfahrungsbericht tauchte im Internet auf, der die Sinnlosigkeit drastisch schildert: »Da haben sie welche aus der Gruppe genommen, die müssen immer wieder denselben Flur putzen. Wenn er sauber ist, kommt eine festangestellte Mitarbeiterin der ›hamburger arbeit‹ mit einem Eimer voll ›Schmierdreck‹ und macht den Flur wieder dreckig. Und dann müssen sie wieder von vorne anfangen, diesen Flur zu putzen.«

Auf Anfrage umging der Behördensprecher die meisten Vorwürfe und referierte die Vorschriften. Die Pressesprecherin der »hamburger arbeit« lud zu einem Gepräch, hatte aber »versäumt«, sich eine Genehmigung für ein angekündigtes Hintergrundgespräch mit anschießendem Interview einzuholen. Kobetriebsleiter Peter Steinert indes antwortete auf die Frage, was an dem Bericht denn falsch sei: »Alles«. Er spult ab: Assessment, Abbau beschäftigungshemmender Merkmale, Verbesserung des Qualifikationsprofils, Entwicklung der »Soft skills« ... Die Anleiter würden anleiten, die Fallmanager betreuen, »und zwar ständig/minütlich«. Alles für die Teilnehmer.

Die »hamburger arbeit« hat sich nach ›DIN EN ISO 9001:2000‹ zertifizieren lassen: »Kunden« der »hamburger arbeit« sind zwei Hamburger Behörden, die Ämter für Grundsicherung und Soziales, die Agentur für Arbeit und allgemein Unternehmen und Institutionen. Für sie wird beschäftigt – die Betroffenen sind keine Kunden.

Peter Steinert zählt auf, wo angelernte Teilnehmer für einen Euro die Stunde angeblich eingesetzt werden: am Hamburger Michel; beim Renovieren einer Wohnunterkunft; in Wohnungen von Sozialhilfeempfängern, zum Renovieren von Kindergärten, zum Reinigen von Spielplätzen ... »Wenn etwas nicht anders gemacht werden kann, weil für den Auftrag kein Geld da ist: Dann ist das zusätzlich im Sinne der Vorschrift.«

Zusätzlich? Gemeinnützig? Steinerts Chef Detlef Scheele steckte vor Jahren mit ähnlich zweifelhaften Praktiken im sogenannten Hamburger Filz-Skandal. Eine Minderheit des parlamentarischen Untersuchungsausschusses urteilte später, »daß die von Herrn Scheele angeführten Gründe ... offensichtlich genausowenig der Wahrheit entsprachen wie der vorgelegte Jahresabschluß.« Gemeint war der Jahresabschluß der »hamburger arbeit«.

Noch heute, unter der CDU, ist Scheele ihr Boß – und arbeitsmarktpolitischer Chefstratege der Hamburger SPD. Sein Motto: »Beschäftigte in geförderten Arbeitsverhältnissen müssen unter Beweis stellen, daß sie bereit sind, sich zugunsten niedrigentlohnter Tätigkeiten« auf dem freien Markt zu verkaufen. Drum säumen tote Katzen seinen Weg.

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