Benutzerspezifische Werkzeuge
Sie sind hier: Startseite Soziale Lage / Sozialpolitik Erwerbslos / Hartz ... Energiezufuhr gekappt

Energiezufuhr gekappt

— abgelegt unter:

Bei Schulden bleibt die Wohnung kalt: Steigende Zahl privater Haushalte von Stromversorgung abgeschnitten. Verbraucherschützer fordern Sozialtarif

Immer häufiger geraten Kunden mit der Bezahlung ihrer Strom- oder Gasrechnung in Verzug. Insbesondere aufgrund der stagnierenden oder rückläufigen Einkommensentwicklung können viele Haushalte die explodierenden Kosten nicht mehr tragen. Die Folge: Die Energieversorger unterbrechen die Stromzufuhr. Während die Quote der Sperrungen in westdeutschen Bundesländern eher gering ausfällt, ist sie in den neuen Bundesländern und in Städten mit größerem sozialen Gefälle vergleichsweise hoch. Nach Schätzungen des Bundes der Energieverbraucher wird bundesweit jährlich etwa 800000 Privathaushalten der Strom und knapp 400000 das Gas abgestellt. »Die deutschen Versorger gehen weit radikaler gegen ihre Kunden vor als irgendwo anders in Europa. Und die Politik weigert sich, zumindest den gemäß EU-Richtlinien vorgeschriebenen Mindestschutz für Verbraucher in deutsches Recht umzusetzen«, kritisiert der Verband. So ermittelten die Hanseatische Inkasso-Treuhand GmbH und die Unternehmensberatung Nordsan bereits 2006 bei einer Befragung von 23 Stadtwerken, daß deren Tarifkunden pro hundert Zähler zwischen elf und 80 Mahnungen jährlich zugestellt werden.

Eine Sperrung wird bei einer Schuldenhöhe von mindestens 95 Euro und einem Zahlungsverzug von fünf Wochen veranlaßt. Die Stromsperre erfolgt in der Regel in drei Fällen: wenn die Rechnung nicht beglichen wird, die geforderte Summe wegen »Unbilligkeit« verweigert wird, also dem Kunden als ungerechtfertigt hoch erscheint, oder wenn der Vermieter die gezahlten Abschläge nicht an den Energieversorger weiterreicht. Zwar sieht der Gesetzgeber ausdrücklich vor, daß die Versorgung nach Paragraph 19 der Stromgrundversorgungsverordnung unterbrochen werden kann. Die Berechtigung entfällt jedoch, wenn die Folgen der Unterbrechung nicht im Verhältnis zur »Schwere der Zuwiderhandlung« stehen oder der Kunde glaubhaft machen kann, daß die Schulden beglichen werden. Außer acht bleiben dabei schlüssig begründete Beanstandungen, die frist- und formgerecht eingereicht worden sind. Vor Gericht strittige Preiserhöhungen, die noch nicht rechtskräftig entschieden sind, können dem Kunden ebenfalls nicht angelastet werden.

Die Sperre selbst muß vier Wochen vorher bzw. drei Werktage vor dem Vollzug konkret angekündigt werden. »Die Androhung ist nur gültig, wenn unmißverständlich erkennbar wird, daß bei Nichtzahlung eine Sperre erfolgt. Wenn der Verbraucher den Forderungen also begründet widerspricht, dann darf die Versorgung ebenso-wenig unterbrochen werden wie bei Kunden, die den Preiserhöhungen widersprochen haben«, so der Bund der Energieverbraucher.

Soll der Stromfluß dennoch zum Stillstand gebracht werden, haben die Kunden noch weitere Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen. So kann dem Personal des Energieversorgungsunternehmens in Form eines Hausverbots der Zutritt zum Wohnungsanschluß verweigert werden. Zwar liegen in Miethäusern die Anschlüsse häufig außerhalb der Wohnung. Allerdings: »Wie beim Hausrecht in der Wohnung können auch im Treppenhaus oder im Keller eines Mietobjekts Manipulationen an Anschluß- bzw. Zählereinrichtungen vom Betroffenen verboten werden, da hier der Vermieter dem Mieter im Rahmen seiner Fürsorgepflicht die Abwehr störender Handlungen Dritter schuldet«, informiert der Verbraucherverband. Zwar schreibt die sogenannte Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden (AVBELTV) vor, daß die Mitarbeiter von Versorgungsunternehmen Zutritt zu den privaten Räumen haben, »das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung steht aber höher und kann deshalb auch ohne Probleme durchgesetzt werden«, betont der Verband.

Besonders wirkt sich die Energiekostenexplosion und damit auch die Gefahr der Stromsperren auf all diejenigen aus, die nur Kleinsteinkommen beziehen. Eine Untersuchung des Heidelberger Instituts für Energie- und Umweltforschung kommt zum Schluß, daß die gestiegenen Energiekosten trotz erheblicher staatlicher Transferzahlungen für Haushalte mit geringsten Einkommen wie Arbeitslosengeld II (ALG II), Sozialgeld und Sozialhilfe eine zusätzliche finanzielle Belastung darstellen. »Die Energiekostensteigerungen werden durch die Form der Leistungserstattung nur teilweise ausgeglichen. Während der im Regelsatz zugrunde gelegte Berechnungsansatz zur Deckung der Kosten für Haushaltsstrom kaum ausreicht, um die steigenden Stromkosten abzufangen, müssen die Heizkosten in der Regel in voller Höhe von den Kommunen übernommen werden. Die Preissteigerung bei Haushaltsstrom führt damit zu einer zusätzlichen Kostenbelastung der Leistungsempfänger«, so das Institut.

Mittlerweile werden die Stimmen nach wirksamer Hilfe für Bedürftige lauter. »Kein Licht, kein heißes Wasser, kein Radio, keine warmen Mahlzeiten mehr – das Kappen der Stromversorgung darf nicht länger bittere Realität für Kunden sein, die einer Zahlungsaufforderung aus eigener Kraft nicht mehr nachkommen können«, verlangt Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale in Nordrhein-Westfalen. Politik und Energiekonzerne müßten ein Verbot von Stromsperren für einkommensschwache Haushalte und die verbindliche Einführung von Sozialtarifen beschließen. »Energieversorgung ist fester Bestandteil allgemeiner Daseinsvorsorge und muß für jeden Menschen gewährleistet sein – dies steht bereits im Entwurf der EU-Charta zu Rechten der Energieverbraucher«, so Müller.

Quelle: Junge Welt vom 17.03.09

Artikelaktionen