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Eingliederungsvereinbarung muss nicht in jedem Fall unterschrieben werden

Wegen der Weigerung eine Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben, wollte die Arge einem Leistungsempfänger das Alg 2 um 30 % kürzen. Das Dortmunder Sozialgericht entschied: Der Zwang zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung stellt einen Eingriff in den Schutzbereich der in Art. 2 Abs. 1 GG normierten Vertragsfreiheit dar. Die Kammer schließt sich insoweit der Auffassung des LSG Niedersachsen-Bremen (Az.: L 8 AS 605/06 ER) an, dass dieser Eingriff in die Vertragsfreiheit aufgrund eines Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist. Das Urteil (s.u.) interessiert die Dortmunder Arge jedoch nicht im geringsten. Zur Zeit muss der vom Dortmunder Sozialgericht zugebilligte einstweilige Rechtschutz per Zwangsvollstreckung gegenüber der ARGE durchgesetzt werden.

 

Beschluss - Sozialgericht Dortmund - AZ S 28 AS 361/07 ER:


In dem Rechtsstreit

...

Antragstellerin

gegen

JobCenter/Arbeitsgemeinschaft Dortmund, vertreten durch den Geschäftsführer, Luisenstraße 11 – 13, 44137 Dortmund

Antragsgegnerin

hat die 28. Kammer des Sozialgerichts Dortmund am 18.09.2007 durch die Vorsitzende, Richterin Dr. Evermann, beschlossen:

Die aufschiebende Wirkung der am 17.09.2007 erhobenen Klage gegen den Bescheid vom 24.08.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2007 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

Gründe

I.

Die Antragstellerin bezieht Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Die Beteiligten streiten um einen Bescheid, mit dem die Leistungen der Grundsicherung der Antragsteller für die Zeit von September 2007 bis November 2007 monatlich um 30 % der Regelleistung gekürzt wurden.

Mit Schreiben vom 29.06.2007 wurde der Antragstellerin eine Eingliederungsvereinbarung angeboten. In dieser angebotenen Eingliederungsvereinbarung hat die Antragstellerin diverse Änderungen, Ergänzungen bzw. Streichungen vorgenommen. Soweit es aus der Sicht der Antragstellerin vertretbar erschien, hat sie die Änderungswünsche der Antragstellerin in eine neue Eingliederungsvereinbarung eingefasst und mit Schreiben vom 23.07.2007 an die Antragstellerin versandt. In diesem Schreiben forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin auf, die „nunmehr letzte Version der EGV“ zu unterschreiben. Sie wies darauf hin, dass weitere bzw. erneute Modifikationen nicht möglich seien. Die Antragsgegnerin legte diesem Schreiben eine Rechtsfolgenbelehrung bei.

Die Antragstellerin unterschrieb diese Eingliederungsvereinbarung nicht, sondern nahm wiederum Ergänzungen und Modifikationen vor.

Mit Bescheid vom 08.08.2007 erging die Eingliederungsvereinbarung in Gestalt eines Verwaltungsaktes. Hiergegen legte die Antragstellerin am 24.08.2007 Widerspruch ein. Mit Bescheid vom 24.08.2007 ordnete die Antragsgegnerin eine Absenkung der Regelleistung der Antragstellerin für den Zeitraum 01.09.2007 bis zum 30.11.2007 um monatliche 30 % an. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, dass die Antragstellerin sich am 06.08.2007 trotz Belehrung über die Rechtsfolgen geweigert habe, die ihr angebotene Eingliederungsvereinbarung abzuschließen. Gegen den Absenkungsbescheid legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 03.09.2007 Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.09.2007 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründet zurück.

Am 03.09.2007 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz gestellt. Am 17.09.2007 erhob sie Klage beim Sozialgericht Dortmund.

Die Antragstellerin trägt vor, dass sie nicht in der Lage sei, die Absenkung der Leistungen finanziell abzufangen.

Die Antragstellerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung der am 17.09.2007 erhobenen Klage gegen den Bescheid vom 24.08.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2007 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Sie hält den Absenkungsbescheid für rechtmäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der von der Antragstellerin gestellte Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz ist zulässig und begründet.

Nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung hat, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Gem. § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage in den durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Nach § 39 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Dies gilt auch für den Widerspruch bzw. die Klage gegen den Absenkungsbescheid der Antragsgegnerin vom 24.08.2007, da dieser den Teilentzug der Leistung vorsieht.

Über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung entscheidet das Gericht nach Ermessen aufgrund einer Interessen- und Folgenabwägung. Hierbei sind das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung einerseits und das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung andererseits gegeneinander abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu berücksichtigen. Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes, so hat das Gericht die aufschiebende Wirkung anzuordnen (vgl. LSG NRW Az.: L 19 B 15/06 AS ER; Conradis in: LPK-SGB II, 2. Auflage, § 39 Rn. 11).

Unter Berücksichtigung vorstehender Kriterien ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides, so dass dieser nach dem jetzigen Sachstand in dem Hauptsacheverfahren aufgehoben werden würde.

Der Antrag der Antragstellerin ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG auszulegen. Gem. § 39 Nr. 1 SGB II hat die Klage gegen den Absenkungsbescheid der Antragsgegnerin vom 24.08.2007 keine aufschiebende Wirkung. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage durch das Gericht hat zur Folge, dass die Absenkung nicht vollzogen werden kann und somit die Antragsgegnerin die Regelleistung nicht um 30 % absenken darf. Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf die Auszahlung der ungekürzten Regelleistung.

Eine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass des Absenkungsbescheides vom 24.08.2007 ist nicht ersichtlich. Zwar ist in § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a SGB II normiert, dass der monatliche Regelsatz des § 20 Abs. 2 SGB II um 30 % abgesenkt wird, wenn der Leistungsempfänger sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, eine ihm angebotene Eingliederungsvereinbarung abzuschließen. Diese Regelung ist im Zuge der gebotenen verfassungskonformen Auslegung dahin zu verstehen, dass sie nur eingreift, wenn die Eingliederungsvereinbarung nicht durch Verwaltungsakt umgesetzt worden ist (vgl. LSG Niedersachsen/Bremen, Az.: L 8 AS 605/06 ER). Ein Absenkungsbescheid kann dann nicht auf § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a SGB II gestützt werden, wenn der Sozialleistungsträger von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, eine Eingliederungsvereinbarung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II durch Verwaltungsakt festzulegen.

Der Zwang zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung gem. §§ 15 Abs. 1 Satz 6, 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a SGB II stellt einen Eingriff in den Schutzbereich der in Art. 2 Abs. 1 GG normierten Vertragsfreiheit dar (vgl. Berlit in LPK-SGB II, 2. Auflage, § 31 Rdnr. 14). Die Kammer schließt sich insoweit der Auffassung des LSG Niedersachsen-Bremen (Az.: L 8 AS 605/06 ER) an, dass dieser Eingriff in die Vertragsfreiheit aufgrund eines Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist.

Der aus dem Wesen der Grundrechte hergeleitete Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass der Freiheitsanspruch des Bürgers nur insoweit beschränkt werden darf, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist. Demnach muss das staatliche Handeln einen legitimen Zweck verfolgen, sowie geeignet und erforderlich sein, um diesen Zweck zu verwirklichen (BVerfGE 19, 342).

Die in §§ 15 Abs. 1 S. 6 und 31 Abs. 1 Nr. 1a SGB II normierten Handlungsalternativen zielen darauf ab, zum einen den Hilfebedürftigen zu verpflichten, im Rahmen seiner Möglichkeiten und des ihm Zumutbaren an der Beseitigung seiner Arbeitslosigkeit mitzuwirken. Zum anderen soll durch die Zusammenarbeit mit den Sozialhilfeträgern eine auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Hilfegewährung erreicht werden (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen Az.: L 8 AS 605/06 ER). Diese Intention ist bereits durch den Erlass der Eingliederungsvereinbarung im Rahmen eines Verwaltungsaktes erreicht, so dass ein zusätzliches Absenken der Regelleistung über das zur Verfolgung des Gesetzeszwecks notwendige Maß hinausgeht. Die Verhängung einer Absenkung trotz Festlegung der Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt ist zur Erreichung des Zwecks nicht erforderlich. Sie ist unverhältnismäßig, da sie lediglich einen Straf- bzw. Disziplinierungscharakter aufweist.

Da für den Absenkungsbescheid vom 24.08.2007 keine Ermächtigungsgrundlage besteht, ist dessen Rechtswidrigkeit gegeben. Dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, der die Eingliederungsvereinbarung festlegt, mit einem Widerspruch angefochten worden ist und aufschiebende Wirkung entfaltet (so LSG Baden-Württemberg Az.: L 13 AS 4160/06 ER-B).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und trägt dem Unterliegen der Antragsgegnerin Rechnung.

Rechtsmittelbelehrung:
...

Dr. Evermann
Richterin

ARGE Dortmund legt gegen dieses Urteil Widerspruch ein

Die Beschwerde der ARGE wurde in vollem Umfang abgelehnt. Ein wichtiges Urteil für diejenigen, bei denen ein Verwaltungsakt ergangen ist und denen dann wie in diesem Fall "zur Strafe" die Zahlungen gekürzt wurden. Unter Hinweis auf diesen Beschluss des Landessozialgerichts kann eine Überprüfung des Absenkungsbescheids gefordert werden, um eine Nachzahlung zu erwirken. Es ist zwar noch nicht in der Hauptsache entschieden, aber da die Beschlüsse der Gerichte sich auf formale Fehler der ARGE beziehn, kann man faktisch davon ausgehen, dass hier schon entschieden worden ist.

 

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen

Az.: L 12 B 153/07 AS ER
Az.: S 28 AS 361/07 ER SG Dortmund

Beschluss

In dem Verfahren                                                                   i.
Antragstellerin und Beschwerdegegnerin

gegen

JobCenterARGE Dortmund Rechtsstelle,
vertreten durch die Geschäftsführung,
Luisenstraße 11-13, 44122 Dortmund
Antragsgegner und Beschwerdeführer

hat der 12. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen am 12.11.2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht Brand sowie die Richter am Landessozialgericht Ziegert und Söhngen ohne mündliche Verhandlung beschlossen:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 25.09.2007 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat auch die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren zu tragen.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht (SG) nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 02.10.2007), ist unbegründet.

Der Senat nimmt Bezug auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung, der er sich nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage in vollem Umfang anschließt (§ 142 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Antragsgegnerin hat im Beschwerdeverfahren keine Gesichtspunkte vorgebracht, die zu einer anderen Beurteilung führen könnten. Die Interessenabwägung, die das SG vor dem Hintergrund der vom Senat geteilten ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Absenkungsbescheides vorgenommen hat, ist nicht zu beanstanden.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin wird durch die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweggenommen. Sollte sich die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides erweisen, wäre die Antragstellerin zur Erstattung der ihr nicht zustehenden Leistung verpflichtet (vgl. Meyer­ Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, § 86b Rz. 22). Warum es "wenig wahrscheinlich" sein soll, dass die Antragstellerin dieser Pflicht nachkommt, wird von der Antragsgegnerin nicht dargelegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG

 

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